Foto: REUTERS/STRINGER
"Es ist ein tägliches Ringen um das Lebensnotwendigste"
Ein Besuch bei syrischen Flüchtlingen in Jordanien
Spitzenvertreter der deutschen Kirchen haben im syrischen Nachbarland Jordanien Bürgerkriegsflüchtlinge besucht. Karsten Frerichs, Nachrichtenchef des Evangelischen Pressedienstes (epd) und stellvertretender Chefredakteur von evangelisch.de, hat die Delegation begleitet. Ein Gespräch über Nächstenliebe, ökumenischen Gleichklang in der Hilfe für Menschen in Not und den Flüchtling Yassine Daboul, der trotz allem Leid nicht an Gott zweifelt.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, hat gemeinsam mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Norbert Trelle, syrische Flüchtlinge in Jordanien besucht. Was war der Anlass der Reise?

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Karsten Frerichs: Es ging um drei Dinge: Die Not der geflohenen Syrer kann man nur wirklich wahrnehmen, wenn man den Menschen begegnet, mit den Flüchtlingen selbst sprechen kann. Nikolaus Schneider hat es so formuliert: Nur Geld zu geben, schaffe Distanz. Man müsse den Menschen auch in die Augen schauen. Christliche Nächstenliebe auf Distanz, die gebe es nicht.

Zum anderen ging es darum, die Arbeit der kirchlichen Hilfsorganisation vor Ort zu würdigen. Es war beeindruckend zu sehen, wie sich viele Jordanier und zum Teil auch Syrer selbst ehrenamtlich um Bedürftige kümmern. Und dann war natürlich auch Ziel der Delegation, die von mehreren Journalisten begleitet wurde, hierzulande noch einmal das Bewusstsein für die Not infolge des Bürgerkrieges zu wecken und vor dem beginnenden Winter um Spenden zu werben.

Was tun die kirchlichen Hilfsorganisationen für die Flüchtlinge?

Frerichs: Caritas International auf katholischer und die Diakonie Katastrophenhilfe auf evangelischer Seite bieten unterstützt von ihren Partnern im Nahen Osten ganz unterschiedliche Hilfen. Das reicht von medizinischer Betreuung und der Ausgabe von Nahrungsmitteln, Matratzen und Kleidung bis hin zu speziellen Angeboten für Kinder und Frauen, die oftmals allein mit ihren Söhnen und Töchtern nach Jordanien geflohen sind. Viele Väter sind im Krieg ums Leben gekommen oder kämpfen weiter in ihrer Heimat, nachdem sie ihre Familienangehörigen über die Grenze in ein Nachbarland gebracht haben.

"Man konnte in den Gesichtern der Syrer lesen, wie gut ihnen der Besuch erscheint"

Was bekamen die beiden deutschen Geistlichen zu sehen?

Frerichs: Wir waren zwar nur zwei Tage in Jordanien unterwegs, dennoch war das Programm äußerst vielfältig. Im Mittelpunkt stand dabei die Begegnung mit den Menschen. Und es war beeindruckend zu erleben, wie Schneider und Trelle auf die Syrer zugegangen sind und diese sich auch schnell geöffnet haben.

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Was hat Nikolaus Schneider den Menschen gesagt?

Frerichs: Schneider, wie gleichermaßen dem katholischen Bischof Trelle, war es ein Anliegen, den Syrern zu vermitteln: "Sie sind nicht vergessen." Als der EKD-Ratsvorsitzende diesen Satz, und das habe ich mehrfach bei den Begegnungen erlebt, sprach, konnte man in den Gesichtern der Syrer lesen, wie gut ihnen der Besuch in der ausweglos erscheinenden Lage erscheint.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Frerichs: Wenn wir in Deutschland von Flüchtlingen sprechen, haben wir die vom Fernsehen transportierten Bilder von riesigen Zeltlagern im Kopf. Solche Lager gibt es in Jordanien fast gar nicht. Mehr als drei Viertel der geschätzt etwa 600.000 Syrer dort sind in den Städten und Dörfern über das ganze Land verteilt untergekommen.

"Der Krieg ist von Menschen gemacht. Eines Tages wird Gott über diese Menschen richten"

Wie leben diese Menschen?

Frerichs: Es ist ein tägliches Ringen um das Lebensnotwendigste - und der Versuch, sich in der Not noch ein letztes Stück Würde zu bewahren. Gemeinsam mit einigen anderen Journalisten habe ich in Ost-Amman den 36 Jahre alten Yassine Daboul besucht. Im September ist die fünfköpfige Familie unter Lebensgefahr aus Syrien geflohen, nachdem ihr Haus bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Beduinen haben sie durch die Wüste gebracht, dafür mussten sie zahlen. Damit waren nach der Zerstörung ihres Hab und Guts auch noch alle Ersparnisse weg.

Und jetzt?

Frerichs: Jetzt lebt Daboul im ärmlichen Osten Ammans, der 2,3 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt von Jordanien. Gemeinsam mit Frau und vier Kindern wohnt Daboul in einem fensterlosen Raum, vielleicht zehn Quadratmeter groß. Da verbringen sie den Tag, da schlafen sie auch alle auf Matratzen. Und dort hat er auch mit uns gesprochen. Seine erst neun Monate alte Tochter spielte auf dem Matratzenlager, die Frau und die anderen Kinder waren in der Küche, die man sich mit einer anderen Familie teilt. Wenn man in solch ärmliches Haus kommt und dann als Geste der Gastfreundschaft sofort der im arabischen Raum übliche Tee gereicht wird, dann stockt einem förmlich der Atem.

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Will die Familie eines Tages zurück?

Frerichs: Wir konnten über eine Stunde mit Yassine Daboul sprechen. Einerseits war er froh, seine Familie erst einmal heil aus dem Land gebracht zu haben. Andererseits sprachen aus jedem Satz, aus jeder Geste der Schock über die Kriegserlebnisse und die Angst vor der Zukunft. Zurück nach Syrien will er nur, wenn das Regime gestürzt ist und eines Tages sichere Verhältnisse herrschen. Gerade sucht er Arbeit, um wenigstens das Geld für Miete und Essen in Amman aufzubringen.

Zweifelt dieser Mann an Gott?

Frerichs: Nein, nicht wirklich. Als Muslim steht die Existenz Gottes für in außer Frage. Als wir ihn fragten, ob er sich von Gott verlassen fühle, musste er lachen: Nein, der Krieg sei von Menschen gemacht. Und eines Tages werde Gott über diese Menschen richten.