Herr Detering, die Adventszeit hat begonnen - eine Zeit, in der die Menschen so viel kaufen wie selten im Jahr. Und Sie veröffentlichen ein Buch über die Kunst des Verzichts. Wünschen Sie sich, dass die Menschen sich im Advent etwas mehr in Verzicht üben?
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Hermann Detering: Ja. Ich gehöre zur Spät-68-Generation, damals gab es das Wort vom "Konsumidioten". Heute gilt der Konsument eher als Wohltäter unserer Wirtschaft. Das ist unverantwortlich angesichts der Tatsache, dass unser ungezügelter Konsum die Ressourcen verknappt und wir den kommenden Generationen einen geplünderten Erdball hinterlassen. Aber auch jeder Einzelne profitiert vom Verzicht: Er gewinnt innere Freiheit.
Warum ist der Advent mittlerweile keine Fastenzeit mehr?
Detering: Der Advent ist immer noch eine Buß- und Fastenzeit. Die meisten, selbst viele Christen wissen es nur nicht mehr. Allerdings muss man es mit dem Fasten auch nicht übertreiben. Niemand muss zur Einstimmung auf Weihnachten auf Spekulatius und Adventskaffee verzichten. Aber es sollte alles in Grenzen bleiben, damit man sich noch auf das Weihnachtsfest freuen kann. Wenn Kinder schon zu Nikolaus mit Geschenken überhäuft werden, dann stimmen die Dimensionen nicht mehr.
Sie kritisieren eine Gier-ist-geil-Mentalität in Deutschland. Gehört diese Mentalität nicht zum Menschsein dazu oder ist sie ein Produkt unserer modernen Konsumgesellschaft?
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Detering: Die Gier gehört leider zum Menschsein dazu. Sie wird heutzutage von der Wirtschaft, der Werbung und den Medien permanent angestachelt. Die eigentliche Ursache für die Mentalität liegt im allgegenwärtigen Materialismus, und der wiederum hat auch etwas mit dem Verlust der Religion zu tun. Die Mehrheit der Menschen ist heute der Überzeugung, dieses Leben bis zum Exzess auskosten zu müssen. Viele Religionen haben sich in der Geschichte als wirkungsvolle Gierblocker erwiesen. Die Kirchenvertreter sind gefragt, Christen stärker auf eine Alternative zum heutigen Materialismus aufmerksam zu machen.
Wie gehe ich vor, wenn ich beschlossen habe, in einem bestimmten Bereich Verzicht zu üben?
Detering: Es gibt Menschen, die kaufen sich erst mal ein teures Notizbuch, in dem sie ihre Erfahrungen beim Fasten festhalten wollen. Was für ein Irrsinn! Die Devise sollte heißen: Verzicht sofort. Ich brauche keine teuren Utensilien.
"Schon ein wenig Konsumverzicht ist heute oft Stein des Anstoßes"
Viele Menschen müssen auch in Deutschland unfreiwillig verzichten. Sind arbeitslos, leben von Hartz IV. Vor allem in der (Vor-)Weihnachtszeit ist das oft schmerzhaft. Was können diese Menschen aus Ihrem Buch mitnehmen?
Detering: Das Beste ist, freiwillig verzichten zu dürfen. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass auch der erzwungene Verzicht eine Chance bietet. Man lernt sich selbst besser kennen und ist manchmal erstaunt, was man alles nicht braucht. Man merkt, worauf es ankommt.
Waren Asketen, die sich dauerhaft dem Konsum- und Besitzstreben verweigert haben, in der Geschichte schon immer gesellschaftliche Außenseiter? Wie kann heutzutage der Spagat gelingen zwischen eigener Überzeugung und den vielleicht auch notwendigen Anpassungen an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten?
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Detering: Der Spagat wird aus meiner Sicht nur selten gelingen. Schon ein wenig Konsumverzicht ist heute oft Stein des Anstoßes: Kaufe ich nicht alle drei Jahre einen Neuwagen, bin ich schon Außenseiter und muss ich mich mit den grinsenden Arbeitskollegen auseinandersetzen. Es braucht immer auch Mut und Selbstbewusstsein für einen alternativen Lebensstil.
Viele große Entsagungskünstler der Geschichte waren eher wunderliche Gestalten. Wer ist für Sie aktuell ein sympathischer Vertreter des Verzichts, der Sie inspiriert und auch andere inspirieren kann?
Detering: Besonders Franziskus von Assisi ist mir während der Arbeit an meinem Buch ans Herz gewachsen. Seine Form des Christentums, das Leben als Bettelmönch, imponiert mir sehr, auch wenn wir das heute nicht 1:1 auf unser Leben übertragen können und unsere bürgerliche Existenz aufgeben wollen. Aber man kann durchaus etwas aus dem Leben des Heiligen lernen. Seine Verehrung der "Herrin Armut" zeigt, dass Verzicht etwas Positives ist und sogar etwas Erotisches hat. Der Verzicht, den Franziskus praktiziert hat, ist eine Form der Gottesliebe: Alles, was ihr im Weg steht, wird über Bord geworfen.
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Auf welchen Genuss möchten Sie nicht verzichten?
Detering: Auf einen guten Braten von meiner Frau und ein Glas Rotwein oder auf eine Bach-Kantate möchte ich durchaus nicht verzichten. Der maßvolle Genuss ist aber auch nicht das Problem. Die Gier ist das Problem. Sie verhindert ja auch den Genuss: Ein voller Bauch kann nicht genießen.