Das ehemalige "12 Stämme"-Mitglied Frank Büchner fasste schon zu Beginn der Sendung gut zusammen, wo das Problem mit solchen Sekten liegt: Sie leben buchstäblich in einer eigenen Welt. Auch die Menschen in den "12 Stämmen" wollen nur das Beste für ihre Kinder – aber die Meinung darüber, was das Beste ist, das sieht jeder anders. Die 12 Stämme leben nach strengen Regeln einer urchristlichen Gemeinschaft, mit einer wörtlichen Bibelinterpretation, die vieles rechtfertigen kann, was bei anderen Christen heute nicht mehr gilt.
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Den weltlichen Dingen außerhalb der Gemeinschaft treten diese Menschen, so erzählt es Frank Büchner, mit großer Skepsis gegenüber, zum Beispiel bei Krankheiten: "Die Frage ist immer: Wo ist die Sünde?" Krankheiten als Strafe Gottes zu begreifen, die nur Gott wieder nehmen kann – so glauben die meisten Christen heute nicht mehr, weil sie wissen, dass die moderne Medizin tatsächlich helfen kann. Vielen hilft dennoch der Glaube und das Gebet, das sie an Gott richten, auch in diesen Situationen. Aber kaum einer verlässt sich allein auf Gottes Hilfe, wenn er krank ist.
Auch anderen gesellschaftlichen Regeln haben sich die "12 Stämme" entzogen. "Man kann doch nicht ein einjähriges Kind schlagen!" entsetzt sich Sandra Maischberger. Sie versucht in ihrer Sendung, zu verstehen, was bei den "12 Stämmen" abgelaufen ist, aber es gelingt ihr nicht. Auch warum erst ein Undercover-Reporter kommen muss, um diese Missstände aufzudecken, will sie wissen – aber dafür ist die Runde ihrer Gäste falsch besetzt. Und die "12 Stämme" haben es abgelehnt, sich gegenüber der Sendung zu äußern.
Antworten auf das "warum" sind schwer zu finden
Sabine Riede von der Sekten-Info Nordrhein-Westfalen beschreibt die Kinder in den "12 Stämmen" als "kleine Gefangene". Auch diese Kinder haben ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit", auch in solchen Gemeinschaften haben die Institutionen des Staates die Pflicht, das Kindeswohl zu schützen. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe, der sich die verschlossenen Sekten-Gemeinschaften entziehen.
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Wie das funktioniert, berichten vier Sektenaussteiger übereinstimmend: Sobald Kritik von außen in die Gemeinschaft kommt, werden die kritischen Mitglieder isoliert, der Druck von außen stärkt die Sekte von innen. Wer in dieser Gruppe sogar aufwächst, hat keine Vergleichsmöglichkeit mit der vielfältigen Welt außerhalb der Sekte, gefangen in einem ideologischen Konstrukt wie in Scientology oder sogar einem räumlichen Zusammenschluss wie in der Anlage der "12 Stämme".
Die ganze Sendung über fällt Sandra Maischberger in die Rolle der entsetzten Beobachterin, die das alles gar nicht fassen kann: Warum lassen Mütter zu, dass ihre Kinder geschlagen werden? Wieso gibt eine bürgerliche Familie eines Architekten in der Schweiz ihren Besitz auf, um sich einer Weltuntergangs-Sekte in Mittelamerika anzuschließen? Sandra Maischberger lässt die Betroffenen erzählen, aber eine Antwort auf das "warum" bekommt sie nicht.
Auch die Geschichte von Lea Laasner Vogt, die mit 20 Jahren durch die Liebe zu einem Polizisten den Weg aus der Sekte "Licht-Oase" fand und den Sekten-Guru anzeigte, der sie schon mit 13 Jahren missbrauchte, löst in Sandra Maischberger Betroffenheit und Unverständnis über Sekten aus, vor allem über das "verdrehte Wertverständnis" dieser Menschen. Gut, dass sie die Sektenexpertin Sabine Riede eingeladen hat. Denn die macht ganz deutlich, "dass Sekten nichts mit Verstand zu tun haben, sondern dass das über das Gefühl geht".
Eine ständige "Furcht vor den Dämonen"
Die Manipulation von Gefühl gehört auch zum Handwerkszeug von Scientology oder den Zeugen Jehovas, berichten die Aussteigerinnen. Anerkennung, persönliche Macht, der Kampf für das Gute, die Rettung der Welt, den Schutz vor dem Weltenende – das können solche Gruppen anbieten. Eigene Entscheidungen sollen Sektenmitglieder nicht mehr treffen, erläutert Sabine Riede. "Die Furcht vor den Dämonen, die einen ständig beobachten, wird einem eingeimpft", bestätigt Barbara Kohout, die schon als junges Mädchen über ihre Mutter zu den Zeugen Jehovas kam. "Das ist das Prinzip: Wenn dir etwas Schlechtes passiert, bist du selbst schuld."
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Nach 60 Jahren stieg sie gemeinsam mit ihrem Mann aus – weil erst ihre Tochter ging, dann der Sohn. Barbara Kohout fing an, sich selbst mit dem Bibelwort und seinem Kontext zu beschäftigen. Menschen außerhalb der Sekte reichten ihr die Hand, stellten ihr Schwarz-Weiß-Denken infrage. Eine Erfahrung, die alle Betroffenen bei Maischberger kannten: Wer eine Sekte verlassen möchte, braucht Hilfe von anderen Menschen.
Und die Ermunterung, seinen Glauben immer bis auf die Grundfesten hin zu hinterfragen - eine Aufforderung, die für Christen in reformatorischen Bekenntnissen nichts Neues ist, aber dennoch zeigt, wie gefährlich ein starres Ideologiegebilde werden kann, das für alles und jeden eine eindeutige Antwort hat.