Model mit Toten-Make-Up auf der Berliner Fashion Week
Foto: Tobias Schwarz / Reuters
Model mit Toten-Make-Up auf der Berliner Fashion Week
Tanz und Tod: Vom Mahnen bis zum Begräbnis-Strip
Der Tod ist ein Dauerthema künstlerischer Arbeit: Während im Mittelalter Darstellungen tanzender Toter als Abschreckung dienten, laufen heute als Tote geschminkte Models über Laufstege. In Mexiko tanzen alle gemeinsam auf dem "Día de los muertos" für die Toten und in Tibet stellt ein Totentanz-Ritual die gute und die schlechte Seele dar. Gerold Eppler, stellvertretender Direktor des Museums für Sepulkralkultur in Kassel, über die verschiedenen Aufgaben, die der Totentanz haben kann.

Herr Eppler, Sie haben sich bereits unter verschiedenen Aspekten mit dem Thema "Totentanz" beschäftigt, zuletzt als Sie die Ausstellung "tanz&tod" im Kasseler Museum für Sepulkralkultur kuratierten. Wie passt so etwas Gegensätzliches wie "Tanz" und "Tod" zusammen?

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Zunächst gar nicht, das sind ja wirklich komplementäre Dinge. Der Tanz setzt einen Körper voraus, der in Bewegung gesetzt werden kann. Er steht für Lebendigkeit, Ekstase, Dynamik. Während der Tod das Sinnbild ist für den absoluten Stillstand.

Diese Gegensätzlichkeit wird aber in den Totentanzbildern schon sehr früh aufgehoben. Zum Beispiel: Michael Wohlgemuts "Der Tanz der Gerippe" von 1493. Es zeigt Skelette, die in unterschiedlichen Verwesungszuständen aus den Gräbern hervor steigen und auf dem Friedhof tanzen. Dieses Motiv zeigt: Doch, trotz dieser Polarität geht das zusammen, sie scheint Künstler regelrecht zu faszinieren.

Die bildliche Darstellung des Totentanzes reicht in Europa also zurück ins Mittelalter – warum wurden tanzende Tote dargestellt?

Im Mittelalter diente die Totentanzdarstellung als Mahnung an die Lebenden, das Seelenheil nicht durch lasterhaftes Verhalten zu gefährden. Denn Wollust, Tanz, Körperbezogenheit und erotischen Motive hätten ja dazu führen können, dass man Gott aus den Augen verliert und somit sein Seelenheil verspielt. Es war eine Mahnung in dem Sinne, sein Leben auf ein Leben im Jenseits auszurichten. Im Laufe der Zeit verändert sich dieses Sinnbild in den Darstellungen. Das lässt sich im Bereich der Grafik erkennen, aber auch später in der Darstellenden Kunst.

Tanz der Gerippe

Heute lässt sich feststellen: Was in unserem Kulturkreis verbreitet ist, sind Vorstellungen vom Tod, die sich im Totentanz zeigen. Denn hinter diesen Bildern und bildhaften Darstellungen sowohl im Film, als auch in der Architektur oder in der Bildenden Kunst, in der Bildhauerei, in der Darstellenden Kunst, im Ballett, im Ausdruckstanz, geht es immer darum, eine Formulierung für den Tod zu finden: Der Tod, der sich unserer Erfahrung weitgehend entzieht - von dem wir aber wissen, dass es ihn gibt - fasziniert und erschreckt den Menschen gleichermaßen.

In welcher Form lassen sich in anderen Kulturen Bezüge zu diesem Motiv finden?

In vielen Kulturen ist Tanz Bestandteil der eigenen Identität. Das heißt, auch in Krisensituationen werden Tänze genutzt, um mit dem Göttlichen in Verbindung zu treten, zum Beispiel in Tibet. Der "Totentanz" kann aber auch eine entlastende Funktion erfüllen während eines Begräbnisrituals, etwa um die schwere Erschütterung, die ein Tod auslöst, bewältigen zu können.

Können Sie Beispiele nennen?

In Ghana ist es zum Beispiel so, dass bei Begräbnisfeiern getanzt wird. Der Trauerzug wird tanzend begleitet, Tänzer tragen den Sarg und defilieren mit dem Verstorbenen durch das Dorf, bevor sie sich auf den Weg zum Friedhof machen. Die Trauergesellschaft begleitet ebenfalls tanzend diesen Trauerzug. Auch während der Beerdigung und später zur Trauerfeier kommt es immer wieder zu Tänzen.

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Das Faszinierende dabei ist, dass Tanz auf der einen Seite die Möglichkeit bietet, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Auf der anderen Seite geben die Tänzer auch eine Form vor, so dass man sich nicht in diesen Gefühlen, in dieser Verzweiflung verliert. Beides ist gewährleistet. Da steckt großes Potenzial drin, das möglicherweise auch in westlichen Industrienationen genutzt werden könnte, die ja weitestgehend entritualisiert sind und die - aufgrund der christlichen Tradition - ein eher skeptisches Verhältnis zum Tanz haben.

Wo wird der Totentanz genutzt, um mit dem Göttlichen in Verbindung zu treten?

Beispielsweise in Tibet: Während unserer Ausstellung haben wir einen bön-buddhistischen Totentanz gezeigt. Dieses Ritual dient dazu, göttliche Prinzipien - vereinfacht gesagt - durch tänzerische Bewegungen zu veranschaulichen.

Es sind zwei Tänzer oder Tänzerinnen, die gleich gekleidet sind und fast identische Figuren und Bewegungen machen, sie stellen beide den Tod dar. Mit teilweise sehr koketten Bewegungen locken sie den Betrachter. Die Seele des Verstorbenen muss sich für einen der beiden Tode entscheiden. Wer den "bösen" und wer den "guten" Tod darstellt, das zeigt sich nicht. Man muss vielmehr einem Gefühl vertrauen und der Seele die Entscheidung überlassen - also nicht rational nach einem Motiv suchen, sondern sich dem entsprechenden Tänzer hingeben.

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Und in Taiwan wird gestrippt?

Ja, dort gibt es "Beerdigungs-Stripperinnen": Das mag zunächst skurril klingen. Auf Begräbnisfeiern singen sie, tanzen und lassen ihre Kleidung für männliche Verstorbene und für "niedere" Dämonen fallen. Man befürchtet, dass der Verstorbene oder die Ahnen mit dem Ablauf der Begräbnisfeier nicht zufrieden sein könnten, deshalb den Lebenden nicht wohl gesonnen sind und Unheil bringen können.

Diese Tanzaufführungen sind in Taiwan nicht so gern gesehen und die Tänzerinnen dürfen nicht alle Hüllen fallen lassen. Das findet erst dann statt, wenn sich der Trauerzug an dem Ort einfindet, an dem die Feier fortgesetzt wird, außerhalb der Öffentlichkeit. Aber hier zeigt sich der Zusammenhang zwischen Tanz, Tod und Eros.

Dann gibt es noch in Mexiko den "Día de los muertos", den "Tag der Toten", der im Herbst gefeiert wird.

In Mexiko wird die Vorstellung, dass die Toten aus dem Jenseits wiederkehren als farbenprächtiges und fröhliches Volksfest inszeniert. Dieser Totenkult wurde 2003 von der UNESCO in die Liste der Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit aufgenommen. Während des öffentlichen Totengedenkens treten Tänzerinnen und Tänzer selbst als Tod auf und schminken sich entsprechend.

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Dieses Prinzip der geschminkten Todesmasken wird teilweise in der Mode aufgegriffen: Die Österreicherin Lena Hoschek ließ ihren Models bei der Präsentation auf der Berliner Fashion Week 2012 "Sweet Skulls", ein Totenkopf-Make-Up, schminken. Das fand ich sehr eindrucksvoll, denn es zeigte, wie sich das Frauenbild verändert: Mode dient der Selbstinszenierung und Models sind in der Regel Mittel zum Zweck, sie sollen Kaufanreize schaffen. Deshalb wird ein bestimmtes Körperideal inszeniert. Wenn man sich nun diese Modenschau ansieht, die Frauen mit ihren Masken, die einerseits sehr dekorativ sind, andererseits aber auch deutlich machen, dass einem der Tod entgegentritt, dann kippt dieses Frauenbild.