"Hotel Polonia", der alte Name hängt noch an dem Haus im ostpolnischen Lukow, das nun ein Flüchtlingsheim ist. Vor dem Eingang stehen schweigend und rauchend kaukasische Männer, im Empfangsbereich tobt eine laute Kinderschar, der Pförtner blickt genervt. Fast ausschließlich Tschetschenen sind hier untergebracht. Die meisten reden nicht gerne über das, was hinter ihnen liegt.
###mehr-links### Djana S. macht eine Ausnahme. Ihr Mann sei vor einem Jahr mehrere Tage lang verschleppt und gefoltert worden, erzählt die Mittdreißigerin. "Ich weiß nicht, wer die Täter waren, ob sie zur Regierung oder zu den Partisanen gehörten, sie sprachen Tschetschenisch und Russisch." Eine lange Narbe auf ihrer Stirn erinnert noch an den Überfall. Zurück in die russische Teilrepublik Tschetschenien könnten sie nicht mehr, sagt sie. Ihre Zukunft liege in Polen. Die "nackte Angst vor staatlicher Willkür und Gewalt" beherrsche das Leben in Tschetschenien, urteilt die deutsche Flüchtlingshilfsorganisation "Pro Asyl".
An Polens Ostgrenze wächst die Zahl russischer Staatsbürger tschetschenischer Herkunft kontinuierlich. Ende Oktober vermeldeten die polnischen Grenzbeamten einen Rekord: Im Jahre 2012 und in der ersten Hälfte dieses Jahres wurden 52.000 Menschen an der Grenze abgewiesen, zumeist Tschetschenen.
Viele Asylsuchende werden zurückgeschickt
Wer es nach Polen schafft, will meist weiter und in einem westeuropäischen Land Asyl beantragen. In Deutschland stellen in diesem Jahr Menschen aus der Russischen Föderation - zumeist Tschetschenen - die größte Zahl der Asylsuchenden. Knapp 13.500 Erstanträge hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zwischen Januar und September gezählt, im Vorjahr waren es 1.580.
Doch viele werden zurückgeschickt. Auch Djana, ihr Mann und ihre fünf Kinder waren einen Monat lang in Görlitz und mussten dann wieder nach Polen. Hintergrund ist das Dublin-Abkommen, nach dem der EU-Staat verantwortlich ist, in den der Flüchtling zuerst eingewandert ist.
"Wir haben eine hohe Fluktuation, über die Hälfte unserer 300 Bewohner wurden schon einmal ausgewiesen, zumeist aus Deutschland, Österreich oder Skandinavien", sagt Edyta Tymosz, leitende Sozialarbeiterin des Flüchtlingsheims. In Polen gibt es elf Flüchtlingsheime, in denen zu über 90 Prozent Tschetschenen wohnen - und die mittlerweile alle belegt sind. Den anerkannten Status eines Flüchtlings erreichen in Polen nur etwa fünf Prozent der Antragssteller. Es gibt jedoch eine Stufe der Duldung, die das Arbeiten erlaubt.
Kaum Probleme mit jüngeren Schülern
Die Zahl derer, die in Polen bleiben, wird immer größer. Auch Zarina T. gehört dazu. "Deportiert zu werden von einem Land zum anderen ist nichts für die Kinder", meint die vierfache junge Mutter, die bereits gut Polnisch spricht.
###mehr-artikel### Die gelernte Erzieherin betreut seit einem Jahr die tschetschenischen Schüler auf einer Grundschule in Lukow nach dem Unterricht. Angestellt ist sie bei dem regionalen Menschenrechts-Verein "Für die Erde", der sich in der ostpolnischen Region Lublin um drei Flüchtlingsheime kümmert und dafür EU-Gelder erhält. Die Organisation bietet Schulungen für Lehrer und Helfer sowie Sprachkurse an und initiiert polnisch-tschetschenische Kulturveranstaltungen.
Vereinsvorsitzende Ewa Kozdraj schaut heute in der Lukower Grundschule vorbei, die mit dem Verein kooperiert. "105 Kinder sind es schon", ruft sie überrascht, als sie mit Vizedirektorin Malgorzata Lawecka über die tschetschenischen Schüler spricht. Vor einem halben Jahr waren es halb so viele. "Wenn die Kinder in die untereren Klassen kommen, gibt es kaum Probleme", meint Lawecka. Mit den Eltern läuft die Kommunikation auf Russisch. Und auch der Islam sei kein Thema. Allerdings essen die tschetschenischen Kinder zu Hause, da die Schule Schweinefleisch anbietet.
"Es wird immer mehr Islam in Europa geben"
Der Krieg jedoch, der sei allgegenwärtig, sagt Lawecka. Dürften die Kinder frei malen, entstünden stets Bilder von Panzern und Kampfszenen. Der Tschetschenienkrieg endete 2009.
Am Nachmittag trifft sich Kozdraj mit Vertretern der Stadt, der Schulleitung und Sozialarbeitern zum Austausch in einem Café. Es gebe in der Region von Lublin dank des Engagements ihres Vereins keine Übergriffe gegen die Flüchtlinge, wirbt sie. Im Nordosten Polens um die Stadt Bialystok allerdings sieht es anders aus: In der strukturschwachen Region ist seit Jahren eine rechtsradikale Szene aktiv, die mit Attacken gegen Tschetschenen für Schlagzeilen sorgte.
Die Stadt Lukow mit ihren 30.000 Einwohnern solle in den Tschetschenen einen Mehrwert sehen, fordert Kozdraj. Die Stimmung in der Runde ist aufgeschlossen, mit einer Prise Skepsis. "Ich habe den Eindruck, sie fordern vor allem", meint die Chefin einer Berufsschule. Thema ist auch die wachsende Zahl der Wahhabiten - konservative Muslime, die vom tschetschenischen Oberhaupt Ramsan Kadyrow verfolgt werden. "Es wird immer mehr Islam in Europa geben", urteilt Kozdraj. "Entweder es bilden sich Ghettos oder wir versuchen es anders".