Foto: dpa/Maurizio Brambatti
Thema bei Anne Will: Franziskus als Sozialist
"Marx hat einen würdigen Nachfolger", hieß es in der Talkshow "Anne Will". Gemeint war Papst Franziskus, der den Kapitalismus Ende November scharf verurteilt hat. In der Frage nach einer gerechten Wirtschaftsordnung sind der Papst und linke Politiker wie Oskar Lafontaine erstaunlich nah beieinander.

Kurz vor Weihnachten öffnen sich die Herzen vieler Menschen besonders weit. Sie beschenken nicht nur Freunde und Verwandte – auch die Spendenbereitschaft ist in diesen Tagen bei vielen besonders groß. Plötzlich fällt der Blick auf diejenigen, die es nicht so gut haben, die allein sind und denen es am Nötigsten fehlt. Es ist auch die Zeit, in der sich die Berichte über Kältetote mehren, in der man an der Not der Ärmsten kaum vorbeisehen kann. Auch für Bettler haben viele daher die eine oder andere Münze mehr übrig als gewöhnlich.

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"Diese Wirtschaft tötet", heißt es in einer 180-seitigen Schrift, die Papst Franziskus gerade erst veröffentlicht hat. Er warnt vor der Kluft zwischen arm und reich. Das Dokument wird von vielen als eine Art Regierungserklärung des Kirchenoberhauptes gesehen – als das Kursbuch seiner Amtszeit. Es scheint, als wolle der Papst die Kirche auf allen Ebenen reformieren. Sein Aufruf gegen die Ungerechtigkeit scheint mehr zu sein als gut gemeinte warme Worte in der Adventszeit.

Anne Will machte das zum Thema ihrer Talkrunde. "Franziskus verteufelt Kapitalismus – Muss Deutschland umdenken?" fragte sie ihre Gäste. Oskar Lafontaine, nicht nur Politiker der Linkspartei, sondern auch gläubiger Katholik, zeigte sich verblüfft: "Die Kirche war bislang immer zurückhaltend, wenn es darum ging, soziale Ungerechtigkeit zu geißeln." Doch der neue Papst sei eine Freude. Er übersetze die christliche Botschaft in praktische Politik. Mit Blick auf das Wirtschaftssystem zitierte Lafontaine den ehemaligen Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, Adolf Grimme: "Ein Sozialist kann Christ sein, ein Christ muss Sozialist sein."

v.l.: Anke Domscheit-Berg (Unternehmerin und Netzaktivistin), Oskar Lafontaine (Die Linke), Anne Will (Moderatorin), Notker Wolf (Abtprimas des Benediktinerordens), Marc Beise (Journalist)

Anke Domscheit-Berg, Unternehmerin und Politikerin in der Piratenpartei, stimmt dem Papst zu, wenn er sagt, dass der Kapitalismus Menschen tötet. "Arme Menschen sterben früher als reiche – ihnen werden Lebensjahre geklaut", sagte sie. Es gebe Tote in den Fabriken, die billige Jeans für den europäischen Markt herstellen, Waffenverkäufe dienten der Bereicherung und töteten Menschen. Auch sie verlangt ein Umdenken.

Eine etwas andere Position erhoffte sich Anne Will offenbar von Notker Wolf, Abtprimas des Benediktinerordens. "Überzieht der Papst?", fragt sie ihn. Doch auch der Benediktiner argumentierte ähnlich wie Domscheit-Berg und Lafontaine. Er verwies darauf, dass Franziskus aus Südamerika komme und dort schlimmstes Leid und existentielle Armut gesehen habe. Das dürfe man bei diesem Papst nicht vergessen. Franziskus schreibe, dass die Erde allen Menschen gleichermaßen gehöre. "Aber wir haben kein System, um das ganze global gerecht zu verteilen", sagte Wolf.

Es geht um eine Haltung: Jeder trage die Last des anderen

Eine bessere Welt scheitert für den Benediktiner vor allem am Egoismus der Menschen. Eine Aussage, die Domscheit-Berg beinahe amüsiert: "Mich überrascht, dass mein Menschenbild besser ist als ihres." Für die Politikerin und den Politiker in der Runde war das eine Vorlage, um die üblichen Themen aufzugreifen – Mindestlohn, Werksverträge, Schuldenkrise.

###mehr-links### So hätte die Sendung schnell zum schlichten Polit-Talk werden können, wenn nicht als vierter Gast der Journalist Marc Beise gekommen wäre. In der "Süddeutschen Zeitung" hat er den Artikel "Der Papst irrt" veröffentlicht. Seine Kritik wiederholt er auch bei Anne Will. Nicht der Kapitalismus als solcher sei das Problem, sondern lediglich einzelne Auswüchse darin.

Es gehe dem Papst aber nicht nur ums Wirtschaftssystem, erwidert Lafontaine. Es gehe um die grundsätzliche Haltung des Menschen, die heutzutage allzu oft egoistisch sei. "Jeder trage eines anderen Last" – darum müsse es in der Gesellschaft wieder gehen, forderte der Linken-Politiker. "Das Leben wird reicher, wenn man sich hilft", glaubt er.

Insgesamt blieb am Ende der Sendung die Frage, ob Deutschland umdenken muss, unbeantwortet. Über lange Strecken verlor sich die Diskussion im Klein-Klein der Politik, statt wirklich über das System als solches zu diskutieren. Muss ein Christ wirklich Sozialist sein? Eine Frage, die stärker in den Mittelpunkt der Sendung gehört hätte.