PRO: Nicht aufgeben, umgestalten!
Pfarrhaus, das heißt: Kirche ist präsent vor Ort, ganz zivil. Hier lebt ein Mensch, vielleicht auch eine Familie, ansprechbar für Menschen, die einen Menschen brauchen. Der Dichter Rainer Kunze spricht es 1968 so aus: "Wer da bedrängt ist, findet Mauern, ein Dach und muss nicht beten." Das hat mit Seelsorge zu tun.
Pfarrhaus hat auch zu tun mit Bildung und Kultur, da ist vor Ort präsent eine Bibliothek, da ist ein belesener Mensch, ein politisch oder gar kommunalpolitisch denkender, ein Pädagoge, da ist oft auch noch ein Musikinstrument, da ist Sinn für Schönes.
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Pfarrhaus erzählt eine Geschichte, die offene Geschichte einer Familie, viele Geschichten aus der reformatorischen Tradition, wichtige Menschen kommen aus dieser Geschichte, sind geprägt von ihr. Pfarrhaus hat zu tun mit Diakonie. Da wurde schon oft und immer wieder geholfen, ganz praktisch, erste und letzte Hilfe.
Pfarrhaus, das ist seit Katarina von Boras Zeiten ein Wirtschaftsfaktor, Interessenobjekt von Fiskus und Immobilienhändlern aller Couleur, aber es überlebte bisher alle politischen Systeme, Monarchien, Diktaturen, Nationalsozialismus und autoritären Sozialismus - dank des selbstlosen Engagements von Frauen. Sie waren die klugen Überlebenshelferinnen einer nunmehr fast 500jährigen Pfarrhaustradition, sie schafften mit Herz und Hand Raum für Kultur, Widerstand, Gastlichkeit und Ruhe.
Und auch wenn es sicher übertrieben ist, von Pfarrhäusern als der "Seele der Kerngemeinde" (Michael Hollenbach) zu sprechen, in den protestantischen Pfarrhäusern, die es noch gibt, ist etwas zuhause, was wichtig ist für die Zukunft der Kirche. Und ganz sicher ist: Das protestantische Pfarrhaus, stabile Ehe und große Familie gehören zum Pfarrerbild unserer Kirche.
"Pfarrhäuser sind Räume, die der Gemeinde dienen wollen"
Doch genau dieses Pfarrerbild steht zur Disposition. Das Pfarrhaus hatte immer etwas Royalistisches, Großbürgerliches, im Begriff "Residenzpflicht" spiegelt sich das. Viele Fragen wollen bedacht sein, wenn es um die Zukunft des Pfarrhauses und des Pfarrerbildes geht. Wir sind in einem rasanten Transformationsprozess auch für das traditionelle Pfarrhaus, angesichts veränderter Familienstrukturen und der technologischen Entwicklung hin zu einer mobilen Freizeitgesellschaft.
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Ein Plädoyer für das Pfarrhaus von morgen kann sich jedoch nicht in finanziellen, soziologischen und arbeitsrechtlichen Überlegungen begründen. Seelsorge, Bildung, Kultur, Diakonie, die im evangelischen Pfarrhaus seit Luther beheimatet waren und sich weiter entwickelten, sind unaufgebbar! Im Pfarrhaus von morgen sind ganz neue Chancen gegeben und wollen Gestalt gewinnen. Dabei sind Phantasie, kirchliches Management und Netzwerkarbeit gefragt.
Bevor ein Presbyterium auf den Immobilienmarkt geht, sind realitätsbezogen theologische Fragen zu klären: Warum nicht Pfarrhaus als Raum für beschütztes Wohnen, als Wohngemeinschaft für jung und alt, verantwortungsvolles Wohnen für Studenten, als Atelier, als Beratungsstelle, als ambulantes Pflegezentrum, als musikalisches Klanghaus, als ökologisches Gasthaus, als Asylhaus für Flüchtlinge?
Die 15.000 Pfarrhäuser in Deutschland haben eine Zukunft. Das sind Räume, die der Gemeinde dienen wollen, nicht an Pfarrämter gebunden. Verkaufen ist eine falsche Alternative.
D. Dr. Friedhelm Borggrefe war Dekan in Ludwigshafen, ist Ehrenbürger der Stadt, war Rundfunkautor und Vorsitzender des Gustav-Adolf-Werks. 1972 Promotion über "Kirche für die Großstadt", zahlreiche Veröffentlichungen über urbane Theologie und Diasporafragen.
CONTRA: Erreichbarkeit statt Residenzpflicht!
Die Residenzpflicht für Pastorinnen und Pastoren, unter der allgemein verstanden wird, dass sie das vorhandene Pfarrhaus in der Kirchengemeinde, in der sie tätig sind, bewohnen müssen, wird von den meisten Landeskirchen noch strikt gehandhabt. Ich halte das für nicht mehr zeitgemäß und zielführend. In vielen Fällen halte ich es auch nicht mehr für zumutbar. Es ist auch zu fragen, welches Bild von Kirche man mit "Wohnen im Pfarrhaus" assoziiert und transportiert.
Mit dem Wohnen von Pfarrerinnen und Pfarrern im Pastorat ist häufig noch ein romantisches, verklärtes Bild des evangelischen Pfarrhauses verbunden, an dem von Landeskirchenämtern offensichtlich noch festgehalten wird, das die Realität aber nicht mehr hergibt. Zudem zeigen neueste Untersuchungen, dass die Erwartungshaltung der Gesellschaft auch nicht mehr die alte ist (wie von manchen Entscheidungsträgern suggeriert). Angesichts der aktuellen Diskussion um das Wohnen von Kirchenvertretern in "Residenzen", ist die Frage der Zeitgemäßheit erst recht neu auf dem Prüfstand.
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Es gibt gewiss Situationen, in denen das Wohnen im Pastorat für die Betroffenen und auch für die Gemeinde die beste Lösung ist. Und es gibt eben viele andere Situationen, in denen das erzwungene Wohnen im vorhandenen Pfarrhaus zur Belastung für alle Beteiligten werden kann.
Eine unflexible Handhabung der Wohnsituation von Pastorinnen und Pastoren hat den Mief älterer Zeiten. Denn die familiären Gegebenheiten von Pastorinnen und Pastoren unterliegen heutzutage längst genau dem selben Wandel wie die Gesellschaft, aus der sie kommen. Da gibt es Alleinstehende, Alleinerziehende, Familien mit einem Kind, Familien mit fünf Kindern, Partnerinnen und Partner, die, selbst im Beruf stehend, auf andere Wohnorte angewiesen sind. Wie will man das standardisieren?
Dazu kommen die Zumutungen der Gebäude selbst. Die Kirche schreibt sich gerne "öko" auf die Fahnen, aber der energetische Zustand vieler Pfarrhäuser ist eine Katastrophe. Pastorate als Passivhäuser - das wäre zeitgemäß! Aber darauf müssen Pfarrerinnen und Pfarrer wohl noch lange warten. Zumal ihnen oft die Hände gebunden sind. Denn in den Gremien, in der Regel den Kirchengemeinderäten, die über Pastorate entscheiden, haben sie oft den Vorsitz - zumindest entscheiden Sie mit. Sie kennen die Haushaltssituation. Da fühlt man sich oft als Bettel-Student, wenn es um Verbesserungen der Wohnsituation im Pfarrhaus geht. Eine Gemengelage mit einem unangenehmen "Geschmäckle". Auch dieses strukturelle Problem gehört dringend auf den Prüfstand.
"Letztlich geht es doch um eine verlässliche Erreichbarkeit"
Mit Überraschung habe ich vor kurzem von Theologiestudierenden gehört, wie kontrovers und kritisch sie das hier angesprochene Thema diskutieren - ganz anders, als noch zu meinen Studentenzeiten.
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Hier wird nicht nur über den baulichen Zustand zukünftiger Wohnstätten gesprochen, nicht nur darüber, ob man das später auch bezahlen kann (vor allem die Heizkosten), sondern auch darüber, ob die zukünftigen Partnerinnen und Partner überhaupt in einem Pastorat mitwohnen wollen. Gewiss, auf die Vertreter von Kirche wird immer noch geschaut, darauf, wie sie leben. Vor allem aber, wie Kirche damit umgeht! Am Umgang damit wird sich in Zukunft die Attraktivität des Pastorenberufes mit entscheiden.
Letztlich geht es doch um eine verlässliche Erreichbarkeit - die ist in der Tat für unseren Beruf entscheidend. Mit den heutigen Kommunikationsmitteln - die dann allerdings auch beherrscht werden sollten - und der heutigen Mobilität ist diese aber heutzutage überall zu gewährleisten!
Frank Lotichius wohnt in einem "stattlichen Pastorat" in Breitenfelde bei Mölln und war von Januar 1995 bis August 2011 Pastor in der Lübecker Innenstadtgemeinde St. Aegidien, davor fünf Jahre in Petersburg, davon drei Jahre Pastor und Propst der Lutherischen Kirche.