Auf die Frage, wer ihr etwas antun könnte, antwortet "franzi": "Ich mir selbst." Mehr als eine Minute blinkt die Nachricht auf dem Monitor. Keiner im Chatroom traut sich, ihr zu antworten. Etwa 15 Nutzer haben sich im virtuellen Raum der evangelischen Chatseelsorge versammelt, die an diesem Montag ihr zehnjähriges Bestehen feiert. Ihnen brennen ganz unterschiedliche Fragen auf der Seele. Manche möchten wie "franzi" einfach nur erzählen.
###mehr-artikel###Kaum hat der Gast mit der Nummer 21 den Raum betreten, schreibt er, dass er unter unheilbaren Schmerzen leidet. "Wenn man vor schmerzen nicht schlafen nicht laufen nicht essen kann ist es schon echt übel." Auch er habe manchmal Gedanken, sich das Leben zu nehmen. "Ich spüre das ich nicht genug kraft habe das noch ein paar jahre durch zu stehen", erzählt er. Mittlerweile hole er sich vorsichtshalber nur die Tagesdosis der schmerzstillenden Medikamente und Narkotika aus der Apotheke.
Den anonymen Nutzern steht an diesem Abend der Moderator Pastor Stephan Lorenz zur Verfügung. Er beantwortet und stellt Fragen im Minutentakt. "Du kannst hier über alles reden, was dir auf dem herzen liegt oder dasselbe springen lässt", schreibt er an einen unsicheren Neuling. Die Online-Seelsorge sei gefragt, sagt Lorenz. Die Nutzer im Alter von 14 bis 65 Jahren berichteten innerhalb des anonymen Rahmens sehr offen auch über schwierige Probleme. Seine Aufgabe sei es, zuzuhören und Mut zu machen, sich weiter Hilfe zu holen.
Hannover und Rheinland gemeinsam
Seit 2003 bietet die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers gemeinsam mit der Evangelischen Kirche im Rheinland die Seelsorge im Netz an. Derzeit 25 Pastoren, Sozialarbeiter und Pädagogen aus ganz Deutschland beraten im Wechsel jeden Montag- und Mittwochabend von 20 bis 22 Uhr per Internet. Seit März dieses Jahres gibt es dienstags und donnerstags zur gleichen Zeit einen Chat für Russlanddeutsche.
"Der Zugang soll für die Nutzer so niedrigschwellig wie möglich sein", betont Lorenz. Daher müssten sie sich nicht registrieren, sondern könnten sich mit einem Gastnamen direkt am Chat beteiligen. Pro Abend betreten bis zu 50 Nutzer den Raum, 30 sind zeitgleich zugelassen. Einzelgespräche mit den Seelsorgern sind in separaten Räumen möglich. Wer abends keine Zeit habe, kann die Mail-Seelsorge in Anspruch nehmen. Die Mails würden, wie alle Nutzerdaten, sehr vertraulich behandelt, sagt Lorenz.
"Viele Hilfesuchende fallen durchs Netz"
Demgegenüber sieht die Erziehungswissenschaftlerin Nadia Kutscher von der Universität Vechta nur eine begrenzte Hilfe durch Chats. Diese Art der Online-Beratung sei aufwendig. Ähnlich wie bei der Telefonseelsorge müsse immer ein Berater direkt ansprechbar sein. "Oft können die Chats aus Personalknappheit nur in Zeitfenstern geöffnet werden", sagt Kutscher. "Viele Hilfesuchende fallen da durchs Netz."
Im Chatroom entstehen derweil mehrere Unterhaltungen gleichzeitig. "Selbsthilfegruppen" nennt Lorenz die gegenseitige Hilfe. "Wenn es allerdings schlecht läuft, reden alle aneinander vorbei." Während manche Nutzer mehr über den Sinn des Lebens und religiöse Hintergründe erfahren wollen, möchten andere ihre Probleme thematisieren.
Von Stalkerin verfolgt
"Franzi" schreibt 20 Minuten später, warum sie sich am liebsten selbst etwas antun würde. Seit fünf Jahren werde sie von einer Stalkerin verfolgt, die erneut in ihre Nähe gezogen sei. "Ich liebe auch eine frau und hab noch was anderes nebenher, sehr kompliziert das leben", resümiert sie. Wieder weiß keiner so richtig darauf zu antworten. "Gast21" hingegen bekommt die Anteilnahme der Gruppe zu spüren. Seine Schmerzen können dadurch nicht gelindert werden. Aber er hat Zuhörer gefunden, wenn er davon erzählt, wie es ist, damit zu leben.