Schon lange war Nelson Mandela aus der Öffentlichkeit verschwunden, und doch blieb er mitten dabei. Überall in Südafrika ist "Madiba" noch immer zu sehen und zu spüren. Statuen wurden schon zu Lebzeiten errichtet, sein Gesicht ziert Geldscheine, Straßen tragen seinen Namen. In seinem Heimatland hat der Freiheitskämpfer Heldenstatus. Seine Ideale sind der Leitfaden, seine Werte die Basis des heutigen Südafrikas. Doch nach Mandelas Tod muss das Land am Kap lernen, ohne ihn zu leben - und sucht ein neues verbindendes Element.
"Madiba", wie ihn die Südafrikaner bei seinem Clannamen nennen, hat nach der Apartheid einen Staat und eine mächtige Partei aufgebaut. Er gilt als Vater der Nation, der das Land mit seinen elf offiziellen Sprachen und vielen Völkern zusammengehalten hat. Sein Lebenswerk, der Kampf für Freiheit, Gleichheit und Demokratie, ist ein Maßstab über alle ethnischen und politischen Grenzen hinweg.
Das Festhalten an Mandela hat Südafrika gelähmt
Politischen Einfluss hatte Mandela in den vergangenen Jahren nicht mehr. Nach fünf Jahren als Präsident gab er 1999 das Amt ab und erklärte 2004 seinen Rückzug aus der Öffentlichkeit. In Debatten konnte er sich wegen seiner Krankheit schon länger nicht mehr einmischen. Trotz seiner Abwesenheit blieb allerdings sein gesellschaftlicher Einfluss.
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Manche sehen Südafrika nun in ethnischen Gruppen zerfallen. Dass dem Land eine Identifikationsfigur, ein gemeinsames Projekt, Ziel oder eine Vision fehle, meint etwa Politik-Professor Daryl Glaser von der Witwatersrand-Universität Johannesburg.
Doch das Festhalten an Mandela hat Südafrika auch gelähmt. Besonders deutlich wird das an seiner Partei: Der ANC hat bisher kein richtiges politisches Programm gebraucht, denn "Madiba" war das Programm. Heute weiß niemand genau, wofür die Partei eigentlich steht.
Zwar sei ein Sieg des ANC bei den 2014 anstehenden Wahlen bisher noch nicht ernsthaft in Gefahr, glaubt Politik-Professor Glaser. "Es werden aber nach Mandelas Tod wohl einige Sympathie-Stimmen wegfallen." Manche Wählen empfänden nicht mehr die innere Verpflichtung, ANC zu wählen, sagt Glaser dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Frei geboren, frei für andere Parteien
Hinzu kommt die wachsende Nach-Apartheid-Generation, die "Generation born free": junge Erwachsene, die das System der Rassentrennung und der brutalen Unterdrückung der Schwarzen nicht mehr oder nur als Kleinkinder erlebt haben. Mandela ist für sie eine Figur der Geschichte, sie wählen nicht mehr automatisch ANC. Neue Parteien könnten bei ihnen Chancen haben. Glaser betont: "Der ANC braucht mittelfristig eine Strategie."
Politiker auf der ganzen Welt mahnten denn auch zu einem Festhalten an Mandelas Vermächtnis: "Wir werden Leute wie Mandela wahrscheinlich nicht mehr sehen, deshalb ist es an uns, seinem Erbe zu folgen", sagte US-Präsident Barack Obama. Und der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton, ein enger Freund der Familie Mandela, fügte hinzu: "Nelson Mandela hat uns so viele Dinge gelehrt." Die vielleicht wichtigste Lektion vor allem für junge Leute sei, erklärte Clinton, dass man immer die Freiheit und die Verantwortung habe, etwas gegen Ungerechtigkeit, Grausamkeiten und Gewalt zu unternehmen.
Der südafrikanische Journalist Branko Brkic schrieb 2011, "Madibas" Leben sei ein moralischer Leitfaden, den das Land brauche. "Sein Körper wird irgendwann nicht mehr da sein, aber er hat seinen Job bereits gemacht." Nun sei es an allen, seine Ideale zu verwirklichen.