Protest in Washington gegen die Überwachung durch die NSA
Foto: dpa/Jim Lo Scalzo
Protest in Washington gegen die Überwachung durch die NSA
Daniel Domscheit-Berg: "Whistleblower in allen Wohnzimmern"
Von den milliardenschweren Steuerhinterziehungen mit Hilfe der Schweizer Julius-Bär-Bank bis hin zu Videodokumenten, die den gewaltsamen Tod von Zivilisten und Journalisten durch die US-Armee im Irak belegten, reichten die Veröffentlichungen der Enthüllungsplattform "WikiLeaks", die Politik und Geheimdienste erheblich unter Druck setzte. Daniel Domscheit-Bergs Buch "Inside WikiLeaks" diente als eine der wichtigsten Quellen für den gleichnamigen Hollywood-Film von Bill Condon, der heute (Donnerstag, 31. Oktober) in den Kinos startet.

Was ist das für ein Gefühl, wenn man die eigene kontroverse Geschichte auf der Kinoleinwand sieht?

Daniel Domscheit-Berg: Das ist eine sehr surreale Angelegenheit. Ich habe ja schon vor einer ganzen Weile mit diesem Thema abgeschlossen. Ich lese nicht mehr, was über mich geschrieben wird. Ich schaue mir keine Dokumentarfilme zu WikiLeaks an. Aus der Erfahrung mit Julian Assange und was die mediale Aufmerksamkeit mit ihm gemacht hat, habe ich eine echte Abneigung dagegen entwickelt, mich mit meiner Wahrnehmung in der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen.

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Was war für Sie rückblickend der wichtigste Erfolg von WikiLeaks?

Domscheit-Berg: Abseits all der Veröffentlichungen, die bestimmt auch wichtig waren, ist das größte Verdienst, dass wir das Wort "Whistleblower" in die Gesellschaft gebracht haben und in fast allen Wohnzimmern der Welt über dieses Thema gesprochen wurde. Diese Debatte ist extrem wichtig für unsere globalisierte Gesellschaft, die viel besser informiert sein muss, um funktionieren zu können. Wir beginnen heute langsam zu verstehen, dass viele unserer Probleme eine Konsequenz daraus sind, dass wir nicht verstehen, was da hinter verschlossenen Türen passiert. Im Informationszeitalter müssen wir uns darüber klar werden, wie transparent die Systeme sein müssen, die unsere Welt managen.

Der Film zeigt Julian Assange als ebenso energiegeladene wie manipulative Führungsfigur. Braucht man nicht auch solch manische Charaktere, um ein Projekt wie WikiLeaks zu stemmen?

Domscheit-Berg: Ja, aber dann braucht man auch wieder kontrollierende Mechanismen, die verhindern, dass diese Person nicht alles an die Wand fährt. Wir haben anfangs als Team gut funktioniert, in dem sich ganz unterschiedliche Persönlichkeiten ihre verschiedenen Kompetenzen mit eingebracht und auf Augenhöhe ausgetauscht haben. Aber als Julian Assange allein den Führungsanspruch für sich geltend machte und sich über alle anderen hinwegsetzte, hat sich die Angelegenheit verselbstständigt. Seine Situation bis hin zu dem Umstand, dass er heute in der ecuadorianischen Botschaft im hintersten Winkel einer Sackgasse sitzt, ist eine Konsequenz davon, dass er seine Entscheidungen nur noch allein getroffen hat.

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Im Film heißt es von Julian Assange immer wieder "WikiLeaks redigiert nicht". Aber war die Entscheidung, welche Dokumente der Öffentlichkeit preisgegeben werden, nicht schon ein redaktioneller Eingriff?

Domscheit-Berg: Uns war es wichtig, dass wir zwischen den Dokumenten nicht diskriminieren und jeder Whistleblower bei uns seine Stimme gefunden hat. Dass wir ab einem bestimmten Zeitpunkt auswählen mussten, lag allein daran, dass wir nicht genug personelle Ressourcen hatten, um alles abzuarbeiten, was bei uns einging. Aber es gab lange Strecken während dieser drei Jahren, in denen ich dabei war, wo wir es geschafft haben, alles der Reihe nach zu veröffentlichen, wie es bei uns eingegangen ist - egal wie groß oder klein das "Leak" war. Das war für mich die beste Zeit in diesem Projekt, weil wir nicht politisch agiert haben, sondern akkurat das abgearbeitet haben, was andere Leute uns anvertraut haben.

"Die Menschen müssen lernen, mit der Flut von Informationen umzugehen"

Was ist das für ein Gefühl, wenn man Anfang 30 ist, davon träumt die Welt zu verändern und es tatsächlich tut?

Domscheit-Berg: Das habe ich eigentlich bis heute noch nicht so ganz realisiert. Auch wenn ich mir auf einer intellektuellen Ebene dessen bewusst bin, bleibt das alles trotzdem ein wenig surreal. Aber ich habe rückblickend das Gefühl, dass alle Entscheidungen, die ich in meiner Lebensplanung getroffen habe, gute Entscheidungen waren. Ich gehe heute als Mensch sehr viel aufrechter durchs Leben. Ich bin mit mir selbst im Reinen.

Sie sind ein vehementer Verfechter für die Transparenz gesellschaftlicher Strukturen. Glauben Sie, dass der Film Ihrem politischen Anliegen helfen wird?

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Domscheit-Berg: Bei all der Fiktion, die darin steckt, ist die zentrale Aussage des Filmes, dass Whistleblowing eine wichtige Angelegenheit ist. Der Film zeigt, dass die Veröffentlichungen von WikiLeaks breit angelegt waren und wirklich etwas verändert haben. Außerdem glaube ich, dass über den Film viele Fragen aufgeworfen werden, über die wir uns als Gesellschaft klar werden müssen. Wenn diese Aussage rüberkommt und über das Kino einem anderen Publikum transportiert wird, dann ist dem politischen Anliegen ganz bestimmt geholfen.

Das Internet ist das ideale Instrument zur Herstellung von Transparenz. Aber ist es nicht auch das ideale Instrument zur Desinformation?

Domscheit-Berg: Auf jeden Fall und deshalb müssen wir vor allem auch für zukünftige Generationen Medienkompetenzen aufbauen. Die Menschen müssen lernen, mit der Flut von Informationen umzugehen und die Quellen auszuwählen, denen sie vertrauen können.

Sehen Sie es als Gefahr an, dass eine Gesellschaft eine Technik benutzt und von ihr in Abhängigkeit gerät, die nur noch ein Bruchteil der Menschen versteht?

Domscheit-Berg: Das ist ein Riesenproblem, dass ja jetzt gerade im Zuge der NSA-Enthüllungen offenbar wird. Jeder trägt diese digitale Persönlichkeitsverlängerung in seiner Hosentasche mit sich herum und ist damit potenziell überwachbar. Wir haben kein Fotoalben mehr zu Hause im Schrank, sondern unsere privaten Fotos in irgendeiner Cloud geparkt. Selbst Autos sind so computerisiert, dass man ihre Funktionsweise als normaler Mensch gar nicht verstehen kann. Dadurch wird die Frage der Folgenabschätzung für den Einzelnen extrem kompliziert.

"Projekte wie WikiLeaks und der konventionelle Journalismus können sich sehr gut ergänzen"

Das fällt offensichtlich auch Angela Merkel schwer, die nun davon überrascht wird, dass die NSA auch ihr Telefon abgehört hat…

Domscheit-Berg: Dass das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wird - wie vermutlich viele andere Mobiltelefone auch - ist keineswegs überraschend. Mal ganz abgesehen von der Frage, wieso eine Kanzlerin als Volksvertreterin nur die Verletzung ihrer eigenen Privatsphäre zum Anlass nimmt zu protestieren - dies aber nicht getan hat, als es um die Interessen von 80 Millionen souveränen Deutschen ging.

Der Film zeigt auch, dass sich Wikileaks an der Schnittstelle zwischen konventionellem Journalismus und den neuen Möglichkeiten der neuen Medien bewegt hat. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Zukunft des Journalismus?

Domscheit-Berg: Projekte wie WikiLeaks und der konventionelle Journalismus können sich sehr gut ergänzen. Ich glaube, dass die Medien heute ein riesiges Potential haben. Denn die Menschen sind sich bewusst, dass sie zu schlecht informiert sind und Dinge in allen Bereichen unserer Gesellschaft geschehen, die die breite Masse der Bevölkerung nicht gut heißen kann. Wenn Mechanismen entwickelt werden, wie man solche Dinge enthüllt, und man wieder zurückfindet zu einem Journalismus, der die Menschen aufklärt, dann werden sich die Zeitungen auch wieder verkaufen.

Sie sind mittlerweile Mitglied der Piratenpartei. Warum ist diese Partei die richtige für einen Mann wie Sie?

Domscheit-Berg: Ähnlich wie das Thema Umweltschutz irgendwann aufgetaucht ist und zur Gründung der Grünen geführt hat, glaube ich, dass wir in ein Zeitalter eintreten, in dem die Verarbeitung von Informationen und der Datenschutz genauso relevant werden, wie es der Umweltschutz heute ist. Und da braucht es wieder eine Partei oder eine Lobby, die sich des Themas annimmt und das ist im Moment einfach die Piratenpartei.