Foto: epd-bild/Stefan Arend
Richtung ändern? Ganz so krass sind Reformbewegungen in Religionen nicht immer, auch wenn sie oft gegen den Strom der Orthodoxie streben.
Die Reform einer Religion kann nur von innen kommen
In Berlins historischer Mitte, am Petrikirchplatz, wird ein neuartiges monotheistisches Bet- und Lehrhaus entstehen. Hier sollen bald Juden, Christen und Muslime gleichberechtigt nebeneinander Gottesdienst feiern. Vor allem aber sollen sie hier miteinander reden und sich dadurch besser kennen lernen. Brauchen die drei Religionen dafür aber Reformen? Und sind sie überhaupt reformfähig oder -willig? Das war Thema einer Diskussion in Berlin mit dem jüdischen Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, dem Berliner Imam Kadir Sanci und der EKD-Kulturbeauftragten Petra Bahr.

Der jüdische Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik weiß um die Reformfähigkeit seiner Religion. Natürlich habe es gerade in der Neuzeit immer auch einen Modernisierungsdruck gegeben, der durch die gesellschaftlichen Umstände hervorgerufen wurde. Das Judentum habe sich dem aber nicht verschlossen.

"Die Gleichberechtigung von Frauen, die Überwindung von patriarchalen Züge, darin ist das Reformjudentum vorangegangen. Die erste Rabbinerin Regina Jonas wurde 1935 ordiniert, lange bevor es evangelische Pfarrerinnen gab", erinnert Brumlik.

Gerade in der bis heute brennenden Frage der Geschlechtergerechtigkeit könne das Judentum auf biblische Vorbilder zurückgreifen. Da sind etwa die Prophetinnen Mirjam und Hulda oder die Richterin Deborah zu nennen. Kaum zu glauben, dass es ordinierte Rabbinerinnen gegeben hätte, wenn nicht schon in der Bibel selbst starke Frauen als Vorbilder gedient hätten. Man läuft also nicht einfach nur irgendeinem Zeitgeist hinterher. Reform und Moderne seien nur möglich, wenn diese bereits in der Tradition und den Heiligen Schriften selbst angelegt seien. Der Druck komme zwar von außen, die Potentiale für die Weiterentwicklung liegen aber bereits in den Religionen selbst.

"Frauenpower war in der jüdischen Religion immer schon vorhanden, sie ist eine Zeit lang wie im Christentum und im Islam seit der Spätantike vergessen worden. Jetzt ändert sich das", meint Micha Brumlik.

Der Dialog mit extremen Vertretern von Religionen ist äußerst schwierig

Allerdings ist Reform kein Automatismus, sondern muss je erstritten und erkämpft werden. Und natürlich müsse man immer damit rechnen, dass sich Mitglieder der eigenen Religion der Moderne verschließen. So fordert etwa bis heute die kleine Gruppe der Satmar-Chassidim in New York-Williamsburg, dass sich Frauen aus Gründen der Keuschheit nur nach hinten in den Bus setzen sollen.

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Ein liberaler Jude wie Micha Brumlik hält einen Dialog mit solch extremen Vertretern der eigenen Religion für äußerst schwierig. Wenn man aber ein Gespräch über die Interpretation der Heiligen Schriften führen könnte, sei schon viel erreicht. Das Problem aber sei, dass radikale und fundamentalistische Kreise meist einen Dialog mit Liberalen und Aufklärern verweigern.

Eine Reform ist aber grundsätzlich möglich, nur müsse man sie so nicht unbedingt nennen, zumal diese Vokabel für andere Religionen eher einen evangelisch-christlichen Beigeschmack hat, meint der Berliner Imam Kadir Sanci. Im Islam sollte man lieber von Wiederherstellung oder Erneuerung der Religion sprechen. Und die könne nur mit Rückbezug auf die Heiligen Schriften erfolgen.

Auch die EKD-Kulturbeauftragte Petra Bahr möchte in ihrer Kirche nicht mehr gerne von Reform sprechen, würde dieser Begriff doch geradezu inflationär missbraucht.

"Es gibt eine Art Fettleibigkeit der Religionen, wenn sie über Reformen nachdenken. Wie können sie sich schlanker organisieren, wie können sie schicker predigen, wie können sie modernere Inszenierungen oder Medien nutzen? Das alles bleibt aber an der Oberfläche, wenn man nicht mehr in der Lage ist zu formulieren, was einen unmittelbar angeht", warnt Bahr.

Die Reformierungsleistung sei ja seit Luther nicht die Modernisierung gewesen, sondern gerade eine Rückbesinnung auf die Quellen. Reform und Veränderung kommt aber selten von oben, sondern muss in der Regel von unten, von der Basis, durch die Gründung von Subgruppen und Subkulturen innerhalb einer Religion durchgesetzt werden. Micha Brumlik hat das selbst mit Gleichgesinnten durchexerziert.

Reformdynamik entsteht aus "innerer Religiösität"

"Es ist immer eine Machtfrage. Man geht raus, Exodus, wenn man in einer Situation der Schwäche ist. Als wir in Frankfurt am Main 1989 die ersten liberalen egalitären jüdischen Gebetsgruppen gebildet hatten, war das in den offiziellen Synagogen der jüdischen Gemeinden nicht zu machen. Wir haben uns also in Bürgerhäusern und Jugendherbergen getroffen und dort unsere Gottesdienste gefeiert", erinnert sich der jüdische Publizist.

Erst nach Jahren des zunehmenden Zulaufs und Erfolgs wurden die liberalen Kräfte von den konservativen Gläubigen anerkannt. Inzwischen gibt es in der jüdischen Gemeinde in Frankfurt eine eigene liberale Synagoge.

Solche Dynamik entsteht aber kaum auf Grund eines oberflächlichen Modernitätsanspruches, sondern viel mehr aus ernst gemeinter innerer Religiosität heraus. Egal ob man es nun Erneuerung, Wiederherstellung oder Reform nennt, eine Entwicklung der Religionen kann nur geschehen, wenn deren Protagonisten selbst durch und durch darin beheimatet sind, ist sich die evangelische Theologin Petra Bahr sicher: "Dieser Stempel, diese Glaubens-Imprägnierung erzeugt produktive Kräfte. Deswegen sind ja so viele aufgeklärte Philosophen im 18. und 19. Jahrhundert aus diesen streng religiösen Milieus gekommen, weil diese Kraft, sich aus einer religiösen Tradition zu befreien, enorme intellektuelle Ansprüche hat."