Brigitte Herz* sagt, ihr Mann war ein Kämpfer, aber dann ist doch alles sehr schnell gegangen. Bauchspeicheldrüsenkrebs, Lungenentzündung. Samstagmorgens rief die Klinik an. Brigitte Herz ist ins Krankenhaus gefahren, um ihren Mann noch einmal zu sehen und sich zu verabschieden, auf dem Tisch im Zimmer lag die blaue Postkarte. Sie hat sie eingesteckt, weil ihr das Gedicht auf der Rückseite so gut gefiel. Vorne stand: Trauer-Café. Donnerstag 15 – 17 Uhr. Ein Woche später ist sie hingegangen.
Die erste Frage lautet immer gleich
Mit dem Tod endet alles, was das Krankenhaus für einen Patienten tun kann. Für die Angehörigen fängt die schwere Zeit erst an. In Berlin-Lichtenberg, im Sana Klinikum, findet deshalb einmal wöchentlich ein Kaffeetrinken für Trauernde statt. "Wir bieten einen geschützten Raum zum Reden und Zuhören", heißt es auf der Postkarte, die als Einladung in der Klinik ausliegt. Verantwortlich dafür sind die Krankenhausseelsorgerin Gabriele Smend und Kerstin Wolf, die Sozialarbeiterin der Klinik. Ihr Konzept: Zwei Stunden Zeit für Trauernde, mit Kaffee, Keksen oder Kuchen, an einer schön gedeckten Tafel. Sie hören zu, reden. Und weinen auch mit ihnen. Kommen darf jeder, egal ob er in dieser Klinik einen Angehörigen verloren hat oder nicht. Die erste Frage an die Besucher lautet immer: "Möchtest du einen Kaffee?" Das heißt: Willkommen.
###mehr-artikel###Brigitte Herz, 59, hatte bei ihrem ersten Besuch gerade die Beerdigung hinter sich gebracht. Und sie wusste sofort, dass sie wieder kommen würde. "Ich habe mich wohl gefühlt", sagt sie. Brigitte Herz ist Altenpflegerin, der Umgang mit dem Tod ist ihr nicht unbekannt. Sie stellt sich nicht die Frage: Warum? Sie hat keine Probleme, das Ende des Lebens zu akzeptieren. Aber dass ihr Mann nicht mehr da ist, das ist schwer. Der Alltag geht schließlich weiter: "Die Sonne geht auf, wie sonst auch", sagt Brigitte Herz, "ich habe gedacht: Wie kann das sein?" Oswald Herz starb mit 63. "Noch nicht mal Rentenalter", sagt sie. Gemeinsam hatten sie es fast bis zur Silberhochzeit geschafft.
Sie weinen mit ihnen
Der Tod ist in der Gesellschaft ein Tabu geworden. Kerstin Wolf und Gabriele Smend haben das auch beobachtet. Selbst im Krankenhaus, wenn alle wissen, dass es zu Ende geht, sagt die Familie "Hör auf", sobald Sterbende darüber sprechen wollen. Weil aber der Tod verschwiegen wird, hat sich auch über die Trauer eine große Sprachlosigkeit gelegt. "Trauer darf nicht sein, ist unangenehm", sagt Smend über ihre Beobachtung, "spätestens nach einigen Wochen sollen Trauernde wieder normal sein". So schnell geht das aber oft nicht. Und so werden die Trauernden, die doch eigentlich besonders viel Zuwendung bräuchten, leicht einsam. "Wenn die Gesellschaft mit Sterben und Trauer besser umgehen könnte, bräuchten wir kein Trauer-Café", sagt Smend.
Gabriele Smend ist evangelische Pfarrerin, aber im Trauer-Café redet sie weder vom Glauben noch von Gott, es sei denn, jemand fragt danach. "Einen zuerst christlichen Trost zu spenden ist nicht das Anliegen des Trauer-Cafés der Klinik", sagt sie. Das mache sie in der Sterbe- und Trauerbegleitung in der Klinik, wenn sie als Krankenhausseelsorgerin und damit als Pfarrerin gerufen werde. "Im Trauer-Café bin ich mit einem sehr offenen Seelsorgeverständnis. Im Sinne Jesu frage ich hier: Was brauchst du jetzt?". Ganz im Gegensatz zum sonstigen Krankenhausalltag, in dem es für alles Vorgaben gäbe, heißt es im Café: Keine Erwartungen. Das ist für die Mitarbeiter schwieriger, als sich an einen festen Ablauf zu halten. Und: die Trauernden kommen jede Woche in einer anderen Verfassung. "Zur Trauer gehören viele Gefühle, Schmerz, Einsamkeit, Sehnsucht, Verzweiflung, Schuld, Leere, Angst, Dankbarkeit, aber auch Erleichterung, Ärger oder Wut", sagt Smend. Nicht alle wollen weinen, nicht alle sich öffnen. Ihre Aufgabe sieht sie als ein "Mitgehen". Die Richtung bestimmen die Trauernden.
###mehr-links###Im Beruf von Brigitte Herz gelte: Lass dich krankschreiben oder sei richtig da. Sie arbeite, sie sei bei der Sache, "aber manchmal überkommt es einen eben doch". An diesem Tag musste sie während der Arbeit weinen. Im Trauer-Café kann sie einfach sie selbst sein. Hier gefällt es Brigitte Herz, dass ihr niemand Ratschläge erteilt, aber immer jemand für sie da ist. Sie hat mit den anderen über die Wahl des Grabsteins gesprochen, aber auch über ihre Arbeit und über ihre drei erwachsenen Kinder. Sie haben auch zusammen gelacht. Sie haben gebastelt, erst Schwäne, dann Kraniche aus buntem Papier gefaltet. "Ich finde Trost", sagt Brigitte Herz. Wenn sie sich ihr Leben als ein Schiff vorstellt, dann ist das Trauer-Café momentan der Anker. Nur drei Treffen hat sie in diesem Jahr verpasst. Auch fast ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes ist ihre Trauer noch da. "Manchmal erlebe ich auch etwas und denke: "Das musst Du zuhause erzählen", sagt sie, "Aber zuhause bin ich ganz allein". Ihre Kinder sind bereits ausgezogen.
Zum Abschied ein Engel
Im Trauer-Café sind immer mindestens zwei Ansprechpartner für die Gäste da. Schwestern der Klinik beteiligen sich ehrenamtlich. Eine halbe Stunde vorher dem Treffen decken die Helfer den Tisch in einem Raum, der sonst ein normaler Sitzungsraum ist. Die Begeisterung und Unterstützung der Klinik könnte noch stärker sein, findet Smend.
Das Ende des Treffens ist jeden Donnerstag ein kleines Ritual. Alle Gäste dürfen eine Karte ziehen, auf der ein Engel abgebildet ist. Der Engel der Achtsamkeit zum Beispiel, oder der Engel der Nachsicht. "Ganz oft ist es genau der, den ich gebraucht habe.", sagt Brigitte Herz, "Natürlich wäre ein anderer auch gut gewesen, aber damit kann ich der Woche eine Richtung geben." Neun Tage nur war ihr Mann vor seinem Tod im Krankenhaus, heute denkt sie, wenn er zuhause gestorben wäre, hätte sie nie von dem Trauer-Café erfahren. Dass es anders wahr, kommt ihr im Rückblick wie ein Segen vor.