Foto: dpa/Henning Kaiser
Nikolaus Schneider bei seinem Bericht vor der EKD-Synode.
Ratsbericht auf der Synode: Gelassen im Getümmel der Zeit
EKD-Ratschef Schneider bleibt sich auch in schwierigen Zeiten treu
Zwischen energischer Meinungsäußerung und abwägender Nachdenklichkeit: Der Ratschef der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, zeigt sich in seinem Bericht vor der EKD-Synode von mehreren Seiten. Der Beifall für den obersten deutschen Protestanten fällt verhalten aus.

Nikolaus Schneider ist gelassen. "Von einer Führungskrise in der EKD kann überhaupt keine Rede sein", sagt er hinterher zu Journalisten. Seinen Bericht vor der evangelischen Kirchensynode, die am Sonntag in Düsseldorf ihre Beratungen aufnimmt, hat er zuvor in zurückhaltendem Gestus begonnen, fast calvinistisch nüchtern. Erst nach ein paar Minuten fassen die Hände an die Seiten des Pultes, von dem aus er spricht, greifbare Gelassenheit. Der Ratsvorsitzende redet sich warm. Er ist kein Mann für die Defensive.

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Doch es sind keine leichten Zeiten für Schneider. Die seit Monaten tobende Diskussion um das umstrittene EKD-Familienpapier hat Energien gebunden, Gräben aufgerissen, Nerven gekostet. Der alte Gegensatz zwischen Konservativen und Liberalen im deutschen Protestantismus feiert fröhliche Urständ. Die einen beklagen die vermeintliche Abwertung der klassischen Ehe, die sie aus der im Juni veröffentlichten Orientierungshilfe herauslesen. Die anderen begrüßen die Anerkennung homosexueller Partnerschaften als Fortschritt und Akt der Befreiung.

Ein moderierender Parteigänger

Schneider gibt sich gar keine Mühe zu verbergen, welcher Seite er zuneigt. Er übt sich vielmehr in der schwierigen Rolle des moderierenden Parteigängers. Der EKD-Ratschef betont einerseits "Wertschätzung der Ehe zwischen Mann und Frau". Diese bleibe das "Leitbild". Doch auch Alleinerziehende, Patchworkfamilien und homosexuelle Paare verdienten kirchliche Wertschätzung und Förderung. Es sei ein Verdienst der Orientierungshilfe, dass sie dies ausgesprochen und dazu konkrete Vorschläge formuliert habe.

Gleichsam als Hinleitung versucht der frühere rheinische Präses zuvor, die Streitfrage auch theologisch zu klären. Zwar verurteile die Bibel homosexuelle Praktiken, räumt er ein. Doch eine pauschale Verurteilung gleichgeschlechtlicher Beziehungen widerspreche dem Geist der Liebe, "die in Jesus Christus zur Welt gekommen ist". Deshalb würdige das EKD-Papier diese Liebesverhältnisse, "obwohl es dafür keine direkten Schriftbezüge gibt", so Schneider. Der bloße Verweis auf den biblischen Wortlaut sei kein hinreichendes Argument, um theologische Fragen zu klären.

Geoffenbart, geschrieben, verkündigt

Dies wiederum hatte der Ratschef mit der Wort-Gottes-Definition des berühmten reformierten Theologen Karl Barth (1886-1968) hergeleitet. Das geoffenbarte Wort durch Jesus, das geschriebene Wort in der Bibel sowie das verkündigte Wort in der Predigt müssten stets aufeinander bezogen bleiben. "Jede Vereinseitigung", so Schneider, "führt zu theologischen Engführungen und dadurch zu Fehlurteilen." Manche Aspekte der Orientierungshilfe sowie der Diskussion darüber seinen Folge solcher Vereinseitigungen.

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Das ungeteilte, recht verstandene Wort Gottes also "als Richter, Regel und Richtschnur im Getümmel der Zeit", wie es in Schneiders Ausführungen in der Überschrift zu Abschnitt vier heißt. Das klingt nach einem eher bürokratischen Geschäftsbericht. Doch der Eindruck täuscht. Schneider nimmt in theologisch ansprechender Dichte bereits vorweg, womit der von ihm geführte Rat die EKD-Kammer für Theologie beauftragt hat: einen Text zum evangelischen Eheverständnis zu erarbeiten. Dieses neue Papier soll die Orientierungshilfe aber nicht ersetzen, das wird im anschließenden Journalistengespräch klar.

Riss durch die Kirche?

Mit Blick auf die Familiendiskussion scheint Schneider jedenfalls die Gefahr eines Risses durch die evangelische Kirche durchaus deutlich zu sehen. Es sei gut, unterstreicht er, wenn die unterschiedlichen, ja unversöhnlichen Positionen "nicht zu trennenden Bekenntnisfragen" würden. Das theologische Gespräch müsse fortgesetzt werden. Der Aufruf zur Einheit dürfte einigen der Kombattanten zu denken gegeben haben. Viele solche Debatten, ist der EKD-Ratschef überzeugt, darf sich die Kirche nicht leisten.

Abgesehen vom Streitfall Familie streift Schneider in seinem Bericht vor dem Kirchenparlament eine ganze Palette weiterer Themen. Er lobt den neuen Papst Franziskus, äußert sich zu Kirchenfinanzen, zum Bürgerkrieg in Syrien und zur weltweiten Christenverfolgung. Mehrfach von Beifall unterbrochen werden seine Äußerungen zur Asylpolitik. Der EKD-Ratschef stellt sich energisch hinter evangelische Kirchengemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen. Die Frage ist für Schneider eine Herzensangelegenheit, da lässt er keinen Zweifel. Gerade ist er von einem Besuch in jordanischen Flüchtlingslagern zurückgekehrt.

Das Thema Familie, das schon in Schneiders Ratsbericht breiten Raum eingenommen hat, dominiert auch das anschließende Mediengespräch. Viel mehr Klarheit kann er dabei nicht schaffen. Den Hinweis eines Journalisten, beim EKD-Familiensymposion Ende September hätten drei von vier Fachleuten dem kritisierten Papier eine Abwertung der Ehe bescheinigt, beantwortet Schneider differenziert: Es komme darauf an, was man als Abwertung definiere. Eine Abwertung sei aber nicht intendiert, die Ehe bleibe "Leitbild". Nikolaus Schneider ist gelassen. Er wirkt auch ein wenig müde vom Getümmel.