Foto: epd/Gustavo Alàbiso
Der hellgrüne Lichtkegel auf Gesicht und Oberkörper des gekreuzigten Jesus an der Kanzel des Straßburger Münsters.
Das grüne Jesus-Leuchten im Straßburger Münster
Zweimal im Jahr, zur Tag- und Nachtgleiche, offenbart das Straßburger Münster ein geheimnisvolles Phänomen. Ein grüner Lichtstrahl erleuchtet die gekreuzigte Jesusfigur an der Kanzel. Geniale Architekturkunst oder reiner Zufall?
21.09.2012
epd
Christine Süß-Demuth

Es ist genau 12.22 Uhr, als der hellgrüne Lichtkegel auf Gesicht und Oberkörper des gekreuzigten Jesus scheint. Hunderte Menschen aus aller Welt haben sich im Straßburger Münster versammelt, um das mysteriöse Licht zu sehen, dass an der hellen Sandstein-Kanzel entlang wandert.

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Kameras und Handys klicken, während die Orgel den Choral "Oh Mensch die Sünde groß" von Johann Sebastian Bach spielt. Die andächtige Atmosphäre ist schon nach wenigen Minuten vorbei: Nicht nur der Lichtkegel zieht weiter, sondern auch die Besucher in der römisch-katholischen Cathédrale Notre-Dame (Liebfrauenmünster), die zu den bedeutendsten Kathedralen der europäischen Architekturgeschichte gehört.

Der linke Schuh des Juda

Geniale Architekturkunst oder reiner Zufall? Die Meinungen gehen dazu auseinander. Der Straßburger Vermessungsingenieur Maurice Rosart hat den Effekt 1972 entdeckt und 1984 publik gemacht. Für ihn ist der Fall klar: Der "Grüne Strahl" ist das Produkt eines klugen Geistes und sollte als Zeitmesser dienen.  

Auch an diesem Wochenende (22./23. September) ist das mysteriöse Licht zu sehen - sofern die Sonne scheint. Mehrere Tage lang wandert der Strahl an der Kanzel entlang und ist dort jeweils etwa für 15 Minuten zu sehen. Die Sonnenstrahlen gehen dann direkt durch eines der südlichen Mosaikfenster, auf dem Juda, einer der zwölf jüdischen Stammväter zu sehen ist. Es ist die Glasscheibe mit seinem linken grünen Schuh, der das Phänomen verursacht. 

Grünes Licht erst seit den 70ern

Daran sei jedoch nichts Mystisches oder gar Esoterisches, ist der ehrenamtliche Pastoralrat, Francois Muller, überzeugt. Das sei alles reiner Zufall. Die jetzigen Fenster seien erst Ende des 19. Jahrhunderte eingesetzt worden. Erst nach der Restauration in den 70er Jahren sei der Effekt entdeckt worden, erzählt Muller, der als Fremdenführer arbeitet. Vor dem 19. Jahrhundert habe es an der Südseite keine farbigen Fenster gegeben, das Leuchten sei nirgends beschrieben worden.  

Gegen die These eines Zeitmesser spricht aus seiner Sicht auch, dass der Strahl nicht genau zur Mittagszeit scheine und auch von der Sterbestunde Jesus gegen 15 Uhr sei der Lichtstrahl weit entfernt. Auch wenn er das Ereignis seit Jahren kommentiert, bleibt für ihn die Tag- und Nachtgleiche im Münster, das von 1176 bis 1439 erbaut wurde, ein ganz besonderer Moment. Dem grünen Leuchten wohne ein schöner Zauber inne. Muller: "Er sorgt dafür, dass wir unsere Augen zu den Kirchenfenstern erheben und unsere Aufmerksamkeit auf die Kanzel und auf den Gekreuzigten lenken".