Amazing Thailand – der alte Werbespruch des Thailandtourismus kann man mit "erstaunliches Thailand", "vielfältiges Thailand" oder auch "Thailand - Land der Überraschungen" übersetzen. Das lockt jedes Jahr Hunderttausende Farangs an, wie Ausländer in Thailand genannt werden. Manche kommen als Urlauber, andere um Geschäfte zu machen und wieder andere lassen sich als Rentner ganz oder zumindest während der kalten und dunklen deutschen Wintermonate unter dem blauen Himmel nieder. Ewige Sonne, Traumstrände, sich sanft im Wind wiegende Palmen, leckeres Essen und ein Euro, der im Land des Lächelns um einiges länger reicht als in Pinneberg oder Rosenheim, sind die Verlockungen. Und Sex. Auch wenn es weder die Touristen noch das thailändische Fremdenverkehrsamt zugeben mögen - Thailand ist immer noch Ziel von Sextouristen aus aller Herren Länder.
Rainer ist ein typischer "Fall" und gleichzeitig eine eine Ausnahme. Der 72-jährige Berliner ist nach Pattaya gekommen um herauszufinden, ob er in dem Seebad am Golf von Siam leben möchte. Die andere Option ist Gran Canaria, wo er einige Jahrzehnte gearbeitet hat. "Gran Canaria hätte den Vorteil, dass ich es gut kenne und auch Spanisch spreche", erzählt der schlanke, hoch aufgeschossene Mann bei einer Tasse im luftigen Gemeindezentrum der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Pattayas deutschem Viertel Naklua. "In Pattaya sind aber die Mieten billiger. Wissen Sie, meine Rente ist bescheiden. Und ich möchte Sex haben. In meinem Alter findet man doch weder in weder Deutschland und noch in Gran Canaria eine Partnerin. Man wird für gar verrückt gehalten, wenn man als 60-, 70-jähriger noch ein Sexualleben haben möchte", sagt Rainer, der trotz seiner Offenheit lieber anonym bleiben möchte.
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Eine Ausnahme aber ist Rainer, weil er sich erst einmal umschaut, sich mit Pattaya, mit Thailand, mit der fremden Kultur vertraut macht, statt sich einfach blindlings in das Abenteuer zu stürzen. Er würde Gefahr laufen, schnell Bekanntschaft mit einer anderen erstaunlichen Seite des Amazing Thailand zu machen: von Thaifreundinnen nach Strich und Faden ausgenommen zu werden; nicht genug Geld, um ernste Krankheiten behandeln zu lassen; Verelendung; Vereinsamung.
Rainer ist einer der gut 50 Männer, die an diesem Tag zu einer der Veranstaltungen mit dem Titel "Tod und Sterben" gekommen sind, die seit über einem Jahr von dem Pfarrerehepaar Anne Helmer und Ulrich Holste-Helmer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde angeboten werden. Die Inhalte der Veranstaltungen reichen von buddhistischen Trauerritualen in Thailand über die Möglichkeit einer christlichen Trauerfeier bis hin zu persönlichen Erfahrungen Thailanddeutscher mit Krankheit, Tod und Trauer sowie Möglichkeiten der Trauerarbeit.
"Mai Pen Rai" heißt "Et kütt, wie et kütt"
Vom Erfolg der Veranstaltungen war das Pfarrerehepaar selbst überrascht, denn: "Wer denkt schon gerne ans Sterben? Im tropischen Thailand ist es auf den ersten Blick leichter, dieser Frage ausweichen." Vor allem in Thailand, wo auch die Farangs sich nur zu gerne Mai Pen Rai zu eigen machen. Mai Pen Rai spiegelt einen fundamentalen Lebenszug der Thais wieder, der in Deutschland am ehesten dem kölschen "Et kütt, wie et kütt" entspricht. Inzwischen aber bieten die beiden Pfarrer auch in Hua Hin und auf Koh Samui diese Veranstaltung an und haben Pfarrer Jörg Dunsbach von der deutschsprachigen katholische Gemeinde als Partner gewonnen.
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Als Referenten kommen auf den Vorträgen neben den Seelsorgern auch ganz weltliche Experten zu Wort wie Jörg Dawid, Direktor einer internationalen Anwaltsfirma, der Ratschläge zu Testamenten und Patientenverfügungen weiter gibt, oder auch Liz Luxen, die seit vielen Jahren mit ihrem thailändischen Ehemann auf der Ferieninsel Koh Samui lebt. Als Chefin des von ihr gegründeten Bestattungsunternehmens Samui Funerals ist die perfekt Thai sprechende Düsseldorferin bestens vertraut mit der Bürokratie: von der Beschaffung der notwendigen Dokumente von der Botschaft des Heimatlands und von den thailändischen Behörden über die finanziellen Umstände bis zu den sozialen Bedürfnissen der Angehörigen.
Verkehrsunfälle, Drogenüberdosen, Suff, altersbedingte Krankheiten, Selbstmorde – der Tod unter Palmen kann viele Ursachen haben. Manchmal kommt der Tod gar in grotesker Komik daher, wie im Fall des jungen Australiers, der seine Freundin auf Koh Samui ganz romantisch am Strand heiraten wollte. In leicht rheinischem Singsang erzählt die weißblonde Luxen: "Der ist während seiner Junggesellenabschiedsparty in der Nacht vor der Hochzeit stockbesoffen vom Balkon seines Hotelzimmers gefallen."
Ein Massengrab ist billiger
Neben dem Papierkram organisiert Luxen, die einstmals als Tauchlehrerin nach Thailand gekommen war, auch die Trauerfeiern, bei denen sie so manches Mal die einzige Teilnehmerin ist. "Für die Angehörigen in Deutschland, Australien oder England ist es oft zu teuer, für die Trauerfreier und die Verbrennung nach Thailand zu kommen. Für solche Fälle bietet Luxen einen speziellen Service: "Auf Wunsch kann die Trauerfeier im Tempel auch als Video aufgenommen und an die Angehörigen verschickt werden. Gegen eine Extragebühr können sie auch per Internetstream live dabei sein", erzählt die Bestatterin, die inzwischen Franchiseunternehmen in Hua Hin, Bangkok und Pattaya hat.
So mancher Farang aber stirbt auch einsam und alleine unter Palmen, selbst vergessen in der alten Heimat. "Die landen in anonymen Massengräbern. Ab und an kommt 'ne Schaufel Kalk drauf, bis das Grab voll ist", erzählt Luxen, die eine Freundin klarer Worte ist. Für die Armenbestattungen ist der thailändische Staat zuständig und der will kein Geld für die Verbrennung der toten Farangs ausgeben. "Benzin ist hier teuer und für eine Leiche braucht man gut 80 Liter. Da ist ein Massengrab billiger, obwohl hier im buddhistischen Thailand ansonsten Kremierungen üblich sind."
Das sind die "armen Seelen" oder die "Vergessenen", die von der deutschsprachigen evangelischen und katholischen Gemeinde in Thailand in das Totengedenken eingeschlossen werden. "Im November 2012 haben wir erstmalig diese traurigen Schicksale in die gottesdienstliche Gebete für die Verstorbenen eingeschlossen", sagt Pfarrer Holste-Helmer und fügt hinzu: "In diesem Jahr haben wir darüber hinaus beim Gedenken der Verstorbenen auch die Namen dieser 'Unbedachten' verlesen." Das kann ein Trost sein, heißt es Novemberrundbrief der deutschsprachigen katholischen Gemeinde von Bangkok, denn so spricht der Herr: "Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein."