Foto: Thinkstock/Hemera/Pavel Losevsky
Spät ertaubte Menschen brauchen einen Schriftdolmetscher, um mit der Außenwelt zu kommunizieren.
Mit Laptop und Beamer Barrieren überwinden
Was ein Gebärdendolmetscher ist, wissen alle, aber der Beruf des Schriftdolmetschers ist neu. Für schwerhörige oder spät ertaubte Menschen garantieren sie Barrierefreiheit - in der Ausbildung, vor Gericht, bei Konferenzen oder auch auf Parteitagen.
08.12.2013
epd
Marlene Grund

Birgit Nofftz sitzt am Rande des Podiums an einem kleinen Tisch und spricht sehr leise, aber überdeutlich in die Sprachmaske vor ihrem Mund. Mit einer kaum wahrnehmbaren Verzögerung erscheinen die Sätze der Redner in Schriftform auf der großen Leinwand hinter ihr, zum Mitlesen für Schwerhörige und Hörende. "Ich spreche nach, was ich höre, einschließlich der Satzzeichen", erläutert die Schriftdolmetscherin. Eine speziell auf sie eingestellte Computer-Software wandelt die gesprochene Sprache in Schrift um.

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Gleichzeitig liest Birgit Nofftz jeden Satz mit und korrigiert per Hand falsch geschriebene Namen oder nicht erkannte Wörter. Besonders häufig stolpert der PC über Begriffe in deutschem Englisch, wie "downgeloadet" oder "coming out". Derart hoch konzentriert kann die Schriftdolmetscherin bei öffentlichen Veranstaltungen höchstes eine Stunde lang arbeiten, dann wird sie von einer Kollegin abgelöst.

Die 35 Jahre alte studierte Phonetikerin gehört zu den Pionierinnen des neuen Berufszweiges. Seit dem Jahr 2005 arbeitet sie für Hörgeschädigte, ein Jahr später gründete sie in Trier die Kombia GbR und startete die Ausbildung von Schriftdolmetschern. Heute leitet sie mit ihrem Mann eine deutschlandweite Vermittlung mit sechs Angestellten. Von den derzeit rund 100 Schriftdolmetschern in Deutschland, die mit Laptop oder Beamer und Spracherkennungssoftware arbeiten, ging ein Fünftel durch ihre Schule.

Selbstbestimmtes Handeln und Entscheiden unterstützen

"Der Bedarf an unseren Diensten ist groß", sagt Birgit Nofftz und verweist auf eine Studie des Deutschen Schwerhörigenbundes. Danach müsste es bundesweit rund 1.300 Schriftdolmetscher geben, damit die rund eine Million schwerhörige oder ertaubte Menschen in Deutschland ihre elementaren Rechte wahrnehmen können.  

Sie schildert den Fall einer jungen Frau, die als Folge einer schweren Krankheit ihr Gehör verlor. Früher begleiteten sie Angehörige zu Arztbesuchen, notierten für sie einen Teil des Gespräches auf einen Block, beantworteten aber viele Fragen auch selbst. Nie kamen die Informationen vollständig bei der jungen Frau an. Hier kann ein Schriftdolmetscher auch in schwierigen Lebenssituation das selbstbestimmte Agieren und Entscheiden unterstützen.

Die Schriftdolmetscherin Birgit Nofftz mit einer Kollegin im Einsatz bei dem Fachforum "Behindert oder fördert Inklusion?" in der Saarbrücker Johanneskirche.

Während taub geborenen Menschen in der Regel die Gebärdensprache zur Verfügung steht, bleibt diese für Schwerhörige oder Spätertaubte häufig eine Fremdsprache, in deren Grammatik und Kultur sie sich nicht heimisch fühlen. Eine Vorlesung in Gebärdensprache zu verfolgen, sei dann schwierig, sagt Birgit Nofftz. Ein Schriftdolmetscher könne über Inhalte und Fachbegriffe hinaus auch Wortwahl und Sprachstil - die Eigenheiten des Sprechers - exakt wiedergeben.  

Die gesellschaftliche Debatte über Inklusion wandelt allmählich das Bewusstsein behinderter Menschen. Empfanden sich früher viele als Bittsteller, wenn sie trotz Hörgerät weitere Hilfen brauchten, so fordern sie heute mit weitaus mehr Selbstbewusstsein die ihnen zustehende Unterstützung, in der Ausbildung, auf Ämtern, in der Öffentlichkeit.

Eingangsvoraussetzung: 200 Anschläge pro Minute auf der Tastatur

Auch bei Kommunen und Verbänden, in der Politik und bei den Kostenträgern beginne ein Umdenken in Richtung Barrierefreiheit für Behinderte, stellte Birgit Nofftz fest. Zwar besteht in vielen Bereichen - bei Ärzten, in Ausbildung und Studium - ein Rechtsanspruch auf Unterstützung und Kostenübernahme, doch diese muss von dem Behinderten selbst beantragt werden. Bei Ämtern und vor Gericht muss der Hörgeschädigte lediglich den Bedarf anmelden. Der Regelstundensatz der Schriftdolmetscher liegt bei 75 Euro.

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Seit 2001 ist das Berufsbild Schriftdolmetscher im Sozialgesetzbuch aufgenommen. Es ist ein Frauenberuf, sagt Nofftz: "Soziales und Sprache in Kombination - da bleibt der Männeranteil klein." Erforderlich sind schnelle Finger: 200 Anschläge pro Minute auf der Normaltastatur seien eine der Eingangsvoraussetzung, "aber das Tempo muss sich im Lauf der Ausbildung dann steigern".

Derzeit schließen die Absolventinnen mit einem Zertifikat ab, eine staatliche Prüfung soll es im Jahr 2015 geben. Birgit Nofftz, zweite Vorsitzende des Bundesverbands, arbeitet an den Curricula mit. Ihren Beruf empfiehlt sie uneingeschränkt: "Er ist ein großes Geschenk - eine sinnvolle und erfüllende Tätigkeit."