Margot Käßmann
Foto: Julia Baumgart
Margot Käßmann während ihrer Abschlussrede bei der Veranstaltung "Die Schatten der Reformation" am 25. Oktober in Berlin
Käßmann: "Im Dialog mit dem Anderen klärt sich das Eigene"
Das EKD-Themenjahr "Reformation und Toleranz" ist am vergangenen Freitag (25. Oktober) in Berlin mit einer Diskussion über die "Schatten der Reformation" beendet worden. Die Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum 2017, Margot Käßmann, hielt das Abschluss-Statement, das wir hier dokumentieren. Käßmann betonte, dass Toleranz in religiösen Fragen mehr sein müsse als ein passives Dulden. Menschen verschiedenen Glaubens sollten in gegenseitiger Wertschätzung miteinander streiten.

Auch nach dieser Diskussion heute kann ich nur sagen: Gut, dass die EKD im Rahmen der Lutherdekade dem Thema "Reformation und Toleranz" einen Jahresschwerpunkt gewidmet hat. Die Beiträge haben deutlich gemacht: Wir befinden uns noch mitten in der Lerngeschichte. Toleranz bleibt ein brisantes und vielschichtiges Thema.

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O ja, die Reformation wie die Gegenreformation, sie waren  nicht tolerant. Um die Wahrheit des Glaubens, die Existenz der wahren Kirche und auch um Machtansprüche der Fürsten ging es. Heinz Schilling hält in seiner neuen Lutherbiografie fest, dass der Reformator "weder in den frühen Sturmjahren der Reformation noch je später (wollte), 'dass mit Gewalt und Töten für das Evangelium gestritten wird.'" Und er macht deutlich, dass Luther zwar "Toleranz im modernen Sinne fremd" war, er aber immer dafür eingetreten ist, "dass der Glaube eine innere, geistige Sache und dem Zugriff irdischer Mächte entzogen sei".

Die Freiheit der anderen verteidigen

Hieran lässt sich anknüpfen, denke ich. Toleranz bedeutet in der Tat zunächst erdulden oder ertragen, wie es das lateinische Verb tolerare anlegt. Aber Toleranz hat verschiedene Facetten. Sie kann zum gegenseitigen Respekt werden, weil ich nicht nur meine Freiheit verteidige, sondern damit immer auch verpflichtet bin, die Freiheit der anderen zu verteidigen. Gerade durch die Reflexion mit dem anderen kann das eigene viel klarer werden.

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Durch die Begegnung mit anderen bin ich immer evangelischer geworden. Ich kann das Kirchenverständnis der römisch-katholischen Kirche nicht nachvollziehen, die russische Orthodoxie erscheint mir zu erstarrt, das Judentum versuche ich zu begreifen, der Islam irritiert mich in vielem, der Buddhismus bleibt mir fremd. Aber mich interessiert der Glaube anderer und ich halte es für entscheidend, dass Religionen miteinander im Gespräch sind. Ihre Intoleranz hat allzu oft Öl in das Feuer politischer und ethnischer Konflikte gegossen. Es wird Zeit, dass die Religionen verlässlicher zum Faktor der Konfliktentschärfung werden, weil sie eine Toleranz kennen, die Unterschiede nicht mit Gewalt vernichten will, sondern als kreative Kraft  sehen, die Welt und Zukunft menschenfreundlich gestalten kann. Das scheint mir eine Konsequenz des reformatorischen Erbes.

Aber eine bessere Zukunft im Umgang miteinander gelingt nur, wenn die Vergangenheit nicht vergessen wird:" Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung", heißt es im Judentum, und deswegen lade ich uns alle ein, der Schattenseiten der Geschichte zu gedenken. Luther war ein großer Theologe, mutig, aufrecht, stark, aber eben auch ein Berserker, der wenig  Verständnis für andere Haltungen als seine eigene hatte. Johannes Calvin war ein klarer theologischer Kopf, aber wehe dem, der anderer Meinung war wie Michael Servet, der wurde dann auf den Scheiterhaufen geschickt. Wir können uns 500 Jahre später nicht nur die Rosinen aus der Geschichte herauspicken, sondern die ganze Geschichte gehört zu uns.

Über Duldung und Respekt zur Wertschätzung

Deswegen müssen wir auch in aller Demut mit jenen im Gespräch bleiben, die uns an diese Opfer der Reformation erinnern. Und deswegen bin ich dankbar für diesen Abend, er erscheint mir zur Vollständigkeit des Reformationsjubiläums unerlässlich dazu zu gehören.

Gegenseitige Wertschätzung meint Augenhöhe und nur so kann Miteinander in Differenz, versöhnte Verschiedenheit wachsen. Dazu braucht es Toleranz nicht als Hinnehmen und irgendwie dulden, sondern aktive und streitbar Toleranz, die die Differenz nicht scheut, das Gespräch sucht, aber ein Miteinander zur Grundlage hat. Denn über Duldung, Respekt und gegenseitiges Interesse kann Toleranz bis hin zur gegenseitigen Wertschätzung führen. Im Dialog mit dem Anderen klärt sich ja auch das Eigene.

Wenn wir das gelernt haben in den 500 Jahren seit der Reformation: immer wieder neu lernen, dann haben wir einen gewichtigen Beitrag in unserer Zeit zu leisten, in der religiöse Themen immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen führen vom Kreuz im Klassenzimmer über das Kopftuch bis zur Beschneidung. Ich wünsche mir, dass sich diese Lerngeschichte immer wieder neu konstitutiert.

Weitere Stimmen aus der Diskussion in Berlin finden Sie hier.