Augsburg ist fest in päpstlicher Hand. Noch heute gehört fast die Hälfte der hier lebenden Menschen der katholischen Kirche an, die Protestanten sind mit 15 Prozent klar in der Minderheit. Doch die Metropole des bayerischen Schwaben, die trotz ihrer Größe von 270.000 Bewohnern stets im Schatten des nahen München stand, spielt in der evangelischen Kirchengeschichte eine wichtige Rolle – sie ist die einzige katholische Stadt unter den fast drei Dutzend wichtigen Lutherorten in Deutschland.
###mehr-artikel###Schon lange vor der Reformation weilte Martin Luther (1483-1546) in Augsburg. Auf dem Rückweg von Rom besuchte der Augustinermönch 1511 seine Mitbrüder im Kloster Heilig Kreuz. Auf dem Gelände befinden sich heute eine katholische und eine evangelische Kirche gleichen Namens einträchtig nebeneinander. Sieben Jahre später kam der Luther erneut in die bayerische Stadt – diesmal mit ungleich größerem Aufsehen. In Augsburg trat der Reichstag zusammen, und der Wittenberger Theologe sollte seine Ansichten gegenüber dem päpstlichen Gesandten Cajetan verteidigen.
Theologisch in die Enge getrieben
Der Mönch aus Mitteldeutschland und der römische Kardinal trafen vom 12. bis 14. Oktober 1518 im Stadtpalast der Fugger aufeinander. In welchem Raum genau, ist bis heute unbekannt. Doch wie es sich für ein Streitgespräch gehört, ging es richtig zur Sache. Luther verstand es, den Papstvertrauten in die Enge zu treiben. "Ich fing ungefähr zehnmal an zu reden und ebenso oft donnerte er mich nieder", erinnert sich der Reformator. "Schließlich fing auch ich an zu schreien". Cajetan beschied Luther zum Schluss: "Geh und kehre nicht mehr zurück zu mir, außer dass du widerrufen willst." Der Widerruf blieb selbstredend aus.
Theologisch ging es bei dem Disput vor allem um den sogenannten Schatz der Kirche, die Voraussetzung für die Gewährung für Ablässe. Die Ablasspraxis, mit der die Kirche den Bau des Petersdoms finanzierte, hatte Luther ja ein Jahr zuvor scharf angeprangert. Doch das Augsburger Streitgespräch ging weit darüber hinaus. So beharrte der Professor aus Wittenberg darauf, nicht das Sakrament, sondern der Glaube daran sorge für die Rechtfertigung des Menschen. Das Prinzip "sola fide" (Allein der Glaube) hatte in den 95 Thesen noch keine Rolle gespielt.
Auch über die Bedeutung der Bibel und das päpstliche Lehramt diskutierte Luther leidenschaftlich mit Cajetan. Dahinter verbarg sich eine Kernfrage des reformatorischen Anliegens: Steht der Papst über Schrift und Konzil? Nein, beharrte Luther und formulierte das Prinzip "sola scriptura" (Allein die Schrift) vor. Damit waren bereits fast alle Streitfragen benannt, die in den Folgejahren zur Spaltung der westlichen Christenheit führen sollten. Manche Forscher sehen deshalb den eigentlichen Beginn der Reformation nicht mit den 95 Thesen vom Oktober 1517, sondern mit dem Augsburger Streitgespräch ein Jahr darauf.
Luther blieb anlässlich des Disputs knapp zwei Wochen in der Stadt, er wohnte vom 7. bis 20. Oktober 1518 im damaligen Karmeliterkloster unmittelbar neben der Sankt-Anna-Kirche. Das heute evangelische Gotteshaus, errichtet vom 14. bis 18. Jahrhundert, beherbergt die Grablege der Familie Fugger. Nebenan erinnert die sogenannte Lutherstiege an den Aufenthalt des Reformators. In einem kleinen Museum können sich Besucher die aufregenden Tage des Streitgesprächs vergegenwärtigen. Am Eingang zur Kirche hängt eine kleine Gedenktafel.
Peutinger bleibt der Papstkirche treu
Während seines Besuchs hatte der Wittenberger Mönch die Bekanntschaft von Konrad Peutinger (1465-1547) gemacht. Der Humanist und Stadtschreiber war ein Vertrauter von Kaiser Maximilian, er galt als Augsburgs graue Eminenz. Durch seine Heirat mit Margarethe Welser hatte er Verbindungen in eine der einflussreichsten Familien der Zeit. Luther versuchte, ihn von seiner neuen Lehre zu überzeugen – allerdings vergeblich. Peutinger blieb der Papstkirche und dem katholischen Kaiser aus dem Geschlecht der Habsburger treu.
In gewissem Umfang breitete sich die Reformation dennoch in Augsburg aus. In der Barfüßerkirche unterhalb des Rathauses hielt der Franziskaner-Lesemeister Johann Schilling 1522 harsche Predigten gegen die Verfehlungen der alten Kirche, die Ehelosigkeit der Priester und gegen die Herrschaft der Fugger. Drei Jahre später wurde die Kirche evangelisch. Mozart und Albert Schweitzer spielten hier auf der Orgel, Bertolt Brecht wurde getauft. Ein Wandbild regte den Schriftsteller zu seinem Drama "Der kaukasische Kreidekreis" an.
Trotz der religiösen und politischen Umwälzungen der Zeit blieb Augsburg überwiegend katholisch. Daran änderte auch die Täuferbewegung nichts, die hier auf ebenso brutalen Widerstand der städtischen Obrigkeit traf wie andernorts – dies allerdings Jahre vor den Exzessen in Münster. In der Augsburger Unterstadt, am hinteren Lech, wurden etliche radikale Täufer am 12. April 1528 verhaftet. Vorsteher Hans Leupold wurde hingerichtet, einer Elisabeth Heggenmiller schnitt man die Zunge heraus, damit sie die Botschaft vom nahen Reich Gottes nicht weiter herausposaunen konnte.
Melanchthon schreibt die "Confessio Augustana"
Berühmtheit als protestantischer Ort erlangte Augsburg dann endgültig durch die "Confessio Augustana", die am 25. Juni 1530 beim Augsburger Reichstag Kaiser Karl V. vorgelegt wurde. Der Rechtsgelehrte Christian Beyer las das prägende Glaubensbekenntnis der lutherischen Christen im bischöflichen Palast zwei Stunden lang vor, Wort für Wort. Hauptverfasser war Philipp Melanchthon. Martin Luther, inzwischen für vogelfrei erklärt, weilte unterdessen in Coburg und hielt Kontakt zu seinen Glaubensbrüdern.
Ein weiterer wichtiger Markstein war der Augsburger Religionsfriede von 1555. Dieser sicherte den evangelisch gewordenen Christen ihren Besitz und das Recht auf freie Religionsausübung zu. Allerdings fiel die Entscheidung über die Konfession dem jeweiligen Landesherrn zu. Dennoch gilt der Friedensschluss als wichtiger Markstein für die Bemühungen, die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten zu mildern. Verabschiedet wurde er im gotischen Rathaus von Augsburg, das später durch den berühmten Renaissancebau von Elias Holl ersetzt wurde. Er prägt heute noch das Stadtbild.
Als der Augsburger Religionsfriede verkündet wurde, war Luther längst tot. Doch sein Denken hatte sich inzwischen in ganz Europa ausgebreitet, und seine beiden Besuche in der bayerisch-katholischen Stadt sind in der geschichtlichen Erinnerung bis heute fest verankert. So verwundert es etwas, dass in Augsburg nur eine schmale, eher versteckte Gedenktafel an den großen Reformator erinnert. Vielleicht wäre 2018 die Zeit reif für ein Lutherdenkmal in der Stadt. Dann jährt sich das legendäre Streitgespräch mit Cajetan zum 500. Mal.