Durch die Rhein-Main-Region ging ein Aufschrei: Anfang November wurde bekannt, dass Salafisten an sechs Schulen in der Region Jugendliche angeworben hatten, mit Aktionsständen vor den Schulen. Ein Vorgehen, das an die Schulhof-CD der rechtsextremen NPD erinnert. Etwa 30 junge Männer aus der Region sollen gar nach Syrien gereist sein, um islamistische Milizen im "Heiligen Krieg" zu unterstützen. Aus ganz Deutschland sind seit Beginn des Krieges über 220 Personen nach Syrien ausgereist, berichtet der Verfassungsschutz. Einige sollen bei Gefechten ums Leben gekommen sein.
"Der Staat löscht das Feuer, wenn es schon lange brennt"
In Frankfurt gründeten Vertreter von Schulen, Behörden und Polizei einen Runden Tisch, der in Zukunft öfter tagen soll. Schulleiter und Sozialarbeiter sollen von Polizei und Verfassungsschutz geschult werden, um radikalisierte Jugendliche besser erkennen zu können. Dass diese Gegenmaßnahmen erst so richtig anliefen, als es schon zu spät war und einige Männer nach Syrien ausgereist waren, wundert Experten nicht.
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"In Deutschland beginnen Maßnahmen gegen radikale Salafisten erst, wenn sie bereits kriminell geworden sind", sagt der Osnabrücker Religionssoziologe Rauf Ceylan. Im September ist sein Buch "Salafismus: Fundamentalistische Strömungen und Radikalisierungsprävention" erschienen. "Sind die Jugendlichen aber einmal drin im radikalen salafistischen Milieu, ist es schwer, sie wieder rauszubekommen", betont er. "Was wir jetzt machen, ist die Feuerwehrfunktion: Der Staat löscht das Feuer, wenn es schon lange brennt".
Zu den Feuerwehrmännern gehört Thomas Mücke. Sein "Violence Prevention Network" (VPN) berät seit einem Dreivierteljahr Personen aus dem Umfeld von radikalen Salafisten. "Mitschüler, Bekannte, Lehrer oder Familienangehörige wenden sich über eine Hotline an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Dort werden sie an uns verwiesen." Bei Mücke und seinen Kollegen landen die extremen Fälle. "Bis Eltern so eine Hotline anrufen, müssen die Sicherheitskräfte fast schon vor der Tür stehen", sagt der Pädagoge und Politologe.
Die VPN-Mitarbeiter haben immer wieder auch mit den Angehörigen von jungen Männern zu tun, die in Terrorcamps oder nach Syrien ausreisen wollen. In solchen Fällen müssen sie die Sicherheitsbehörden einschalten. "Die Salafisten versuchen ihre Rekruten von der Welt abzuschotten", berichtet Mücke. "Deshalb ist es wichtig, dass die Eltern diesem Prozess entgegenwirken und die offene Hand ausstrecken." Dass das nicht leicht ist, zeigt ein Fall, von dem Mücke erzählt: Ein Vater, der von seinem salafistischen Sohn als "Ungläubiger" bezeichnet wurde, brach den Kontakt zum Sohn ab. "Unsere Beratung zielt dann darauf ab, wie wir den Kontakt wiederherstellen können."
Vorbild Großbritannien
Ungläubig – das sind in den Augen der Salafisten alle anderen Menschen. Auch den Moscheegemeinden bereitet die Radikalisierung der Jugendlichen Kopfschmerzen, betont Religionssoziologe Ceylan. Er wünscht sich, dass die Gemeinden vom Staat noch stärker in die Präventionsarbeit einbezogen werden. Bislang seien sie meistens noch außen vor.
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Deutschland ist in Sachen Prävention gegen Salafismus noch Entwicklungsland. Dass es auch anders geht, zeigt Großbritannien. "Dort wurde nach den Anschlägen von 2005 viel Geld in die Hand genommen, gerade auch für die Prävention an Schulen", sagt Ceylan. "An der Schule muss die Akzeptanz für eine pluralistische und interkulturelle Gesellschaft glaubwürdig gelehrt und geschaffen werden."
Mücke und Ceylan sind sich einig: Bislang leistet Schule das in Deutschland nicht von sich aus. Mückes "Violence Prevention Network" bietet an Berliner Schulen interreligiöse Trainings an. "Ein muslimischer, ein christlicher, ein atheistischer und ein jüdischer Referent kommen gemeinsam in eine Klasse. Da geht es dann zum Beispiel um den Nahost-Konflikt." Dieser interreligiöse Unterricht verunsichere die Schüler und bringe sie zum Nachdenken, sagt Mücke. Auch er kritisiert: Wenn es um Prävention gegen Salafismus geht, nimmt der Staat zu wenig Geld in die Hand. Kaum ein Projekt kommt über die Modellfinanzierung hinaus. Die Gegenmaßnahmen der Sicherheitsbehörden hingegen verschlingen viel Geld.
"Es sind keine Streetworker da"
Ein flächendeckender muslimischer Religionsunterricht könnte die Radikalisierungsgefahr abschwächen, glauben Mücke und Ceylan. Bis es soweit sei, werde es aber noch Jahre dauern, sagt Ceylan, der vor Schnellschüssen warnt: "Wir sollten nicht in Schnelllehrgängen Lehrer ausbilden, die dann nicht qualifiziert genug sind. Das wäre kontraproduktiv, weil die Salafisten dann noch einfacher sagen könnten: Das sind keine religiösen Autoritäten."
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Salafisten kennen oft nur ihre Lesart des Islams. Auffallend ist die hohe Zahl von Konvertiten, die sich ihnen anschließen. "Nicht die religiös Gebildeten sind häufiger anfällig für den Salafismus, sondern eher Menschen ohne religiöses Grundwissen", sagt Ceylan. Deshalb sei religiöse Bildung so wichtig. Die Salafisten erreichen vor allem Menschen in einer Identitätskrise. Jugendliche aus muslimischen Familien fühlen sich häufig weder in Deutschland, noch in der Kultur ihrer Vorfahren angenommen. Das Muslim-Sein wird dann zur "Rest-Identität", wie Thomas Mücke es nennt. "Diese Rest-Identität wird dann immer radikaler." Die Betroffenen brechen aus der gefühlten Opferrolle aus und werden zu Tätern.
Ceylan beklagt, diese Jugendlichen schotteten sich nicht nur selbst von der Gesellschaft ab, sondern würden auch immer weiter ausgeschlossen. "Es sind keine Streetworker da, die sich um diese Jugendlichen kümmern", beklagt er. Die Salafisten holen ihre Rekruten also da ab, wo eigentlich Staat und Gesellschaft ansetzen sollten - mit einem Gefühl von Zusammengehörigkeit und Identität. Immerhin: Hessen hat Anfang Dezember angekündigt, sich für ein bundesweites Präventionsnetzwerk gegen Salafismus einzusetzen.