Martin Luther, das ergab vor einigen Jahren eine "Spiegel"-Umfrage, ist der zweitwichtigste Deutsche nach Konrad Adenauer. Auf dem dritten Platz landete Karl Marx. In die Berliner Karl-Marx-Allee, genauer: ins Café Moskau, lud nun die Staatliche Geschäftsstelle "Luther 2017" ein, um eine Zwischenbilanz auf dem Weg zum 500-jährigen Reformationsjubiläum zu ziehen. Welche Bedeutung hat das Fest für Kirche, Gesellschaft, Tourismus? Was ist auf dem Weg bis 2017 zu tun, was zu lassen? Welche Projekte gilt es mit Blick auf die Feierlichkeiten zu fördern?
###mehr-artikel###Es gehe darum zu zeigen, "wie sich die Landschaft darstellt", sagte einleitend der Leiter der Geschäftsstelle, Stefan Zowislo. 35 Millionen Euro gibt allein der Bund für Projekte auf dem Weg zum Reformationsjubiläum. Beispielhaft wurden in Berlin zwölf der unterstützten Vorhaben vorgestellt. Die Palette reicht von einem Kunstprojekt in der Hauptstadt zu den zehn Geboten und einem Musikfestival am Niederrhein über das neugestaltete Melanchthonhaus in Wittenberg und den Lutherweg in Hessen bis hin zu großen Ausstellungsprojekten in Torgau oder Altenburg.
Wittenbergs schlechte Beschilderung
Karin von Welck, ehemalige Hamburger Kultursenatorin, gab bei der Veranstaltung zunächst einen Überblick über die Luther- und Reformationsfeiern im Verlauf der Jahrhunderte. 1617 stand der Kampf der Konfessionen im Mittelpunkt, 1717 die beginnende Aufklärung. Es folgte die Vereinnahmung Luthers durch Nationalismus und Diktaturen. Und 2017? "Wir müssen viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten, dass die Gedanken der Reformation noch heute gültig sind und uns etwas zu sagen haben", so von Welck. Sie beklagte zugleich die schlechte Verkehrsbeschilderung rund um Wittenberg – für sie ein Symbol des gesamten Projekts.
Tatsächlich stellen sich mit der 2008 begonnenen Lutherdekade, mit der Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam das Reformationsjubiläum vorbereiten, zunehmend kritische Fragen. So wird die unvermeidliche Lutherzentrierung beklagt. "Versuchen Sie mal, den Begriff 'Reformation' zu vermarkten", sagte dazu ironisch Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD). Auch das Datum 2017 wird hinterfragt. "Die Reformation nahm nicht durch den Thesenanschlag ihren Ausgang", sagte von Welck knapp. Historiker und Theologen sind sich einig, dass die 95 Ablassthesen ein vorreformatorischer Text sind.
Deutlich wurde bei dem Berliner Treffen auch, dass es mit Blick auf die Reformationsfeier eine bisher ungelöste Grundspannung zwischen kirchlichen und touristischen Gesichtspunkten gibt. 2017 als Ausgangspunkt zur Mission, zur Rück- oder Neugewinnung von Gläubigen? Ausgerechnet ein Nichttheologe und Nichtprotestant, der Münsteraner Historiker Thomas Großbölting, schrieb den Vorbereitungsgremien ins Stammbuch, die religiösen Impulse dürften nicht außen vor bleiben. Der Staat tendiere zu einer "Umarmung der Kirchen"; diese hätten es sich in einigen Dingen recht bequem gemacht auf Kosten des missionarischen Geistes.
Großböltings Argumente blieben gleichwohl nicht unwidersprochen. Stephan Dorgerloh, als Minister und ehemaliger EKD-Wittenbergbeauftragter gleichsam die personifizierte Staat-Kirche-Verbindung, erwartet für 2017 durchaus auch missionarische Aktivitäten. Es sei ein "spannendes Unterfangen", dass das Reformationsfest gemeinsam gestaltet werde – der Minister wehrt sich gegen die verkürzte Einschätzung, der Staat bezahle eine "Protestantenparty". Ähnlich äußerte sich Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Der Berliner Kirchentag im Frühjahr 2017, kündigte sie an, soll mit einem großen Gottesdienst in Wittenberg beendet werden.
###mehr-links###Ganz andere Töne hatte zuvor Sigrid Bias-Engels angeschlagen, die im Hause des Bundeskulturbeauftragten Bernd Neumann (CDU) für das Projekt 2017 verantwortlich ist. Das Reformationsjubiläum werde "immer noch als Sache der Kirchen wahrgenommen", äußerte sie. Dabei setzten sich Bund, Länder und Kommunen "in ganz ungewöhnlichem Umfang " für die Vorbereitung ein. Das sei in finanziell bedrängten Zeiten nicht selbstverständlich. Sie erntete darauf prompt Widerspruch von Friederike Tappe-Hornbostel, Sprecherin der Kulturstiftung des Bundes: "Man kann sich ein Jubiläumsjahr ohne herausgeputzte Lutherstätten gar nicht vorstellen." Natürlich sei der Staat in der Verantwortung.
Merkel und der Geist der Reformation
Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge dankte in seinem Schlusswort jedenfalls dem Staat, "der sich dieses Reformationsjubiläum so zu eigen macht". Die Zusammenarbeit sei sehr fruchtbar. Angesichts der vielfältigen touristischen Aktivitäten für 2017 zeigte er sich überzeugt, dass "die vielen Gäste auch mit existenziellen Fragen in Berührung kommen werden". Ganz ähnlich hatte sich vor wenigen Wochen keine Geringere als Angela Merkel geäußert, Bundeskanzlerin und Tochter eines evangelischen Pfarrers: "Ich hoffe, dass etwas vom Geist der Reformation wieder zu den Menschen gelangt."
Die Berliner Diskussionen waren durchaus kontrovers, aber von großem Ernst und auch Vorfreude auf das Jubiläum geprägt. "Der Streit an sich ist auch ein Erbe der Reformation", sagte Ellen Ueberschär. Der sogenannte "jour fixe", wie die Veranstaltung betitelt war, soll künftig jedes Jahr stattfinden. Bei der Neuauflage im November kommenden Jahres ist dann vielleicht auch EKD-Reformationsbotschafterin Margot Käßmann dabei, die bei der Premiere fehlte. Klar wurde nicht zuletzt, dass es bis 2017 noch viel zu tun gibt. Wie sagte schon Martin Luther selbst: "Wir sind's noch nicht, wir werden's aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang."