Student bringt Hilfsgüter nach Syrien.
Foto: Ruben Neugebauer
Khalil auf dem Weg zur syrischen Grenze. Im Gepäck hat der Student Hilfsgüter für die Menschen vor Ort.
Student hilft Menschen in Syrien unter Lebensgefahr
Auf eigene Faust fährt ein Leipziger Student einen Hilfstransport nach Syrien, um Kleider, Medikamente und Spielsachen ins Land zu bringen. Der Journalist Jan Michael Ihl und der Fotograf Ruben Neugebauer haben ihn bis zur Grenze begleitet. In Syrien selbst zu helfen, ist schwer - das merken sogar internationale Hilfsorganisationen.

###mehr-info###Sind es nun 100.000 Todesopfer, wie die Uno schätzt? Gar schon 200.000 Menschen, getötet von Kugeln, Granaten oder Giftgas, wie manche NGO mutmaßt? Seitdem Syriens Präsident Baschar al-Assad 2011 friedliche Proteste gewaltsam niedergeschlagen hat, ist die Gewalt landesweit zu einem ausgewachsenen Bürgerkrieg eskaliert. Die westliche Öffentlichkeit schreckt nur noch von Meldungen wie der vom Giftgaseinsatz in der Region Ghuta auf; das alltägliche Leiden der Menschen geht unter.

Vor allem in die Türkei, in den Libanon, nach Jordanien oder in die Autonome Region Kurdistan im Nordirak flieht, wer kann und bereit ist, Angehörige, Freunde und Eigentum zurückzulassen. So waren im September über zwei Millionen Syrer als Flüchtlinge außer Landes vom UNHCR registriert, weitere vier Millionen, schätzen die UN, sind innerhalb Syriens auf der Flucht vor Gewalt und Kriegsfolgen. Es mangele nämlich an allem, berichten jene, die ausharren: Medikamente, Nahrung, warme Kleidung für die kühlen Winter etwa im 390 Meter hoch gelegenen Aleppo. Und internationale Hilfe?

Mit dem Auto nach Syrien

"Ich will nicht länger aus der Ferne zusehen und nichts tun." Mit diesen Worten erklärt uns Khalil Ayne [Anmerkung der Redakion: Der Nachname wurde zum Schutz seiner Familie in Syrien geändert] im August sein Vorhaben: Hilfsgüter nach Aleppo fahren will der 23-Jährige, der Syrien vor drei Jahren für sein Studium in Leipzig verlassen hat. Ausgerechnet Aleppo: Die alte Handelsmetropole im Nordwesten Syriens liegt zwar nahe der türkischen Grenze und hatte vor dem Krieg 2,5 Millionen Einwohner, aber in den letzten Monaten toben in dem Gebiet die besonders heftigen Kämpfe. Die syrische Armee setzt Kampfflugzeuge und Hubschrauber ein, einstige Prachtstraßen liegen heute im Visier von Scharfschützen, hier regimetreu, dort vielleicht von dieser oder jener islamistischen Gruppe.

Abschiedsszenen in Leipzig: Am Hauptbahnhof sind viele von Khalils Freunden zusammen gekommen um sich von ihm zu verabschieden, bevor er seine gefährliche Reise startet.

An einem Montag im September fährt Khalil los. Auf dem Dach seines Ford-Kombis hat er Säcke mit Altkleidern, Kinderspielzeug und Medikamenten verzurrt und verklebt, auch im Innenraum belegen Säcke Rückbank und Kofferraum. Hinter dem Leipziger Hauptbahnhof heißt es Abschied nehmen. Seinen Freunden, die mit ihm Spenden für Syrien gesammelt haben, steht ihre Angst um ihn ins Gesicht geschrieben. Einer bleibt noch sein Beifahrer, bis Bukarest, Kilometer 1637, halbe Strecke bis Aleppo, aber dann geht es für Khalil alleine weiter.

Mit Freunden und Kommilitonen, in einer Arbeitsgruppe an seiner Leipziger Uni, hat er neben den Kleidern, Spielsachen und Medikamenten auch Geld gesammelt – einige tausend Euro, wovon in Syrien Helfer dringend Benötigtes auf dem Schwarzmarkt einkaufen können. Ihr Motiv sei auch die Verzweiflung darüber, dass nur wenig Hilfe nach Syrien dringt.

Im Gepäck stecken Geld und Altkleider

"Es ist nicht zum Aushalten, dass es uns hier in Deutschland gut geht, und von Verwandten in Syrien erfahren wir, dass sie Mangel leiden oder sich die Preise auf dem Schwarzmarkt nicht leisten können", beschreibt Khalil, was er und andere Syrer in Deutschland fühlen. Sich auf das Studium zu konzentrieren, für das sie sich lange vor dem Krieg entschieden hätten, falle ihnen schwer, wenn sie aus der Heimat erführen, wie es den Angehörigen geht.

Vor dem Grenzübertritt besucht Khalil noch eine Familie, die aus Syrien flüchten musste, in Osmanlye. Er hat ihnen warme Kleidung und Spielsachen für die Kinder mitgebracht.

Aber deshalb gleich selber nach Aleppo? Khalil ist entschlossen, auch noch, als ihn hinter Istanbul doch ein wenig die Angst einholt. Der Gefahr, an Check-Points erschossen zu werden oder einfach nur, weil er Kurde ist, für einen Spion gehalten zu werden, sei er sich bewusst. Besonders vor den Kämpfern im Bürgerkrieg, die sich auf den Islam berufen, hat er Angst. Obwohl er selbst Muslim sei, drohe ihm von den Islamisten die größte Gefahr, etwa wenn die ihn für nicht fromm genug halten würden. Also doch noch einen Koran ins Handschuhfach legen? Khalil entscheidet sich dagegen, aber sein Armbändchen in den Farben der Flagge Kurdistans nimmt er ab. Nur nicht auffallen.

An der türkisch-syrischen Grenze bleibt das Auto zurück

Schon die Einreise in die Türkei gestaltete sich schwierig. Am Grenzübergang zwischen Bulgarien und der Türkei, Kilometer 2025, südöstlichster Zipfel der EU: Der türkische Zoll will ihn seine Altkleider nicht einführen lassen. "Textilien? Ein Sack pro Kopf", weist man seine blauen Müllsäcke mit deutschem Umweltengel zurück. Dann Diskussionen mit dem Direktor der Zollstelle, aber Gesetz ist Gesetz. Khalil gibt jedoch nicht auf, und fährt 200 Kilometer nach Westen. An der Grenzstation, an der es Khalil jetzt versucht, weiß man offenbar nichts vom Einfuhrverbot für Textilien. Sack für Sack steckt Khalil in einen Röntgenapparat. Der Zöllner entdeckt auch die zwischen den Kleidern verborgenen Medikamente. Aber dann: "Gute Weiterfahrt."

An einem Grenzübergang versucht Khalil die Hilfsgüter in mehreren Fuhren über die Grenze zu bringen.

Türkische Willkür? Wohl eher Glück gehabt, meint ein Hilfsprofi, der jahrelang internationale Hilfstransporte organisierte. Den Import von Textilien hätten viele Länder streng reguliert, aber das sei nur ein Grund, weshalb professionelle Hilfsorganisationen von Altkleider-Hilfstransporten absähen. Hohe Kosten für den Transport, die Würde der Menschen – deshalb kauften Hilfsorganisationen Textilien heute lieber vor Ort ein.

Khalil schreckt der Aufwand nicht, er will ja nur helfen. Er hat lang genug in Aleppo gelebt, um zu wissen, dass die Winter in der Stadt, 390 Meter über dem Meer, kühl sind und die Menschen  kein Öl zum Heizen haben. Das ist als Kraftstoff für Fahrzeuge wichtiger, wenn es überhaupt mal welches gibt. Auch der Ford-Kombi mit Diesel-Motor, den seine Gruppe in Leipzig gekauft hat, wäre dringend nötig, wo Benzin, so Khalil, in Aleppo schon gar nicht mehr erhältlich sei.

Bei der Vielzahl an bewaffneten Gruppen, die in Nordsyrien aktiv sind, zählt meist das Recht des Stärkeren.

Aber an der türkisch-syrischen Grenze ist endgültig Stopp für seinen Kombi: Die türkischen Grenzer lassen keine ausländischen Fahrzeuge mehr durch. Nur syrische Fahrzeuge rollen über den Grenzübergang. Und Autotransporter-Sattelzüge bringen neue Pick-ups, schwarz lackiert, in den Bürgerkrieg, so wie man sie – ausgestattet mit schweren Waffen auf der Ladefläche – von den Bildern aus Guerilla-Kriegen kennt.

Auch für Journalisten ist hier Stopp, da sich die Sicherheitslage im Nordwesten Syriens massiv verschlechtert hat. Auch Khalil wäre in Begleitung europäisch aussehender Journalisten in Gefahr, seit Islamisten Kopfgelder auf wertvolle Entführungsziele ausgesetzt haben. Das hat auch Hilfsorganisationen dazu veranlasst, ihr ausländisches Personal abzuziehen oder dessen Arbeit auf verhältnismäßig sichere Regionen zu beschränken.

Die internationale Hilfe hat es in Syrien schwer

So auch Arche Nova, eine Dresdner Organisation mit viel Erfahrung in der Region, deren Koordinator Sven Seifert bestätigt, dass man noch Mitarbeiter im Land habe, aber durch die Gefahr von Entführungen stark eingeschränkt sei. Dabei verschlechtere sich die humanitäre Lage wöchentlich, und seit die Türkei die wenigen Grenzübergänge nun auch zeitweilig geschlossen hält, sei die Versorgung von der Türkei aus noch schwerer, Hilfe gelange kaum ins Land.

Über diesem Checkpoint weht die schwarze Fahne des Jihad. Immer radikalere islamistische Gruppen werden zum Problem für Hilfstransporte. Hier zwischen Tali Rifaat und Menaght Airbase (Provinz Aleppo).

Die medizinische Versorgung: zusammengebrochen. Behelfskrankenhäuser sind von der Versorgung mit Medikamenten, medizinischem Material und Geräten abgeschnitten. Bei allen Hilfsorganisationen ist neben der Sorge um die Notleidenden auch die Sorge um die Helfer wegen der Entführungsfälle groß.

Ein zerstörter Straßenzug und eine zerstörte Moschee in Azaz (Provinz Aleppo). Die Zerstörungen in der Provinz Aleppo haben sehr viele Menschen obdachlos gemacht. Gerade jetzt wo der Winter bevorsteht, sind sie auf Hilfe dringend angewiesen.

Die Diakonie Katastrophenhilfe, so Pressesprecherin Urte Lützen, sehe dabei auch einen Vorteil darin, dass man grundsätzlich weltweit mit lokalen Partnern zusammenarbeite. Dadurch könne man bestehende Strukturen nutzen und müsse nicht bei Null anfangen, und es müssten weniger ausländische Mitarbeiter zum Einsatz kommen, die gerade in Syrien zum Ziel von Entführungen werden könnten. Seit September organisiere die Diakonie Katastrophenhilfe auch Hilfe innerhalb Syriens mit lokalen Partnern. Das evangelische Hilfswerk verbreitet neben Lebensmitteln oder Schlafutensilien und Hygieneprodukte zur besseren Versorgung von Säuglingen und Kleinkindern laut Lützen auch Informationen über die Vorbeugung etwa von Magen-Darm-Erkrankungen und bietet psychosoziale Hilfe für Kinder und Erwachsene. Für die Flüchtlingshilfe in Syrien und den angrenzenden Ländern habe man bisher 7,3 Millionen Euro bereitstellen können.

Khalil kehrt wohlauf zurück nach Deutschland

Khalil ruft uns am Abend aus Aleppo an. Nachdem er hinter der Grenze schon den Lauf einer entsicherten Kalaschnikow auf der Brust gehabt habe, sei er schließlich doch durchgelassen worden, weil ihn Freunde aus Aleppo, die ihn hinter der Grenze abholen sollten, endlich fanden und die Verdächtigungen zu zerstreuen halfen.

Banges Warten.

Vier Wochen nach seiner Abreise treffen wir Khalil wieder, in einem Café am Leipziger Hauptbahnhof, wo seine Reise losgegangen war. Erstaunlich ruhig erzählt er uns von den Wochen in Syrien: Wie, gerade als er Melonen einkaufen war, in nächster Nähe eine Rakete einschlug; er für Stunden verschleppt wurde; ins Schussfeld von Scharfschützen kam, dabei zusehen musste, wie ein Kind von einer Kugel getroffen wurde. Mit dem Geld, das er habe einschmuggeln können, habe er Medikamente – "Antibiotika, Schmerzmittel, Medikamente gegen Kinderkrankheiten, einfach alles, was fehlt" – auf dem Schwarzmarkt kaufen können, ein paar Kofferraum-Ladungen voll, die er und Freunde an "versteckte Krankenstationen" verteilten. Ein Tropfen auf den heißen Stein, weiß er, aber wenn mit den Medikamenten nur ein Leben gerettet oder Kindern geholfen werden könne, dann sei es seine Reise wert gewesen.

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Nur die Rückmeldefrist an seiner Uni, die hat er verpasst. Verständnis habe man immerhin gehabt in der Verwaltung für den Grund seiner Verhinderung: In Aleppo gab es schlicht keinen Internetzugang.