14 Jahre sind vergangen, seit Robert Atzorn als "Unser Lehrer Dr. Specht" die ZDF-Zuschauer verzückte. Seither hat sich viel verändert; nicht nur im Fernsehen, auch an den Schulen. Die RTL-Serie "Der Lehrer" ist die zeitgemäße Variante zum alten Specht, und das in jeder Hinsicht.
Wie sein TV-Kollege, so ist auch Stefan Vollmer ein Lehrer, wie ihn sich Schüler eigentlich wünschen müssten, denn wenn er sich mal in eine Sache verbissen hat, lässt er nicht mehr los; und dieses Engagement ohne Eigennutz gilt in der Regel seinen Schutzbefohlenen. Davon abgesehen unterscheidet sich Vollmer von den Schülern nur durch sein Alter. Seine Lehrmethoden sind ausgesprochen originell, sein Kleidungsstil grenzt an Verwahrlosung, nach Feierabend spricht er gern dem Alkohol zu, und seine weiblichen Bekanntschaften lassen sich an einer Hand abzählen; pro Woche.
Die bereits 2007 produzierte, aber erst zwei Jahre später ausgestrahlte erste Staffel firmierte noch als Sitcom, was im Grunde eine Mogelpackung war, denn was deutsche Sender unter Sitcoms verstehen, hat außer der Kürze (knapp dreißig Minuten) kaum etwas mit den in der Regel auf einer Bühne und vor Publikum aufgenommenen US-Vorbildern gemeinsam. Mit im Schnitt gut 2 Millionen Zuschauern war der Erfolg überschaubar; auch die Zahlen in der RTL-Zielgruppe (12,6 Prozent) waren nicht berauschend. Beim Deutschen Fernsehpreis 2009 sorgte die Auszeichnung als beste Serie für eine echte Überraschung.
Acht neue Folgen
Vier Jahre später zeigt RTL nun die zweite Staffel, die sich nicht nur für viele Zuschauer wie ein Neustart anfühlen dürfte. Im Pressematerial bezeichnet der Sender die Serie als "neue RTL-Dramedy", was insofern korrekt ist, als die acht Folgen mit jeweils 45 Minuten nun knapp doppelt so lang sind. Die Neuausrichtung hat der Serie in gleich mehrfacher Hinsicht gut getan. Schon die erste Staffel war keine pure Comedy, doch jetzt haben die Autoren Zeit, die Konflikte zu vertiefen; die Mischung aus dramatischen und komödiantischen Ebenen wirkt ausgewogener. Ähnlich wie bei "Danni Lowinski" oder zuletzt bei "Doc Meets Dorf" ist der Comedy-Anteil quasi der Köder, um anspruchsvolle Geschichten zu erzählen. In Folge eins geht es um einen 16-Jährigen, dessen Eltern ihm verschwiegen haben, dass er adoptiert ist, und der entsprechend schockiert aus allen Wolken fällt, als er zufällig davon erfährt. Zentrale Nebenfigur in Folge zwei ist eine Schülerin, die anscheinend ein Kind bekommen hat. In Wirklichkeit handelt sich bei dem Baby um ihre Schwester; die gemeinsame Mutter leidet unter postnataler Depression und kann sich nicht um das Kind kümmern.
Geschickt lockern die Drehbücher diese ernsten Themen durch typische Sitcom-Momente auf; auch die Anleihen bei Boulevardkomödien sind gut integriert. All dies aber ist kein Alleinstellungsmerkmal. Wirklich gut ist "Der Lehrer" wegen des Entwurfs der Titelfigur und ihrer Verkörperung durch Hendrik Duryn. Der Schauspieler mit dem melancholischen Milchglasblick überzeugt ebenso als unschuldiger Verführer wie als unkonventioneller Lehrer, und dank eines sorgsam trainierten Oberkörpers, den er immer wieder mal vorzeigen darf, besitzt er auch eine bemerkenswerte physische Präsenz; das hat ihn beispielsweise zum glaubwürdigen Spielpartner des noch besser gebauten Henning Baum in der diesjährigen Staffel der Sat.1-Serie "Der letzte Bulle" gemacht.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Klugerweise haben die Produzenten dafür gesorgt, dass es in den neuen "Lehrer"-Geschichten auch einen Blickfang für Männer gibt: Jessica Ginkel, für RTL von 2006 bis 2009 schon in "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" aktiv und später Titeldarstellerin der ZDF-Telenovela "Lena – Liebe meines Lebens", ist ein Garant dafür, dass nicht nur Stefan Vollmer dahinschmilzt; vor allem, wenn sie lächelt. Aber die neue Kollegin Karin Noske ist bereits vergeben und macht zumindest zunächst keinerlei Anstalten, ihren Freund für Vollmer sitzen zu lassen; ein simpler dramaturgischer Kniff, der dafür sorgt, dass die Serie zumindest auf der romantischen Ebene Fortsetzungscharakter hat.