Der Leichnam Nelson Mandelas darf von den Besuchern nicht fotografiert werden.
Foto: dpa/Francis R. Malasig
Der Leichnam Nelson Mandelas darf von den Besuchern nicht fotografiert werden.
Pro & Contra: Darf man Mandelas Leichnam fotografieren?
Die Regierung in Südafrika wird Nelson Mandelas Leichnam aufbahren, so dass die Menschen vor Ort ihren Staatshelden noch einmal sehen können. Nur fotografieren dürfen sie ihn nicht. Ist das die richtige Entscheidung? In der evangelisch.de-Redaktion wurden wir uns nicht einig. Wie stehen Sie dazu?

Pro: Vielschichtige Bilder für ein vielschichtiges Leben

von Hanno Terbuyken, Portalleiter von evangelisch.de

Mandela hat jahrzehntelang gemeinsam mit vielen Menschen für Freiheit und Gleichheit gestritten. Aber am Ende seines Lebens soll es keine Gleichheit geben. Stattdessen möchte der Staat den Mann, der Jahrzehnte für mehr Freiheitsrechte gestritten hat, hinter Wänden verstecken. Die Menschen, die hinter diese Wände dürfen, müssen sich an willkürliche Regeln halten, die nichts mehr mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun haben. Genau dagegen hat sich Mandela immer gewehrt.

Ein Handyverbot am Sarg gibt es zwar auch in vielen normalen Trauergottesdiensten. Aber die öffentliche Aufbahrung von Nelson Mandela ist weder normal noch ein Trauergottesdienst. Zur Trauer um einen Menschen, den wenige kannten, aber viele liebten, gehört auch die öffentliche, gemeinsame Anteilnahme. Den Menschen in aller Welt, die nicht in Pretoria sein können, können diese Bilder beim Abschiednehmen helfen.

Auf den Fotos, die in diesen Tagen aus Südafrika kamen, war zu sehen: Die Menschen trauern und feiern, statt zu weinen. Sie feiern, weil sie dank Nelson Mandela freier sind als ihre Eltern und Großeltern. Diese freie Welt lebt auch von der Vernetzung und der egalité aller Menschen. Darum lasst sie alle fotografieren! Lasst sie die Bilder twittern, facebooken und sonstwie verbreiten: "Hier liegt Madiba, der vom Widerstandskämpfer zu einem großen Versöhner wurde."

Nun wird es - wenn überhaupt - nur ein paar wenige professionelle Fotos geben, keine Überraschungen, keine persönlichen Anklänge. Der Staat Südafrika versucht, das Bild zu definieren, das die Welt von Mandela in Erinnerung behält. Diese Erinnerung sollte aber so vielschichtig sein wie sein Leben. Ich möchte die Botschaften und die Bilder der Menschen sehen, die auf ihre persönliche Weise von Mandela Abschied nehmen. Nur so kann der Abschied vollständig sein.


 

Contra: Das Andenken verdient ein lebendiges Gesicht

von Anne Kampf, Redakteurin bei evangelisch.de

Wieso sind Menschen bereit, sich stundenlang in eine Schlange zu stellen, nur um einen kurzen Blick auf den Leichnam von Nelson Mandela zu werfen?  Aus zwei Gründen: Die Südafrikaner wollen ihrem früheren Präsidenten, der so Großes für Frieden und Versöhnung in ihrem Land geleistet hat, Ehre erweisen. Und sie wollen ihrer Trauer Ausdruck verleihen. An seinem Sarg zu stehen – wenn auch nur für einen Moment – ist eine bedeutende Symbolhandlung, ein Ritual mit starker Aussagekraft.

Ein Foto von diesem Moment könnte man Freunden und Verwandten zeigen. "Schau, ich war dabei", könnte man sagen. Es wäre wie ein Souvenir, wie ein Bild von einer touristischen Sehenswürdigkeit, millionenfach reproduzierbar und letztendlich nichtssagend. "Schau, da lag er im Dezember 2013, und ich war dabei" – genau wie Tausende andere. Das Ritual an sich, die persönlichen Gefühle und Gedanken in diesem Moment, die Trauer und die Tränen, all das kann man nicht im Bild festhalten – weder für sich selbst, noch für andere. Weil es eine Symbolhandlung ist, zählt allein der erlebte Moment. Für jeden und jede persönlich. Würde man in diesen wenigen Sekunden am offenen Sarg ein Handy herauskramen und es zwischen sich und Mandela halten - das Ritual wäre zerstört, die Symbolkraft dahin.

Das Handyverbot dient außerdem dazu, die Würde des Verstorbenen zu schützen. Man stelle sich vor, nach dieser dreitägigen öffentlichen Trauer und Ehrerbietung am offenen Sarg landeten heimlich aufgenommene Handyfotos vom toten Nelson Mandela in den sozialen Netzwerken. Gruselig wäre das, und außerdem unwürdig. Er liegt dort nicht aufgebahrt, damit alle sein 95-jähriges, zerfallenes Gesicht sehen können. Das Andenken an Nelson Mandela verdient ein lebendiges  –  lachendes oder ernstes  –  Gesicht. Nicht an einen alten Toten soll erinnert werden, sondern an einen aktiven, fröhlichen Lebendigen.