Eine solche Situation kommt immer wieder: Der Ehepartner einer Nachbarin ist gestorben. Und jetzt fragt man sich mit einigem Unbehagen, wie man da am besten reagiert: Soll ich mal eben klingeln und mein Mitgefühl zum Ausdruck bringen? Eine Trauerkarte in den Briefkasten werfen oder erst einmal abwarten und nicht stören, um sie zunächst allein trauern zu lassen?
Richtig zu kondolieren erfordert viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen. "Trauen Sie Ihrem Bauchgefühl", rät der evangelische Theologe Klaus Dirschauer aus Bremen, der sich seit vielen Jahren mit dem Thema Trauer befasst. Bei einem Todesfall in der Nachbarschaft empfiehlt er, das Kondolieren nicht lange aufzuschieben: "Warten Sie nicht, bis Sie die Nachbarin zufällig im Treppenhaus treffen. Gehen Sie hin und sprechen Sie sie an." Nicht zu kondolieren sei ganz falsch. Das sei, als ob man jemanden von einem Tag auf den anderen nicht mehr grüße.
Einfache Worte und ein offenes Ohr
Chris Paul (Jahrgang 62) hat als junge Frau eine nahe Freundin durch Suizid verloren. "Ich habe damals erlebt, dass ich nicht nur sie verloren habe, sondern auch den normalen Kontakt zu meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen. Fast niemand war in der Lage, angemessen, normal und freundschaftlich auf mich zuzugehen", erinnert sie sich. Weil sehr viele Trauernde heute dieselbe schmerzliche Erfahrung machen, hat die Leiterin des Trauerinstituts Deutschland jetzt einen Leitfaden geschrieben, in dem sie zu einem angstfreien Umgang mit Trauernden ermutigt. Ihre wichtigste Botschaft: "Freunde, Angehörige und Kollegen sind fast die wichtigste Kraftquelle für trauernde Menschen."
Trauernde Menschen, so Chris Paul, "wollen gar nicht viel von anderen hören. Ein kurzer, ernst gemeinter Gruß ist ausreichend." Besser, als vor lauter Unsicherheit gar nichts zusagen oder gar die Straßenseite zu wechseln, ist es, die eigene Befangenheit kurz auszusprechen. "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich bin fassungslos. Aber ich möchte Ihnen sagen, dass ich an Sie denke." Den meisten Trauernden tue es gut, wenn sie spüren, dass der/die Verstorbene bei anderen in guter Erinnerung ist. "Ich erinnere mich, wie Ihr Mann mir immer die Tür aufgehalten hat, als wir hier eingezogen sind."
Auch Dirschauer mahnt bei Beileidsbekundungen zu schlichten Worten. Ausdrücke wie "mein allerherzlichstes" oder "aufrichtigstes" Mitgefühl findet er nicht angebracht: "Nehmen Sie sich da ein Beispiel an Derrick, der hat als Fernsehkommissar auch immer nur knapp gesagt: 'Mein Beileid'." Während des Gesprächs sollte man nicht fragen: "Wie ist es denn passiert?", rät Dirschauer. "Das zwingt den Betroffenen nur, alles noch einmal zu wiederholen". Wer Trost spenden wolle, sollte auch nicht von eigenen Trauerfällen berichten: "Wenn Sie jemandem kondolieren, dann erzählen Sie ihm nicht Ihre Story, sondern hören Sie einfach zu", sagt Dirschauer, der ebenfalls einen kleinen Trauer-Knigge verfasst hat.
Keineswegs angemessen sind Durchhalteparolen wie "Das wird schon wieder" oder "Eines Tages wirst du begreifen, wozu das gut war." Solche aufmunternden Floskeln hinterlassen Wunden statt zu trösten. Sie werden dem Ausmaß des Schmerzes von Trauernden nicht gerecht. Auch mit Überzeugungen, die vielleicht aus dem eigenen Glauben kommen, sollte man eher zurückhaltend sein. Wer selbst aus dem Glauben Zuversicht und Mut schöpft, kann Trauernde aus dieser Kraft heraus begleiten – überstülpen sollte man Trauernden den eigenen Glauben nicht. "Wenn man den Eindruck hat, ein bestimmter Gedanke oder Vorschlag könne dem Trauernden weiterhelfen, sollte man ihn darauf hinweisen und fragen, wie er darüber denkt", so Chris Paul.
"Bleibt dran, lasst Trauernde nicht fallen"
Und wenn ein trauernder Mensch in Tränen ausbricht, die andere hilflos machen? "Dableiben, zuhören, einen Moment Zeit für die Gefühle des anderen haben und sich erlauben, selbst berührt zu sein", ist nach Chris Pauls Erfahrung allemal besser als peinlich berührtes Schweigen oder ein rascher Themenwechsel. Anwesenheit und stumme Zuwendung bedeuteten oft mehr als Worte, urteilt auch der Psychiater und Buchautor Volker Faust aus Ravensburg: "Geben Sie dem Trauernden die Möglichkeit, Gefühle zu zeigen. Wer sich 'zusammennimmt', ist bequem für die anderen, schadet dafür aber dem eigenen Genesungsprozess." Auf seiner Webseite psychosoziale-gesundheit.net gibt Faust Tipps für den Umgang mit Trauernden.
Chris Pauls wichtigster Rat lautet: "Bleibt dran, lasst Trauernde nicht fallen, geht ihnen nicht aus dem Weg, sondern macht immer wieder Angebote, selbst wenn sie nicht beim ersten Mal angenommen werden." Freunde und Nachbarn, die geduldig und hartnäckig Angebote machen, sind für Trauernde ein großes Geschenk. Sie machen deutlich: Auch wenn der Verstorbene niemals zurückkommt, sind hier andere, die bei dir bleiben und immer wieder kommen. Alltagstaugliche Gesten und Angebote, wie eine Einladung zu einem Spaziergang, ein Topf Suppe, eine Blume, eine Kerze, eine Karte oder ein Anruf zum Todestag, können Trauernden den manchmal langen Weg in das unbekannte Leben ohne den Verstorbenen erleichtern.
Und was, wenn das Verhalten des Trauernden unverständlich und fremd erscheint? Wenn die Trauer kein Ende nehmen will? Die Ideen, wie schnell Trauer gehen muss, haben sich in den letzten Jahren sehr verändert. Heute gelten Trauerzeiten von drei Jahren als durchaus angemessen. Wo trauernde Menschen aber völlig antriebslos und unfähig zur Bewältigung ihres Alltags sind, besteht der Verdacht auf eine Depression. Und das ist etwas anderes als Trauer. Mit dem Hinweis. "Ich mache mir Sorgen um dich", ein Besuch beim Hausarzt ins Gespräch gebracht werden. "Meine Erfahrung ist, dass jeder Ratschlag, der sagt, 'du musst endlich' das Gegenteil bewirkt. Statt Druck und Ratschläge sind Respekt, wertschätzende Unterstützung und langer Atem gefragt."