Menschenrechte
Foto: dpa/Orlando Barria
Der 10. Dezember ist weltweiter Tag der Menschenrechte. Er erinnert an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von der UN-Vollversammlung in Paris verabschiedet wurde.
Die "subversive Kraft" der Menschenrechte
Welcher Tag könnte sich besser eigenen als der 10. Dezember, um einen Kämpfer für die Menschenrechte zu ehren? Die Trauerfeier für Nelson Mandela findet am Tag der Menschenrechte statt. Auch 65 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist die Debatte um gleiche Freiheiten und Rechte für alle noch aktuell. Aber worüber reden wir eigentlich, wenn wir von Menschenrechten sprechen?
10.12.2013
evangelisch.de
Dominik Speck

Die Menschenrechte haben eine lange Geschichte. Schon die Bibel legt fest: Vor Gott sind alle Menschen gleich, denn sie sind nach seinem Ebenbild geschaffen. Die zehn Gebote stellen Leben, Ehre und Eigentum des Menschen unter besonderen Schutz. In Europa gilt die französische Revolution mit ihrer Erklärung der Menschenrechte gemeinhin als die Geburtsstunde der politischen Verankerung von Freiheitsrechten. Dabei wurden grundsätzliche Menschenrechte bereits zehn Jahre früher erstmals in einer Verfassung garantiert, nämlich in der Verfassung von Virginia 1776.

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung forderte im selben Jahr unveräußerliche Rechte, wie zum Beispiel die auf Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Die Entwicklungen in Amerika standen Pate für die französischen Revolutionäre – an der französischen Menschenrechtserklärung war Thomas Jefferson beteiligt, damals Botschafter in Paris, später US-Präsident. Jefferson und seine Mitstreiter nahmen sich die politiktheoretischen Schriften von Philosophen wie Thomas Hobbes, John Locke und Jean-Jacques Rousseau als Grundlage.

Es dauerte noch zwei Jahrhunderte, bis sich die Welt auf einen umfassenden Katalog an Menschenrechten einigen konnte. Am 10. Dezember 1948 verabschiedet die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – unter dem Eindruck der Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs. Die Erklärung schreibt das Recht auf Leben, auf Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen sowie der Schutz vor Folter, willkürlicher Haft und Diskriminierung fest – also die klassischen Persönlichkeits- und Freiheitsrechte. Auch Sklaverei und Sklavenhandel werden verboten.

Weniger bekannt ist, dass die Erklärung auch soziale Grundrechte garantiert, wie das Recht auf Nahrung, Arbeit, Bildung von Gewerkschaften und eine gerechte Entlohnung. Auch Flüchtlingen spricht die Erklärung besonderen Schutz zu. "Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren", heißt es darin. Und: "Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen."

Auch Datenschutz ist ein Menschenrecht

Praktisch kann davon keine Rede sein, wie die aktuelle Debatte um Asylsuchende und Flüchtlinge zeigt. Während Europa über den richtigen Umgang mit Flüchtlingen diskutiert, erschüttern Bilder von Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer die Welt. Das Asylverfahren der EU stößt auf Kritik. Menschenrechtler fordern, noch mehr Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten aufzunehmen. Politiker halten dem entgegen, die Aufnahmekapazitäten seien schon zur Genüge ausgeschöpft.

Die Erklärung der Menschenrechte ächtet auch willkürliche Eingriffe in Privatleben und Schriftverkehr und betont den rechtlichen Schutz gegen solche Verletzungen. Im Lichte der NSA-Affäre wirkt diese Forderung ungebrochen aktuell. Die Daten von Millionen von Menschen werden willkürlich ausgespäht und es gibt kaum eine Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Die Erklärung an sich ist völkerrechtlich nicht verbindlich, setzt aber wichtige Normen. Viele dort formulierte Rechte wurden später durch internationale Konventionen verbindlich, zum Beispiel Kinderschutz, Folterverbot und Schutz vor Diskriminierung wegen Rasse oder Geschlecht.

Dennoch: Die Menschenrechtsverletzungen gehen weiter, unablässig. Männer und Frauen werden willkürlich verhaftet, gefoltert und hingerichtet. Kriegsparteien setzen Hunger und Vergewaltigungen gezielt als Waffen ein. Fast eine Milliarde Menschen weltweit hungern, Millionen Kinder müssen unter grausamen Bedingungen arbeiten. Auch im vermeintlich aufgeklärten Westen gibt es immer wieder Menschenrechtsverletzungen: Überfüllte Flüchtlingslager auf Lampedusa, Folter von Gefangenen in den USA, ungerechtfertigte Angriffskriege.

Trotz des umfangreichen Menschenrechtskatalogs der Erklärung sehen Kritiker noch längst nicht alle Rechte umfassend gewürdigt. Auf die Rechte von Menschen mit Behinderung geht die Erklärung nicht spezifisch ein. 2008 trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Mit dem daraus folgenden Anspruch behinderter Kinder auf einen Platz in einer Regelschule tut sich das deutsche Schulsystem noch schwer. Politiker, Pädagogen und Eltern streiten darüber, wie weit Inklusion in der Schule gehen kann.

In reichen Industrienationen mit ihren alternden Gesellschaften mehren sich Forderungen, Generationengerechtigkeit als Menschenrecht zu verankern – oder auch den Schutz vor Diskriminierung im Alter. So setzt sich das Deutsche Institut für Menschenrechte dafür ein, Senioren besser vor Diskriminierung zu schützen, beispielsweise beim Abschluss von Versicherungen, beim Schutz vor Altersarmut und vor Gewalt in der Pflege. Auch der Schutz des Menschen vor Umweltverschmutzungen solle in die Grundrechtscharta aufgenommen werden, fordern Kritiker. Tierschutzorganisationen wollen Tieren weitreichende Grundrechte zusichern.

Debatte um Gleichstellung von Homosexuellen

Die Menschenrechtsdebatte hat sich in diesem Jahr auch an zwei sportlichen Großereignissen entzündet: den Olympischen Winterspielen 2014 im russischen Sotschi und der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar. In dem Golfstaat sollen Arbeitsmigranten ausgebeutet werden, auch solche, die an den Bauarbeiten für die WM mitwirken. Russland machte neben Berichten über die Verfolgung von Oppositionellen mit einem Gesetz von sich reden, das "homosexuelle Propaganda“ unter Strafe stellt. Während viele einen Boykott der Sportveranstaltungen fordern, wollen andere die Veranstaltungen nutzen, um ein Zeichen für Menschenrechte zu setzen. Und einmal mehr stellt sich die Frage: Darf ein sportliches Großereignis unter diesen Rahmenbedingungen stattfinden?

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International zählt auch die sexuelle Selbstbestimmung zu den Menschenrechten – in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist davon keine Rede. Die Frage, ob das Diskriminierungsverbot bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Paare nicht länger von Ehe und Kindererziehung ausgeschlossen bleiben dürfen, gehörte zu den Themen, die 2013 viele Länder bewegten. In Frankreich gingen Hunderttausende von Menschen auf die Straße – für und gegen die Homo-Ehe. In Deutschland räumte das Bundesverfassungsgericht Paaren in eingetragenen Lebenspartnerschaften gleiche Rechte beim Ehegattensplitting ein und stellte fest, dass die Sukzessivadoption für eingetragene Lebenspartner zugelassen werden muss. In Kroatien sorgte eine Volksabstimmung dafür, dass die Ehe in der Verfassung ausschließlich auf heterosexuelle Paare beschränkt bleibt.

Aber trotz aller Rückschläge im Kampf für Menschenrechte: Desmond Tutu, südafrikanischer Bischof und Mitstreiter von Nelson Mandela, lobte einmal die "subversive Kraft" der Erklärung beim Einsatz gegen Unterdrückung und Diskriminierung. Sie mag kein Tiger sein, zahnlos ist sie nicht. Gerade jetzt, nach dem Tod Nelson Mandelas, zeigt sich, dass der Einsatz für Menschenrechte überall honoriert wird. Selbst China stimmte in die globalen Trauer- und Dankbarkeitsbekundungen ein. Das gibt Grund zur Hoffnung.