Foto: Christian Bartels
Pressefreiheit in Vietnam: Bloggerverfolgung und Saucenopern
Das Internet ist überall in Vietnams Hauptstadt, aber in kaum einem anderen Staat leben Blogger so gefährlich. Christian Bartels war auf Einladung des Auswärtigen Amtes und des Goethe-Institutes beim deutsch-vietnamesischen "Mediendialog" in Hanoi. Ein Bericht aus einem Land zwischen Medienwandel, Zeitungskrise und staatlichem Meinungsmonopol.

Wer auf der "Rangliste der Pressefreiheit" der Reporter ohne Grenzen nach Vietnam sucht, muss tief nach unten scrollen. Es liegt auf Platz 172 von 179 Ländern und zählt gar zu den "Feinden des Internets". Der laufend aktualisierten Liste inhaftierter Netizens zufolge sitzen Vietnam 35 Blogger im Gefängnis - nur in China sind es mehr.

Dabei ist das Internet überall in Vietnam. Über den Straßen Hanois hängen bündelweise Kabel, für Strom, aber auch für Breitband-Internet. Freies W-LAN und preiswerte SIM-Karten sind überall zu haben, mobile Internetgeräte omnipräsent. Dennoch wird von regelrechten Verfolgungsjagden auf Blogger berichtet. Vor zwei Wochen erst wurde der katholische Bürgerrechte-Blogger Le Quoc Quan zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt.

Das liegt auch daran, dass der kommunistische Staat das Internet nicht kontrollieren kann, wie er es mit den traditionellen Medien tut. Sie sind stark reglementiert, ihre Mitarbeiter haben ausgiebige Auswahlprozesse durchlaufen. Sämtliche Zeitungen sind offiziellen Institutionen des Einparteienstaats zugeordnet, der Kommunistischen Partei, ihren Verbänden oder Ministerien. Ein Teilnehmer beim deutsch-vietnamesischen Mediendialog im Goethe-Institut Hanoi fasste das System so zusammen: Niemand dürfe etwas Schlechtes über den Vater sagen, also die Institution, die das eigene Medium herausgibt. An Onkeln aber, anderen Institutionen, sei Kritik gestattet. Über den Großvater wiederum - die Staats- und Parteiführung - dürfe überhaupt niemand Schlechtes sagen.

Schleichwerbung selbst in Nachrufen

Zwei Entwicklungen setzen diese Medienlandschaft zunehmend unter Druck: das Internet und der Wegfall von Subventionen. Die technischen Fähigkeiten Chinas, ganze Infrastrukturen zu sperren, besitzt der vietnamesische Staat nicht. Onlinezensur findet trotzdem statt, allerdings rückwirkend. So bringen Blogger neue Inhalte in eine immer größere Online-Öffentlichkeit. Die klassischen Medien müssen darauf schon wegen der zweiten Entwicklung reagieren: Seit wirtschaftlichen Reformen in den 1980er Jahren sind sie nicht mehr vollsubventioniert, sondern müssen sich zunehmend am Markt finanzieren. Da Zeitungs-Abonnemements in Vietnam kaum eine Rolle spielen, geschieht das über Werbung, aus der Zeitungen bis zu 90 Prozent ihrer Einnahmen beziehen.

Strom- und Internetkabel über den Straßen von Hanoi.

Aber auch in Vietnam gehen die Zeitungsverkäufe zurück, der Wettbewerb um Werbung und Aufmerksamkeit verlagert sich ins Netz. Um zu überleben, greifen die Zeitungen zu fast allen Mitteln: Werbekunden bezahlen mehr, damit ihre Inhalte nicht als Anzeigen gekennzeichnet sind, hieß es beim Mediendialog. Selbst in aktuellen Onlineberichten über den Tod des Generals Vo Nguyen Giap, der Vietnam durch die Kriege gegen Frankreich und die USA führte, entdeckte eine Teilnehmerin offensichtliche Schleichwerbung für eine Automarke.

Der Tod des Nationalhelden spielte auch beim Höhepunkt des Mediendialogs eine Rolle: dem Auftritt des populären Bloggers Nguyen Huu Vinh. Der Betreiber der Webseite basam.info kam nicht als regulärer Teilnehmer, um die ministerielle Genehmigung der Veranstaltung nicht zu gefährden, sondern hielt als Gast einen emotionalen Vortrag. Gemeinsam mit Mitarbeitern im amerikanischen Exil, die er nur virtuell kennt, stellt er immer um 2.00 Uhr nachts neue Inhalte auf seine nichtkommerzielle Webseite. Sein Beispiel für Defizite der staatlichen Medienlandschaft: Bei Facebook sei vom Tod des Generals schon eine Stunde später zu lesen gewesen, bald darauf in Blogs. Die Armeeführung aber habe den Tod erst nach 20 Stunden bekanntgegeben - und die staatliche Presse dürfe nichts berichten, bevor der Befehl dazu käme.

Tatsächlich liegt die Annahme nahe, dass an offiziellen Giap-Nachrufen lange gefeilt wurde. Schließlich ist auch in Vietnam bekannt, dass der hoch verehrte General die Staatsführung offen kritisiert hatte. "Wir haben so viele Zeitungen, aber nur einen Chefredakteur" - mit dieser in Vietnam häufig zu hörenden Redensart erklärte Vinh den Erfolg seines Blogs. Viele Teilnehmer des Mediendialogs bewunderten seinen Mut.

Schwammig formuliertes Gesetz als Druckmittel gegen Blogger

Das aktuell brisanteste medienpolitische Thema Vietnams ist ein schwammig formuliertes Gesetz, dass in seiner Unklarheit deutsche Teilnehmer, darunter auch Netzpolitik-Blogger Markus Beckedahl, ans deutsche Leistungsschutzrecht erinnerte. In der Praxis hat das "Dekret 72", das in Vietnam heftig kritisiert wird, aber ganz andere Folgen.

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Es handelt es sich um ein offenbar absichtlich diffus geschriebenes Gesetz für Online-Publikationen. Das Gesetz, dessen Durchführungsbestimmungen ohnehin erst noch erarbeitet würden, richte sich gegen solche Webseiten, "die nur von geklauten Nachrichten leben", erläuterte Nguyen Thi Thanh Huyen aus dem Ministerium für Information und Kommunikation.

Tatsächlich bestätigen viele vietnamesische Journalisten, dass das Copy-and-paste-Prinzip bedenkenlos angewendet würde, schon weil Onlinemedien 200 Artikel am Tag veröffentlichen sollten und gar nicht die Mittel hätten, ohne schlichtes Kopieren auf dieses Pensum zu kommen. Dem Dekret zufolge müssten Nachrichten-Quellen genannt und verlinkt werden; elektronische "Nachrichtenblätter", die nicht ausschließlich fremde Inhalte zitieren, sondern auch eigene bieten, seien nicht betroffen, so die Ministerialbeamtin.

Doch die freundliche Auslegung scheint nicht allen plausibel. Vielmehr gehe es darum, durch ein schwammig formuliertes Gesetz auch bei Bloggern den politischen Druck zu schaffen, der bei Printjournalisten schon lange wirkt. Eine naheliegende Interpretation, denn der Blogger Le Quoc Quan wurde nicht aus medienrechtlichen Gründen verurteilt, sondern wegen Steuerhinterziehung. Mithilfe scheinbar unpolitischer Mediengesetze könnte so etwas für den Staat künftig noch einfacher funktionieren.

Bei aller berechtigten Kritik dürfe man allerdings nicht vergessen, dass die Vietnamesen noch vor 60 Jahren überwiegend Analphabeten waren und in dieser Zeit Kriege gegen Franzosen, Amerikaner und Chinesen geführt haben, sagte Bui Viet Ha von der Journalismus-Akademie der Nationaluniversität Hanoi.

Saucen- statt Seifenoper

Tatsächlich ist Nationalstolz eine Klammer, die das Land zusammenhält. Im 20. Jahrhundert musste kaum ein anderes Land so viele Kriege auf eigenem Territorium führen wie Vietnam. Noch immer gibt es andauernde Grenzauseinandersetzungen mit China, ein Thema, das häufig in Blogs auftaucht, aber in offiziellen Medien weitgehend verschwiegen wird, um Eskalationen zu verhindern.

Viele Entwicklungen im Einparteienstaat Vietnam lassen sich mit der gewachsenen Medienvielfalt in Deutschland kaum vergleichen. Manche sehr wohl. Über 85 Prozent der Haushalte empfangen Fensehen in Vietnam. Wer bezahlt, bekommt das amerikanische Qualitätsprogramm HBO mit seinen preisgekrönten Serien. Wer nicht bezahlt, sieht die Casting-Show "Vietnam Idol" oder Soaps aus Korea und Vietnam, die statt Seifen- eher Saucenoper heißen müssten: Das Schauspielen findet minutenlang im Bildhintergrund statt, während im Vordergrund eine Flasche Chilisauce stehe, für deren Platzierung der Hersteller offensichtlich bezahlt hat.

Tran Quang Huy, der eine medizinische Talkshow verantwortet, bilanzierte den Mediendialog für seinen Fernsehsender Vietnam Television: "Wir müssen uns in Acht nehmen, sonst erleben wir den nahen Tod wie jetzt die vietnamesische Presse". Manche Entwicklungen könnten im demografisch jungen Vietnam sogar schneller verlaufen als in Deutschland.