Wochenlang bereitet man sich auf das Weihnachtsfest vor – und wird dennoch alle Jahre wieder eiskalt davon erwischt: Erst der Eklat, weil die vegetarisch lebende Tochter nicht einmal ausnahmsweise vom Gänsebraten kostet, die Großeltern aber partout keine Tofu-Bratlinge zum Fest akzeptieren. Und weil sich der Herr Gemahl ein Weihnachtsessen ohne Rollschinken einfach nicht vorstellen kann, verbringt die Mutter den ganzen Tag mit der Zubereitung von Gänsebraten mit Semmelknödeln, Tofuwürstchen mit Basmatireis und Rollschinken mit Kartoffelsalat – schließlich will sie es Weihnachten allen recht machen.
Dass zwischen Füllung und Dessert keine Zeit mehr blieb, auch noch die Geschenke für die Neffen liebevoll zu verpacken ist doch nun wirklich nicht so wichtig – das enttäuscht wiederum die Schwester zutiefst, die als einzige jedes Geschenkband handbemalt und mit Strasssteinchen verziert hat. "Soviel Aufwand nur für ein Paar Wollsocken", rutscht dazu dem Schwager raus, und wenn dann noch die Schwiegermutter zum wiederholten Mal die "karnevalesk anmutende Weihnachtsdekoration" kommentiert, ist das Weihnachtsdebakel perfekt. Schreikrampf, Türknallen, und keiner versteht so genau: Warum eigentlich? Dabei hätte doch alles so schön sein können...oder etwa nicht?
Die Funken sprühen
Genau da liegt das Problem: Die Weihnachtsidee im eigenen Kopf schafft eine enorme Erwartungshaltung, die Stimmung ist emotional aufgeladenen, hinzu kommt der Termindruck, unterschiedliche Generationen treffen auf engem Raum zusammen, und dazu womöglich noch ungelöste Konflikte in der Luft: Da kann jeder Funke zünden.
###mehr-artikel###Kein Wunder, dass Ursula Gärtner von der Familienberatungsstelle des Diakonischen Werkes in Berlin Reinickendorf alle Hände voll zu tun hat: Sie berät Familien bei Beziehungskonflikten jeglicher Art – und dass die gerade an Weihnachten vermehrt zu Tage treten, kommt laut Gärtner nicht von ungefähr: "Bei vielen kommen an Weihnachten die Erinnerungen an die Kindheit hoch, seien es idealisierte Vorstellungen an den Zustand der Geborgenheit, oder schlimme Erinnerungen an streitende Eltern, die oft verdrängt und ins Gegenteil verkehrt werden – denn mit jeder Enttäuschung erfährt man auch ein Bild davon, wie es besser wäre. Gerade dann kann die Sehnsucht nach diesem Idealzustand unerfüllbar groß werden."
Jeder trägt quasi sein eigenes Weihnachtspäckchen voller Erwartungen, Traditionen und Emotionen. Darum rät Gärtner, sich zunächst bewusst zu machen, was man davon wirklich braucht. "Was ist einem wirklich wichtig? Welche Wünsche werden in der Praxis eher zu belastenden Stressfaktoren?" Das Festmahl, die Dekoration, die Geschenke: Welche Rituale sind mir wirklich wichtig, auf welche kann ich verzichten? Danach entsteht eine Prioritätenliste, und erst wenn ich weiß was ich will, kann ich in die "Verhandlungen" gehen.
Jeder sollte ein wenig zurückstecken, dann könnte es funktionieren
Am häufigsten geht es in den Konflikten um Organisationsfragen innerhalb der Verwandtschaft: Bei welcher Familie feiern wir, wen laden wir ein, was ist eventuell mit Kindern aus früherer Ehe? Die meisten großen Konfliktherde lassen sich im Vorfeld durch Kompromisse entschärfen. Dabei muss jeder ein bisschen zurückstecken, ohne zu schnell eigenen Wünsche aufzugeben. Ein typischer Fehler ist laut Ursula Gärtner, zu sehr an die anderen zu denken. "Gerade beim Fest der Nächstenliebe fühlt man sich verpflichtet die Erwartungen der Anderen nicht zu enttäuschen." Insgeheim erwartet man aber, dass die anderen es genauso machen. Sich still aufopfern und hoffen, dass es jemand honoriert, führt jedoch schnell zu Enttäuschungen. Besprechen und verhandeln hält Gärtner da für die bessere Lösung. "Wir versuchen in der Beratung, jeden auf sich selbst zurückzubringen und zu fragen: Was möchte ich gerne und wie kann ich dafür sorgen, dass es mir gut geht an Weihnachten?"
Wer zum Beispiel die eigentlich ungeliebte Schwiegermutter unbedingt einladen muss, kann den Besuch zumindest zeitlich begrenzen, auch wenn die Schwiegermama dann enttäuscht ist. Vorher die Grenzen zu setzen ist besser als hinterher zerstörte Beziehungen zu flicken.
Ein neues Ritual?
Kompromisse müssen aber nicht immer den kleinsten gemeinsamen Nenner bedeuten, sondern können laut Ursula Gärtner auch der Anfang für etwas Neues sein: "Wenn sich die Familie nicht einigt, kann es auch befreiend sein zu sagen: Wir schaffen ein ganz neues gemeinsames Familienritual."