Nurjana Arslanova kam mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Deutschland, als sie elf Jahre alt war. Die Familie floh vor dem Bürgerkrieg in der Kaukasus-Republik Dagestan. Heute ist sie 23 Jahre alt und hat in der Bundesrepublik einen Realschulabschluss gemacht. Ihr Bruder und ihre Eltern dürfen inzwischen offiziell in Deutschland bleiben. Sie profitierten von einer Regelung für gut integrierte Jugendliche. Unter bestimmten Voraussetzungen dürfen Jugendliche bis 20 Jahren, ihre Eltern und ihre jüngeren Geschwister in Deutschland bleiben. Arslanova selbst fiel nicht unter die Regelung. Sieben Tage, bevor diese im Juli 2011 in Kraft trat, wurde sie 21 Jahre alt. Bis heute wird sie in der Bundesrepublik deshalb nur geduldet. Wenn die Härtefallkommission gegen sie entscheidet, muss sie zurück in ein Land, das sie nur aus ihrer Kindheit kennt.
###mehr-artikel###In der Phoenix-Sendung "Tacheles", die am Sonntag ausgestrahlt wurde, erzählte sie ihre Geschichte. '"Streit um Flüchtlinge – soll sich Deutschland öffnen oder abschotten" war das Thema der Diskussionsrunde. Früh habe sie die Erfahrung gemacht, dass Asylbewerber keinen guten Ruf haben. In einer Politikstunde diskutierte die Klasse über das Thema Asyl – ohne zu wissen, dass ihre Mitschülerin Flüchtlingskind war. Asylbewerber gingen nicht arbeiten, ihre Eltern zahlten Steuern für sie – "die brauchen wir nicht". Das war der Tenor der Klasse, erinnerte sich Arslanova. "Die wussten nicht mal, dass Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen", empörte sich die junge Frau. Das Arbeitsverbot und die Residenzpflicht kritisierte die heutige Sprecherin von "Jugendliche ohne Grenzen" dann auch: "Das dient der Abschreckung, Flüchtlingen soll gezeigt werden, dass sie nicht willkommen sind."
Menschenwürde, ein Totschlagargument?
Hier widerspricht Philipp Gut, stellvertretender Chefredakteur bei der Schweizer "Weltwoche". Seien die Leute zu gut integriert, werde es schwierig, wenn man sie wieder wegschickt. "Wenn sie arbeiten und integriert sind, wissen sie nicht, warum sie abgeschoben werden" sagte er. Landesbischof Gerhard Ulrich von der Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland mahnte, die Menschenwürde in der Debatte nicht zu vergessen. "Zum menschenwürdigen Leben gehört die Selbstbestimmung in der Bewegungsfreiheit, die Teilhabe an der Gesellschaft", sagte der Theologe. Auf den Einwand des CDU-Politikers Burkard Dregger, dass die Menschenwürde ein Totschlagargument sei, erwiderte Ulrich: "Wenn das Gespräch über Menschenwürde die Diskussion erstickt, haben wir noch nichts verstanden."
Dann brachte Ulrich die Diskussion einen entscheidenden Punkt weiter. "Wir können das nicht nur als deutsches Problem diskutieren, wir brauchen eine europäische Flüchtlings- und Asylpolitik." Der Bischof verwies kritisch auf die Regelungen von Dublin II, nach der ein Asylsuchender in dem Staat einen Asylantrag stellen muss, in dem er zuerst gelandet ist. Das führe dazu, dass kaum noch Flüchtlinge Deutschland erreichen, weil sie meistens in anderen Ländern ankämen. Arslanova ergänzte, dass in manchen EU-Ländern die Situation für Flüchtlinge unerträglich sei. Ungarn und Griechenland seien derzeit besonders rassistisch, Flüchtlinge würden auf der Straße zusammengeschlagen.
"Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen"
Es waren wenig neue Argumente, die in der Sendung ausgetauscht wurden. Doch allein die Wichtigkeit des Thema rechtfertigt jede Diskussion darüber. Spannend zu beobachten war der gewaltige Unterschied zwischen Dregger und Gut. Innerhalb der Diskussionsrunde waren sie die beiden, die eine tolerante Flüchtlingspolitik kritisch sehen, doch argumentierten und positionierten sie sich völlig unterschiedlich. Mit Sätzen wie "Die Kriminalität in der Nähe der Asylbewerberheime ist extrem groß", schürte Gut Ressentiments, während Dregger dagegen hielt: "Ich sehe keine Kriminalitätsfaktor. Natürlich gibt es sie, aber die gibt es immer." Und als Gut Christen, die sich für Asylbewerber einsetzen, vorwarf, sich außerhalb des Rechtsstaates zu bewegen, widersprach Dregger erneut ein. "Ich habe Respekt, wenn Menschen sich für andere engagieren."
Wie unterschiedlich die Positionen bei dem Thema sind, zeigte sich auch bei der Zuschauerbefragung in der hannoverschen Marktkirche. Während die einen glaubten, dass Deutschland genug für Flüchtlinge tue, forderten die anderen mehr Engagement. Ein Zuschauer analysierte nüchtern: "Leute ziehen da hin, wo der Futtertrog am größten ist. Das ist seit hunderten von Jahren so." Für Arslanova ist dieser Gedanke nicht nur eine Realität, sondern auch ein Traum: "Als Gott die Welt erschaffen hat, gab es keine Grenzen." Sie wünscht sich, dass alle Menschen reisen können, wohin sie wollen und dass die Armen aufgenommen werden. Ulrich erinnerte am Ende der Sendung an Jesus, der sagte: "Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen." Diese Grundhaltung gegenüber Fremden und eine neue Fremdenfreundlichkeit würde ganz Europa helfen, glaubt er.