Foto: epd/Frank Sommariva
Christine Lieberknecht, Pfarrerin und Ministerpräsidentin von Thüringen
"Christ ist freier Mensch und jedermanns Knecht"
Luther-Leitspruch begleitet Christine Lieberknecht durch Pfarramt und Politik
Reformationstag 2013: Das neue Themenjahr der Lutherdekade beginnt - es trägt den Titel "Reformation und Politik". Christine Lieberknecht hat immer beides im Blick, Theologie und Poltik, denn sie ist Pfarrerin und Ministerpräsidentin von Thüringen. Im epd-Interview spricht die CDU-Politkerin über ihr Leitbild: Martin Luthers Idee des freien Christenmenschen.
31.10.2013
epd
Thomas Bickelhaupt und Thomas Schiller

Frau Ministerpräsidentin, welche Auswirkungen der Ereignisse von 1517 haben für Sie heute noch Konsequenzen auf den politischen Alltag?

###mehr-personen### Christine Lieberknecht: Die reformatorische Grundausrichtung gipfelt in der Freiheit eines Christenmenschen. Ein Christenmensch ist ein freier Mensch und niemandem untertan im Glauben, aber ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan in der Liebe – das ist mein Leitspruch.

Welche Bedeutung hat dieses Wort Martin Luthers für Sie?

Lieberknecht: Das war schon mein Leitspruch, als ich Pastorin war, und das ist mein Leitspruch in der Politik seit über zwei Jahrzehnten. Er hat mich manche politische Situation meistern lassen, weil er zum einen eine innere Unabhängigkeit gibt und zum anderen daran erinnert, dass Freiheit immer eine gebundene Freiheit ist – frei zu sein für etwas, nämlich zum Dienst an dieser Gesellschaft.

Um welche Freiheit ging es Ihnen bei der friedlichen Revolution 1989?

Lieberknecht: Uns ging es natürlich um bürgerliche Freiheit – das haben wir geteilt mit Menschen, die gar nicht so sehr aus den Kirchen kamen, was hinterher zu einer Massenbewegung führte. Die Christen waren aber für Jahre geprägt durch die Friedensdekade. Die großen Themen des konziliaren Prozesses – Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung – waren ein entscheidender Beweggrund. Wir wollten frei sein zur Gestaltung der Welt – und nicht nur in den engen Mauern des DDR-Staates, sondern darüber hinaus.

"Pfarrhäuser waren offene Häuser, man war für andere Menschen ansprechbar"

Vor Ihrem Eintritt in die Politik waren Sie evangelische Pfarrerin, wie viele Menschen, die in den Wendejahren in die Politik gegangen sind. Gibt es eine besondere Befähigung von Theologen für politische Ämter?

Lieberknecht: Es war sicher ein Vorteil von Menschen, die durch ein Pfarrhaus geprägt sind. Sie konnten sich auch unter den Bedingungen der DDR in der Kirche in einem hohen Maße einüben in Demokratie. Pfarrhäuser waren offene Häuser, man war für andere Menschen ansprechbar, das habe ich als Pfarrerskind schon so erlebt. Ich selbst komme aus der kirchlichen Jugendbewegung – dort konnten wir uns einerseits in Gremienarbeit einüben, andererseits hatten wir durch Partnerschaftsbegegnungen Teil an den westdeutschen Debatten.

###mehr-artikel### Sie gehörten schon vor der Wende der CDU in der DDR an und gehörten zu den Mitverfassern des "Briefs aus Weimar", der das Ende der Blockpartei mit einleitete. War das ein Akt von Reformation? Und was ist vom damaligen Geist des Aufbruchs geblieben?

Lieberknecht: Der Weimarer Brief hat sehr gezielt und zugleich nüchtern beschrieben, wie wir die Lage in der DDR und auch in der CDU im Spätsommer 1989 gesehen haben. Er war geboren aus dem Geist, dass wir gesehen haben, dass sich etwas ändern muss und wird. Wir wussten nur nicht, in welcher Weise das geschehen würde. Einen letzten Anlass gaben die gefälschten Kommunalwahlen – nie zuvor waren die Manipulationen so nachweisbar gewesen wie im Mai 1989. In den Sommermonaten kamen die Ausreisenden über Ungarn und über Prag hinzu.

Haben auch Sie damals überlegt, die DDR verlassen?

Lieberknecht: Weg zu wollen, das war nie meine Option. Ich habe mich berufen gefühlt für die Menschen in meiner Gemeinde hinter dem Ettersberg, im Norden des Weimarer Landes. Wohl aber wollte ich verändern. Die deutsche Einheit hatten wir damals gar nicht im Blick. Es ging um Veränderungen in der DDR.

Viele Pfarrer haben sich in den Wendemonaten den Sozialdemokraten zugewandt. Sie sind in der CDU geblieben. Hatten Sie jemals einen Parteiwechsel erwogen?

Lieberknecht: Ich hatte intensive Kontakte zu den Gründern der neuen Bewegungen. Als ich überlegte, zum Demokratischen Aufbruch zu wechseln, haben mich meine bodenständigen Nachbarn in unserem Dorf davon abgehalten. Die Bauersfrau von gegenüber sagte: "Frau Pfarrer, Sie werden doch jetzt nicht das Markenzeichen wegwerfen." Die CDU war ein Markenzeichen – allerdings vor allem die West-CDU. Ich blieb dann in der CDU, weil ich erlebte, dass Christen dort eine politische Heimat finden.

"Es gibt ein Grundgefühl für die Wahrnehmung von Verantwortung für das Land - wenn Sie wollen, können Sie das auch als christlich bezeichnen"

Sie regieren gemeinsam mit der SPD in Thüringen, deren Landesvorsitzender Christoph Matschie ebenfalls evangelischer Theologe ist. Gibt es bei der Einschätzung politischer Fragen ein gemeinsames protestantisches Wertegerüst?

Lieberknecht: Es gibt ein Grundgefühl für die Wahrnehmung von Verantwortung für das Land– wenn Sie wollen, können Sie das auch als protestantisch oder christlich bezeichnen. Uns ist eine Koalition aus CDU und SPD gelungen, obwohl aus den rechnerischen Mehrheiten des Landtags auch andere Koalitionen möglich gewesen wären.

Ihre Amtsvorgänger Josef Duchac, Bernhard Vogel und Dieter Althaus waren alle katholisch – und das in Thüringen, einem Kernland der Reformation. Regieren katholische Politiker anders als Protestanten?

Lieberknecht: Aus meiner Perspektive war das konfessionelle Moment allenfalls nachgeordnet. Die katholische Kirche hat allerdings ihre Gemeindeglieder eher als die evangelische Kirche ermutigt, sich in politischen Ämtern zu engagieren und sie entsprechend begleitet. Das ist in der evangelischen Kirche anders, obschon ich mich da sehr gut aufgehoben fühle. Aber protestantische Freiheit führt da zu einem lockereren Verhältnis.

Wieso tat sich die evangelische Kirche so schwer?

Lieberknecht: Es gab eine Zurückhaltung und Vorbehalte auf evangelischer Seite, etwa in den langen Debatten zur Übernahme des Staatskirchenrechtes aus der alten Bundesrepublik in das Länderrecht, etwa bei der Frage der Einführung des Religionsunterrichts. Dass Thüringen dasjenige der neuen Länder ist, in dem der Religionsunterricht am weitgehendsten eingeführt werden konnte, ist ein Zeichen für die Annäherungen. Die Kirche hat dann ja auch erkannt, dass diese Annäherungen in ihrem eigenen Interesse waren.

###mehr-links### Wie bereitet sich Thüringen auf das Jubiläumsjahr 2017 vor?

Lieberknecht: An den Themenjahren, die ja auf das Jubiläum hinführen, beteiligen wir uns als Staat sehr intensiv an den Debatten und Diskursen, sofern wir da gefragt sind. Und dann gibt es eine Fülle von infrastrukturellen Aufgaben. Die historischen Orte der Reformation müssen saniert werden. Es muss für touristische Aktivitäten geworben werden. Ich selbst war etwa in Amerika bei lutherischen Gemeinden im Mittleren Westen und habe die Orte der Reformation vorgestellt.

Das Augustinerkloster in Erfurt oder die Wartburg in Eisenach – sind das die Schwerpunkte?

Lieberknecht: Nicht nur. Das populärste Projekt, das der Freistaat unterstützt, ist der Luther-Wanderweg, der auch viele kleine Orte erschließt. Ganz Thüringen macht sich auf. Sie können schauen, wohin Sie wollen: Viele Orte entdecken ihre Reformatoren – die Zeitgenossen Martin Luthers, die die Reformation in den vielen thüringischen Gemeinden einführten.

Katholische Bischöfe sprechen lieber von "Reformationsgedenken". Spüren Sie bei katholischen Christen in Ihrem Land Vorbehalte gegenüber diesem Jubiläumsjahr?

Lieberknecht: Ich spüre durch die Gespräche mit der katholischen Kirche eine große Bereicherung. Und wir haben der katholischen Kirche zu verdanken, dass Papst Benedikt XVI. in Thüringen war. In der Augustinerkirche war Luther ja noch katholischer Mönch. Der Papst hat sich an dieser Stelle auf die zentrale Frage Luthers berufen: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?