Anlässlich des Grimme-Preises für das einfühlsame Suizid-Melodram "Der letzte schöne Tag" sagte Produzentin Kirsten Hager über Regisseur Johannes Fabrick, er sei "in der Lage, die notwendige emotionale Tiefe auszuloten, ohne jemals den falschen Ton zu treffen. Er steht für Filme, mit denen man eine Wertediskussion eröffnen kann, schafft es aber, die jeweiligen Konflikte ohne erhobenen Zeigefinger zu visualisieren." Zur Vielzahl ihrer gemeinsamen Filme gehört nun auch der zweite Auftritt von Lena Fauch. Die Titelheldin ist Polizeiseelsorgerin und entsprechend hin und hergerissen zwischen den Dingen des Lebens und des Glaubens; ein perfekter Stoff für Fabrick, in dessen Filmen es regelmäßig um moralisch-existenzielle Herausforderungen geht. Auch Lena Fauch sieht sich im Verlauf dieser Geschichte mit einem echten Dilemma konfrontiert: Einerseits unterliegt sie als Pastorin der Schweigepflicht, andererseits fühlt sie sich der Loyalität zu den Kollegen verpflichtet; erst recht, wenn es um Mord geht.
Übergriffiges Fehlverhalten
Den vor knapp einem Jahr ausgestrahlten ersten Auftritt der Theologin hatte noch Kai Wessel inszeniert und dabei für seine Verhältnisse erstaunlich viele Action-Sequenzen integriert. Fabricks Film konzentriert sich stärker auf Zwischentöne, ohne dabei weniger dynamisch zu wirken. Dank der Handkamera (Bildgestaltung: Helmut Pirnat) ist man als Zuschauer bei den Einsätzen der Polizei immer mitten im Getümmel. Einer der Kommissare pflegt es bei solchen Gelegenheiten gern zu übertreiben: Hoffmann (Norman Hacker) lässt seine Wut regelmäßig an Verdächtigen aus. Lena Fauch (Veronica Ferres), auf eigenen Wunsch aus der bayerischen Provinz nach München versetzt, soll sich des Mannes annehmen, doch der schaltet auf stur und belästigt sie sogar sexuell. Ein anderer Kommissar unterstützt sie dagegen auf der ganzen Linie: Christian Fenn (Alexander Held) ist für einen Polizisten ungewöhnlich bibelfest. Seine entsprechenden Zitate stammen allerdings ausschließlich aus dem Alten Testament. Entsprechend unbarmherzig ist seine Weltsicht: Die Großstadt ist für ihn ein Sündenpfuhl. Weich wird er nur, wenn es um seine in New York studierende Tochter geht. In Wirklichkeit ist Muriel (Xenia Assenza) längst wieder daheim, wie die Seelsorgerin von Fenns Ex-Frau (Claudia Geisler) erfährt; und offenbar ist sie auch in die Ermordung ihres früheren Freunds verwickelt. Über all das aber darf die Pfarrerin wegen der Schweigepflicht nicht sprechen; es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als die Ermittlungen selbst voranzutreiben.
Trotz der kriminalistischen Ansätze vermeidet es das Drehbuch (Fabrick und Britta Stöckle) klugerweise, aus der Theologin eine Hobbydetektivin zu machen. Veronica Ferres verkörpert die Titelfigur nicht mehr so gramgebeugt wie zum Auftakt der Filmreihe, aber nach wie vor sehr nachdenklich und in sich gekehrt; entsprechend sparsam ist ihr oft bloß auf beiläufige Blicke reduziertes Spiel. Ähnlich zurückhaltend sind die Dialoge: Fauch sieht sich nicht als Missionarin im Moloch der Großstadt. Interessant ist auch die stimmige musikalische Untermalung (Ralf Wienrich, Eckart Gadow), deren Spektrum von Sinfonik bis Elektronik reicht. Größtes Kapital des Films aber sind seine Figuren.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Prügelpolizist fällt zwar etwas eindimensional aus, aber dafür ist der Kontrahent im Revier um so interessanter: Hoffmann und der bibelfeste Kommissar sind Erzfeinde, denn Hoffmann war der Grund für die Scheidung des Ehepaars; dabei hätte Fenn, wie Fauch rausfindet, noch viel mehr Grund, den Kollegen zu hassen. Wie immer in den Arbeiten Fabricks sind die Darsteller ausgezeichnet geführt. Davon profitiert auch Xenia Assenza, spätestens seit dem schwülen Sat.1-Thriller "Die Verführung – Das fremde Mädchen" eines jener aufregenden Nachwuchstalente, die viel zu selten zeigen dürfen, was sie können.