Schlafraum der Flüchtlinge in der Kirche Cantate Domino
Foto: Jochen Günther/jgfoto
Der Schlafraum der Flüchtlinge in der Kirche Cantate Domino ist auf Dauer ungeeignet.
Lampedusa in Frankfurt: Anstrengend, wunderbar, ernüchternd
Sie ziehen mit der U-Bahn um. Möbel haben sie schließlich nicht, die 22 afrikanischen Flüchtlinge, die seit zehn Tagen in der Kirche Cantate Domino im Frankfurter Nordwesten wohnen. An diesem Mittwoch werden ihre wenigen Habseligkeiten und das Bettzeug mit einem Bulli abgeholt. Die Männer werden eine Weile in der entwidmeten Gutleutkirche im Stadtzentrum leben. Für wie lange? Das weiß niemand.

"Unsere Kirche ist für die Gruppe für einen längeren Zeitraum einfach zu klein", sagt Sabine Fröhlich, Pfarrerin der Kirchengemeinde Cantate Domino in der Frankfurter Nordweststadt. Gemeinsam mit Nachbarkirchengemeinden hatte Cantate Domino am vorvergangenen Sonntag spontan beschlossen, 22 Männer aus Afrika, die unter einer Brücke am Main campierten, bei sich aufzunehmen. Matratzen wurden gebracht, Kartoffelsuppe gekocht. Konfi-Gruppen, Kirchenvorstände, Gemeindeglieder und Vikare brachten sich ein. Die fünf Nordweststadtgemeinden rückten näher zusammen, wurden fast euphorisch angesichts ihrer gemeinsamen Aktion der tätigen Nächstenliebe. "Es ist anstrengend und gleichzeitig wunderbar", sagt Sabine Fröhlich.

Jeden Tag ein warmes Abendessen für 22 Männer in der Kirche: Auf Dauer ist das nicht nur gemütlich, sondern auch anstrengend.

Doch schon an der langen Ansage auf dem Anrufbeantworter der Pfarrerin hört man, wie anstrengend es wirklich ist. Die Nordweststadt-Gemeinden haben sich mit der Flüchtlings-Aufnahme viel zugemutet. Sachspenden mussten koordiniert, Kochdienste eingeteilt, Besprechungen einberufen werden, dazu tausend Kleinigkeiten. Jetzt wird die Last auf mehr Schultern verteilt: An einem runden Tisch im Evangelischen Regionalverband wurde vergangenen Freitag vereinbart, dass die Flüchtlinge in die leer stehende ehemalige Gutleutkirche im Stadtzentrum umziehen und von der Hoffnungsgemeinde und dem Diakonischen Werk Frankfurt betreut werden. Von der Gutleutkirche aus gehen die Männer nur ein paar Schritte zur Obdachloseneinrichtung "Weser 5", wo sie duschen und Wäsche waschen können. Essen bekommen sie sowohl in der Kaffeestube der Hoffnungsgemeinde als auch im städtischen Obdachlosen-Tagestreff "Weißfrauen".

Sabine Fröhlich versucht jetzt, die "unglaubliche Unterstützungswelle von überall her" an den neuen Ort umzuleiten und zu koordinieren - gemeinsam mit ihrem Kollegen Ulrich Schaffert von der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde. "Wir hoffen, dass wir weitere Helferinnen und Helfer finden", sagt Schaffert. So groß der anfängliche Enthusiasmus auch war – den Hauptamtlichen in den Nordweststadt-Gemeinden fällt an diesem Mittwoch ein Stein vom Herzen. Sie sei erleichtert, dass das Diakonische Werk den Umzug organisiere, sagt Sabine Fröhlich.

Sie scheitern an den Asylgesetzen

Der Umzug wird unspektakulär ablaufen: Ein Mitarbeiter des Diakonischen Werkes holt mit einem Bulli Matratzen und Taschen ab, während die Flüchtlinge mit der U-Bahn fahren. Georg Bastian, Leiter des Arbeitsbereiches Diakonische Dienst beim Diakonischen Werk in Frankfurt, hat Feldbetten organisiert. Viel mehr wird er nicht tun. "Das sind erwachsene Männer", sagt Bastian "Wir wollen vermeiden, dass sie überbetreut werden." Einmal am Tag werde ein Mitarbeiter des Diakoniezentrums in der Gutleutkirche vorbeischauen, die Hoffnungsgemeinde bringe Putzzeug und Toilettenpapier, ansonsten seien die Männer auf sich allein gestellt.

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Georg Bastian macht keinen Hehl daraus, dass er die spontane Aktion der fünf Nordweststadt-Gemeinden blauäugig fand. "Wenn es eine Gemeinde gibt, die solche Flüchtlinge aufnimmt, ist das erst mal schön und gut – aber man muss sich dann auch überlegen: Wie geht es denn weiter?" Das Diakonische Werk kümmere sich jetzt zwar um das Gröbste, doch auch Bastian weiß nicht, wie lange die Flüchtlinge bleiben – bis Februar, bis März? – und was dann mit ihnen passiert. Die Migrationsberatung des Diakonischen Werkes versuche herauszufinden, in welchem Aufenthaltsstatus die 22 Männer sind. Offenbar – das ergaben evangelisch.de-Interviews in der vergangenen Woche - haben einige von ihnen in Italien Asyl beantragt und könnten dort arbeiten, wenn es Arbeit für sie gäbe. Drei Monate lang dürfen sie sich frei in Europa bewegen, haben aber in Deutschland keine Arbeitserlaubnis.

Allein das zu begreifen, fällt den Afrikanern schwer. Sie wollen in erster Linie arbeiten, Geld verdienen, für sich selber sorgen, anstatt auf Hilfe angewiesen zu sein. Sie wollen aus dem reichen Europa Geld zu ihren Familien nach Hause schicken – und scheitern nun an den Asylgesetzen und der Bürokratie. In der Migrationsberatung werde den Flüchtlingen sicher klar werden, "welche Chancen sie hier haben oder auch nicht haben", sagt Georg Bastien und schiebt nach: "Ich gebe ihnen keine großen Chancen. Sie müssen im Grunde zurück nach Italien."

"Ein uferloses Unterfangen"

An Gesetzen wie dem europäischen Dublin-Abkommen können die Frankfurter Christen eben kurzfristig nichts ändern – auch wenn sie das noch so gern würden. Volker Jung zum Beispiel, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, sagte vergangene Woche: "Es ist für mich schwer erträglich, wenn wir uns in Europa auf unsere jüdisch-christliche Werteorientierung berufen und gleichzeitig Flüchtlinge zu Tausenden im Mittelmeer ertrinken." Der Kirchenpräsident, der auch der auch Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, appellierte vehement an die Politik: Die Verfahren für Hilfesuchende müssten einfacher werden, Flüchtlinge aus Krisengebieten sollten Visa bekommen, die Länder an den EU-Außengrenzen bräuchten Unterstützung. Gleichzeitig hat Volker Jung die Aktion der Frankfurter Gemeinden ausdrücklich als "Akt der Nächstenliebe" gewürdigt: "Das Dach einer Kirche ist zum Übernachten allemal besser als ein Brückenbogen."

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Das Zwischenfazit der Aktion "Lampedusa in Frankfurt" ist auf der einen Seite ermutigend: Fünf Kirchengemeinden haben ein deutliches Signal gesetzt und auf die Lage von Flüchtlingen aufmerksam gemacht, die hier bei uns unter einer Brücke campierten. Evangelische Christen sind tätig geworden, anstatt schweigend zuzusehen. Sie haben zusammengehalten und andere unter Zugzwang gesetzt - den Evangelischen Regionalverband und das Diakonische Werk. Und sie haben nicht zuletzt Öffentlichkeit erzeugt für das Flüchtlingselend in Europa.

Auf der anderen Seite ist es ernüchternd. Zwar wurden 22 Männer vor dem Erfrieren gerettet und haben nun für einige Wochen oder Monate ein Dach über dem Kopf, doch wahrscheinlich müssen sie zurück ins Elend, wahrscheinlich wurde ihnen vergeblich Hoffnung gemacht. Und bevor sie ihren Freunden in Italien berichten: Hier nimmt die Kirche uns alle auf! sei deutlich gesagt: Das Diakonische Werk Frankfurt ist nicht bereit, weitere Afrikaner unter der Mainbrücke aufzusammeln. "Wir haben gesagt, die 22 bringen wir unter, aber keinen weiteren mehr", sagt Georg Bastian. "Das wäre ein uferloses Unterfangen."