Im Sommer 1545 schrieb Martin Luther seiner Frau Katharina von Bora einen Brief, der mit den Worten beginnt: "Meiner freundlichen lieben Hausfrau Katharina Luther von Bora, Predigerin, Brauerin, Gärtnerin und was sie mehr sein kann." Zuneigung spricht aus diesen Zeilen, auch Respekt. Luther war nicht gerade für ein feministisches Frauenbild bekannt, doch mit seiner "Käthe" bekam er eine Frau, die sich weitgehend auf Augenhöhe befand. Kein Weibchen, vielmehr ein gestandenes Weibsbild.
###mehr-personen###Durch ihre klösterliche Erziehung war sie umfassend belesen und gebildet, mit den theologischen Fragestellungen der Zeit vertraut. Zugleich managte sie den Haushalt, sorgte für die vielköpfige Familie und bewirtete die zahlreichen Gäste, die sich täglich an der Tafel einfanden. Salopp gesprochen, war es das Multitasking einer für die damalige Zeit bemerkenswert emanzipierten Frau, freilich unter der Bedingung, sich völlig in den Kosmos Luthers einzufügen, als Partnerin und Dienerin zugleich.
Vorbild für christliches Zusammenleben
Seit Luther den Zölibat verworfen hatte, stieg das Pfarrhaus zum Paradigma christlichen Zusammenlebens auf. Was sich aus dem antiklerikalem Impuls des Reformators entwickelte, war die gleichermaßen profane wie heilige Familie. Und damit das Paradoxon einer idealtypischen Gegenwelt, die zugleich mitten ins weltliche Geschehen hineinwirken sollte: frei nach Luthers Vorgabe, das gesamte Leben solle ein Gottesdienst sein.
Fortan stand Katharina Modell für die Frau an der Seite des weltzugewandten evangelischen Kirchenmannes. Die Familie wurde öffentlich, das Private sichtbar - und musste der permanenten Beobachtung durch die Gemeinde standhalten. Ein hoher Anspruch, besonders für die Pfarrfrau. Denn man verlangte ihr die absolute Identifikation mit dem Ethos des evangelischen Pfarrhauses ab, das sich als Zentrum der Gemeinde verstand, als Anlaufstelle für Bedürftige, als Haus der Seelsorge und der bedingungslosen Nächstenliebe.
###mehr-artikel###Die Pfarrfrau war nicht nur mit einem Geistlichen verheiratet, sondern auch mit seinem Amt. Das bedeutete zunächst eine starke Aufwertung. Sie war Respektsperson wie ihr Mann, man sprach sie mit "Frau Pastor" an. Vom Talarausbürsten bis zur Leitung des Kirchenchors übernahm sie verschiedenste Aufgaben. Neben den meist zahlreichen Kindern und den Hausfrauenpflichten veranstaltete sie Bibelstunden, machte Krankenbesuche und vertrat den abwesenden Ehemann, wenn jemand an die Pfarrhaustür klopfte. Dies nahm sie in der Regel klaglos auf sich. Lange vor der Bürgergesellschaft und ihrer Idee ehrenamtlichen Engagements opferte sie sich auf, ohne mehr als ein Dankeschön dafür zu erwarten.
Für die Wirkmacht des Pfarrhauses war dies von elementarer Bedeutung, denn auf diese Weise vervielfältigte sich sein kultureller Einfluss, durch die vielen theologischen und musischen Aktivitäten, aber auch durch die gastfreundliche Atmosphäre, in der gebetet, debattiert und Hausmusik gepflegt wurde. Bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein sah es die Kirchenleitung deshalb nicht gern, wenn Pfarrfrauen berufstätig waren. Beim Bewerbungsgespräch von Pfarrern war dies die Gretchenfrage: Wie hält es die Frau mit dem Beruf? Man bevorzugte die Pfarrfrau als Teil des geistlichen Teams.
Zwischen Inspiration und Last
Doch wie jede Ausnahmerolle konnte und kann auch die der Pfarrfrau Inspiration oder Last bedeuten, Segen oder Handicap. Was könnte anstrengender sein als ein Leben im "gläsernen Haus"? Immer vorzeigbar, immer geduldig, stets bereit, Gäste zu bewirten, ein Ohr für die Sorgen anderer zu haben, ohne die Chance auf Rückzug? Wie geht man mit Konflikten und Krisen um, unter den wachsamen Augen der Gemeinde? Die Verklärung des Pfarrhauses zur vorbildlichen Idylle, wie sie besonders im 19. Jahrhundert beschworen wurde, erzeugte auch einen enormen inneren Druck. Nicht zuletzt die vielen rebellischen Pfarrerskinder, von Friedrich Nietzsche bis Gudrun Ensslin, erzählen vom Bedürfnis, sich aus dem zwanghaft idealisierten Pfarrhaus zu befreien.
Mittlerweile hat sich das Bild geändert. Auch im Pfarrhaus spiegelt sich die gesellschaftliche Entwicklung wider, vom Anspruch auf geregelte Arbeitszeiten bis zum Recht auf weibliche Selbstbestimmung. So wie Pfarrer nicht mehr rund um die Uhr verfügbar und ansprechbar sein wollen, weigern sich immer mehr Pfarrfrauen, die allzeit bereite Partnerin für Gemeindepflichten zu sein. Nicht jede Frau möchte eine Schicksalsgemeinschaft im höheren Auftrag bilden. Die starke Fokussierung auf die Pfarrersfamilie empfinden viele Pfarrfrauen heute als unzumutbare Belastung, reklamieren Privatheit und die eigene Berufstätigkeit. Anders gesagt: Sie wollen sich nicht mehr durch den Mann definieren und stattdessen eine eigenständige Rolle gestalten.
Eigene Vorstellungen entfalten?
Wenig Gelegenheit zur Entfaltung
Während Luther immer noch eine gewisse Vorbildfunktion im Selbstverständnis der Pfarrer spielt, verblasst das historische Vorbild Katharina von Boras. Sicher, es gibt sie noch, die "Vollzeit-Pfarrfrauen", die ihre Erfüllung in der Verschränkung von Ehe, Familie und Gemeindedienst finden. Die Sensibilität für fremdbestimmte Szenarien ist jedoch wesentlich höher geworden. Am schmerzhaftesten haben das Pfarrfrauen älterer Generationen erlebt, die rückblickend bedauern, wenig Gelegenheit zur Entfaltung eigener Vorstellungen und Begabungen erlebt zu haben. Heute darf die Pfarrfrau eine "normale" Frau sein, auch wenn ihre Präsenz in der Gemeinde oft noch erwünscht ist. Aber die Sozialdistanz ist größer geworden. Kaum noch klingeln Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit an der Tür des Pfarrhauses.
###mehr-links###Für Entspannung sorgen auch die Pfarrmänner. Je mehr Pfarrerinnen es gibt, desto mehr Männer sehen sich jetzt vor die Entscheidung gestellt, wie sie’s denn halten mit dem geistlichen Amt ihrer Frau. An überkommenen Bildern müssen sie sich nicht messen lassen, ein vergleichbarer Erwartungsdruck existiert nicht. Pfarrfrauen dagegen werden auch weiterhin mit besonderen Erwartungen konfrontiert sein, allerdings mit dem Unterschied, dass die individuellen Freiräume größer geworden sind.
"Gott-wohlgefällige Priesterfrau"
Die Vorbildrolle einer "exemplarischen und Gott-wohlgefälligen Priesterfrau", wie sie 1702 in einer Anweisung von Johann Samuel Adami gefordert wurde, müssen sie nicht mehr erfüllen: "Es soll aus ihren Worten Wercken und Gebaerden eine sonderbare Gravitaet, Erbarkeit und Bescheidenheit hervor leuchten; um welcher willen sie jedermann hoch zu halten zu eren und zu rühmen gleichsam gezwungen wird. Sie sollen ganz anders beschaffen seyn als gemeiner Leute Weiber."