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Es gibt einfach zu viele Krisen
In kenianischen Flüchtlingslagern ist nicht mehr genug Geld für Essen da
Ein Mensch braucht mindestens 2.100 Kalorien am Tag. Wer weniger zu essen hat, hungert. In zwei großen kenianischen Flüchtlingslagern kann das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen die Versorgung der Menschen nicht mehr stemmen. Aus Geldmangel mussten die Rationen gekürzt werden.
05.11.2013
evangelisch.de
Luise Poschmann

Üppig ist die Ration nicht, doch normalerweise reicht sie zum Leben: Ein paar Hülsenfrüchte, Reis, Weizen, angereichertes Sojamehl, Salz und Zucker sowie etwas Speiseöl - insgesamt 2.100 Kalorien pro Tag bekommt jeder Erwachsene in den kenianischen Flüchtlingslagern Kakuma und  Dadaab von den Hilfsorganisationen zugeteilt. Doch seit November gilt diese Regel nicht mehr. Aus Geldknappheit musste das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen die Rationen für mehr als eine halbe Million Menschen kürzen. Ein Erwachsener erhält nun 20 Prozent weniger zu essen, also 1.680 Kalorien pro Tag - damit die Flüchtlinge bis zum Ende des Jahres überhaupt noch versorgt werden können.

###mehr-links### "Dass wir die Rationen kürzen müssen, kam nicht überraschend", sagt Katharina Weltecke aus dem deutschen Büro des WFP in Berlin. Schon länger sei klar gewesen, dass das Geld in diesem Jahr nicht reichen würde. "Wir haben auch früh schon mit den Menschen vor Ort gesprochen und sie darauf vorbereitet", berichtet sie. Glücklicherweise habe es bisher in den Lagern noch keine Konflikte wegen der Kürzung gegeben.

"Wir haben schon das ganze Jahr auf unterschiedliche Weise versucht zu sparen", erzählt Weltecke. Je nachdem, was gerade in der Region Ostafrika günstig zu haben war, sei zum Beispiel der "Lebensmittelkorb" für die Flüchtlinge anders zusammengestellt worden. Gemeinsam mit lokalen Partnern und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR wurde die Ausgabe der Lebensmittel neu organisiert. Jeder muss jetzt mit einem Fingerabdruck nachweisen, dass seine Familie noch kein Essen erhalten hat. Trotzdem übersteige der finanzielle Bedarf schlicht die Mittel der Hilfsorganisation, erklärt Weltecke. "Die Kürzung der Ration ist die letzte Instanz, die wir nehmen können." 

Zehn Millionen US-Dollar pro Monat

Das Welternährungsprogramm ist nach eigenen Angaben die größte humanitäre Organisation der Welt zum Kampf gegen den Hunger. Mehr als 12.000 Menschen arbeiten für das Hilfswerk, das an die Vereinten Nationen (UN) angegliedert ist. Doch seine Mittel erhält das Welternährungsprogramm ausschließlich durch Spenden, zumeist von Regierungen. Echte Planungssicherheit gibt es da selten. 2012 hat das WFP insgesamt 97 Millionen Menschen in 80 Ländern unterstützt, dabei wurden 3,5 Millionen Tonnen Lebensmittel an hungernde Menschen verteilt. Allein der Einsatz in den kenianischen Flüchtlingslagern Dadaab und Kakuma kostet das Welternährungsprogramm laut Weltecke zehn Millionen US-Dollar pro Monat.

###mehr-artikel###  Es ist das Leid anderer Menschen, das nun die Not der Flüchtlinge in Kenia verstärkt. Der Bürgerkrieg in Syrien und die Flucht von Hunderttausenden aus dem Kriegsgebiet hat die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf sich gezogen. Und selbst großzügige Geldgeber, zu denen auch Deutschland gehört, können nur über ein bestimmtes Budget verfügen. Die Spenden erfolgen meist projektbezogen. "Die Mittel, die jetzt für Syrien ausgegeben werden, fehlen natürlich an anderer Stelle", sagt Weltecke. Natürlich sei aber auch die Unterstützung der Menschen dort lebenswichtig und in jedem Fall angebracht, fügt sie hinzu. "Es gibt einfach zu viele Krisen".

Lange Zeit stand Ostafrika im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Kenia kämpft schon seit mehr als zwei Jahrzehnten mit einer Flüchtlingsproblematik von besonderem Ausmaß. Wenn das Flüchtlingslager Dadaab als Stadt gelten würden, wäre es die drittgrößte in Kenia. Rund eine halbe Million Menschen drängen sich in dem Camp, das eigentlich aus den drei Einzellagern Hagadera, Ifo und Dagahaley besteht. Dadaab liegt am Rande des ostafrikanischen Staates, weniger als 100 Kilometer von der somalischen Grenze entfernt.

Aus Somalia kommen auch die meisten Menschen, die in Dadaab leben. Das Lager wurde ursprünglich zu Beginn der 1990er Jahre für die Bürgerkriegsflüchtlinge eingerichtet, vor zwei Jahren trieb die große Hungersnot am Horn von Afrika wieder Hunderttausende Menschen nach Dadaab und auch nach Kakuma, das mit 100.000 Menschen das zweitgrößte Lager Kenias ist. Eine Rückkehr in ihre Heimat kommt nur für wenige Menschen in Betracht. Viele stehen wirtschaftlich vor dem Nichts, dazu kommt die weiterhin instabile und unsichere Lage Somalias. 

Die Sorge gilt vor allem den Kindern

"Für die meisten Menschen besteht zurzeit keine andere Option als das Flüchtlingslager", sagt Weltecke. Doch wegen der Kürzung der Ration seien nun alle sehr besorgt. Zwar gebe es noch "keine größeren Auswirkungen", doch es sei nicht absehbar, wie auch das kommende Jahr finanziert werden kann. "Ein Problem ist auch, dass es nach dem Eingang einer Spende bis zu zwei oder drei Monate dauern kann, bis das Essen tatsächlich da ist", sagt Weltecke. "Wir kaufen nach Möglichkeit nur in der Region ein, da muss man aber sensibel sein, damit lokale Märkte nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden." Und da stets große Mengen besorgt werden müssten, sei auch der Transport nicht immer schnell zu organisieren.

Die größte Befürchtung der Hilfsorganisationen ist, dass die Reduzierung der Rationen möglicherweise nicht so schnell wieder aufgehoben werden kann. "Für die nächsten zwei Monate rechnen wir nicht unbedingt mit großen gesundheitlichen Problemen, aber wir schauen besorgt ins nächste Jahr", sagt Weltecke. Unterernährte Menschen seien viel anfälliger für Krankheiten. "Das Immunsystem ist einfach sehr schlecht. Da kann schon eine Lungenentzündung wirklich gefährlich werden."

Noch schlimmer sei der Essensmangel aber für die Kleinkinder, erklärt Weltecke. "Wenn in den ersten 1.000 Tagen - also von der Empfängnis bis zum zweiten Geburtstag - eine Mangelernährung auftritt, ist die Gefahr von bleibenden Schäden sehr hoch." Die Kinder würden nicht mehr normal wachsen, auch die Psyche kann angegriffen werden, erklärt die WFP-Mitarbeiterin. Deshalb werde auch an der Spezialnahrung für Schwangere und Säuglinge vorerst nicht gespart.