Es hat nicht sollen sein. Vier Jahre stand Günther Beckstein im Präsidium der EKD-Synode im Schatten der Vorsitzenden Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen), nun wollte der bisherige Vize selbst ans Ruder. Doch das evangelische Kirchenparlament ließ den CSU-Politiker spektakulär abblitzen, setzte ihm erst eine Zählkandidatin vor die Nase und wählte schließlich Irmgard Schwaetzer (FDP) an die Synodenspitze. Statt der grünen bekommt der schwarze Beckstein nun eine gelbe Chefin.
"Wusste, dass es kritisch wird"
Es ging dramatisch zu am Sonntag in Düsseldorf, und manches hatte sich bereits in den Tagen zuvor angedeutet. "Ich wusste, dass es kritisch ist", wird Beckstein später im Gespräch mit evangelisch.de sagen. Der bayerische Ex-Ministerpräsident selbst hatte nicht gerade dazu beigetragen, seine Wahlchancen zu erhöhen. Nach dem Rückzug Göring-Eckardts hatte er seine Kandidatur selbst angekündigt – was in der Politik als Ausdruck von Entschlossenheit und Führungsstärke gilt, kommt in der evangelischen Kirche nicht ganz so gut an. Viele Synodale hielten Becksteins Vorgehen für zu nassforsch. Man greift nicht nach Ämtern, sondern wird gebeten.
Hinzu kam Becksteins Äußerung kurz vor Beginn der Synodentagung, die evangelische Kirche müsse stärker theologisch arbeiten und "frömmer" werden. "Wir brauchen lutherische Theologie in der EKD und nicht nur Gundlach-Theologie", sagte Beckstein beim Treffen der lutherischen Landeskirchen. Der herbe Seitenhieb gegen Thies Gundlach, Vizepräsident im EKD-Kirchenamt und einer der einflussreichsten evangelischen Kirchenfunktionäre, löste allseits Verwunderung und Kopfschütteln aus. Zumal Gundlach selbst Lutheraner ist. Beckstein schob Tage später eine augenzwinkernde Entschuldigung nach.
So durfte man gespannt sein, ob es ihm gelingen würde, in der Synode eine Mehrheit auf sich zu vereinigen. "Du musst im ersten Wahlgang mit einem Denkzettel rechnen", hatten einige dem Vizepräses zuvor zugeraunt. Die Synodenspitze rechnete dennoch mit einem knappen Sieg. Denn die Gegenkandidatin, die man Beckstein kurz vor der Abstimmung vor die Nase setzte, schien keine echte Alternative zu sein. Die 73-jährige Juristin Brigitte Boehme aus Bremen nutzte ihre Vorstellung vor den EKD-Kirchenparlamentariern zu nicht viel mehr als einer fröhlichen Plauderei, ein Profil wurde nicht deutlich.
Die Gegenkandidatin siegt nicht ganz
Gleichwohl siegte Boehme – wenn auch nicht ganz. 64 Stimmen, die Mehrheit der Synodenmitglieder, waren für die Wahl nötig. Die Bremerin erreichte im ersten Durchgang 60, Beckstein nur 54. Ein Raunen ging durch das Plenum. Der CSU-Politiker zögerte kurz, noch einmal anzutreten, und tat es doch. Das Ergebnis der zweiten Runde war kaum verändert: Boehme 59 Stimmen, Beckstein 56. Das hätte sich in den folgenden Wahlgängen wahrscheinlich so fortgesetzt. Beckstein kapitulierte. Um 17.30 Uhr gab er zu Protokoll: "Ich möchte erklären, dass ich für einen dritten Wahlgang nicht mehr zur Verfügung stehe."
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Dann gingen die evangelischen Parlamentarier erst einmal zum Abendessen. Währenddessen wurde Boehme bearbeitet, auch ihre Kandidatur fallenzulassen. Das tat sie schließlich, widerstrebend und mit der bizarren Begründung, es habe "Irriationen über das Wahlverfahren" gegeben. Spätestens dann war klar, dass die Bremerin eine reine Zählkandidatin mit dem Ziel war, Beckstein zu verhindern. Auch die Synodenspitze machte daraus am Montag keinen Hehl mehr.
Warum aber fand der bayerische Ex-Landeschef keine Mehrheit im evangelischen Kirchenparlament - abgesehen von der hartnäckig vertretenen Ansicht, die Synode habe unbedingt wieder eine Frau an der Spitze haben wollen? Ein ganzes Bündel von Gründen ließe sich heranziehen. Becksteins zuweilen burschikoser Charme komme nicht bei allen gut an, hieß es. Diplomatie gehöre nicht zu seinem Kerngeschäft. Manche Schwächen in der Sitzungsleitung werden ihm angekreidet, so scheiterte im vergangenen Jahr wegen eines Formfehlers fast die Verabschiedung eines Kirchengesetzes. Zudem scheint Beckstein in den Tagen vor der Wahl auch manchen Rückhalt in seinem eigenen Lager, dem lutherischen, verloren zu haben.
Familienpapier und Asylpolitik
Das lag nicht nur an der Bemerkung über die "Gundlach-Theologie", sondern vor allem an Becksteins Haltung zum umstrittenen EKD-Familienpapier, das er mit harschen Worten kritisiert hatte. Für viele Synodale sei es offenbar "zu viel" gewesen, so Beckstein am Montag, dass er seine Meinung über die sogenannte Orientierungshilfe, für ihn Ausdruck eines fehlgeleiteten Zeitgeistes, offen geäußert habe. Und auch in der Asylpolitik, die zurzeit in aller Munde ist, vertritt Beckstein Ansichten, die in der liberalen EKD-Synode nicht gut ankommen.
All dies lässt den CSU-Mann Beckstein zum Schluss kommen, er sei Opfer der evangelischen "Farbenlehre" geworden. "Für die Spitze der EKD wäre es sehr ungewöhnlich gewesen, einen religiös Konservativen und politisch Konservativen an der Spitze zu haben", sagte er am Montag einem Radiosender seiner bayerischen Heimat: "Die Farbenlehre der evangelischen Kirche ist an der Spitze, dass Rosarot bis Feuerrot vertreten ist und Pastellgrün bis Tiefgrün. Weiß-Blau oder Schwarz war bisher dort nicht vertreten." Die protestantische Angst vor dem schwarzen Mann.
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Gleichwohl war im Kirchenparlament das schlechte Gewissen gegenüber Beckstein spürbar. Viele Delegierte fühlten sich an die würdelosen Begleiterscheinungen bei der Ratswahl von 2009 erinnert, als die heutige Berliner Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein über mehrere Wahlgänge hinweg zermürbt wurde und sich schließlich unter Tränen zurückzog. Ein Platz im Rat blieb daraufhin ein ganzes Jahr lang zunächst unbesetzt. Damals waren es die Konservativen, die die Kandidatin verhinderten. Diesmal war es umgekehrt.
Gerüchte über vorzeitige Abreise
Am Sonntagabend nach seinem Verzicht ward Beckstein zunächst nicht mehr gesehen, weder im Plenum, wo Schwaetzer schließlich gegen 23 Uhr zur Synodenvorsitzenden gewählt wurde, noch beim anschließenden CDU-Empfang. Gerüchte über seine vorzeitige Abreise machten die Runde, Journalisten eilten zur Rezeption des Tagungshotels, um sich dort ein Dementi abzuholen. In Wahrheit war Beckstein mit seiner Frau in der Düsseldorfer Innenstadt zum Essen gegangen – das Paar feierte just an diesem Sonntag seinen 40. Hochzeitstag.
Am Montagmorgen wirkte der gescheiterte Kandidat wieder ganz aufgeräumt. "Alles hat im Leben zwei Seiten. Es gibt schlimmere Sachen", sagte er zu evangelisch.de. Weder an Abreise hat er gedacht noch daran, den Posten als Vizepräses abzugeben. "Wer mich kennt, weiß, dass ich nichts aus dem Moment heraus entscheide." Seine künftige Chefin Schwaetzer kennt er schon aus der Zeit, als sie Anfang der 1990er Jahr Bundesbauministerin war und er als bayerischer Innenminister zuständig für das Bauwesen. Die Zusammenarbeit mit ihr werde "nicht besonders schwierig", sagt Beckstein nüchtern. Schwaetzer wiederum fällt nicht viel ein, als man sie fragt, was sie nun gemeinsam mit Beckstein bauen wolle.
"Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein"
Ein bisschen verschmitzt wird das Gesicht des CSU-Politikers, als er einräumt: Ja, vielleicht sei es ihm auch darum gegangen zu demonstrieren, dass die EKD noch nicht reif für einen entschieden konservativen Spitzenfunktionär sei. In dem "rot-grünen Haufen", wie andere ihn nennen, fühlt sich Beckstein offenkundig dennoch wohl. Die Niederlage wird der kernige Nürnberger verschmerzen. Er dürfte es mit dem Dichter des Frankenliedes "Wohlauf, die Luft geht frisch und rein" halten, Victor von Scheffel: "Behüt dich Gott, es wär zu schön gewesen, Behüt dich Gott, es hat nicht sollen sein!"