In zwei Wochen tritt der neue Bundestag zusammen. Kennen Sie schon viele der Abgeordneten?
Dutzmann: Ich kenne einige aus den Zusammenhängen, in denen ich bis jetzt tätig war. Andere werde ich einladen, sobald die neue Regierung gebildet ist. Sicher wird es viele Einzelgespräche geben, aber wir werden auch weiterhin gemeinsam mit unseren katholischen Kollegen zu morgendlichen Andachten in den Bundestag einladen. Die Gebetsfrühstücke in meiner Dienststelle sind für Abgeordnete aller Fraktionen offen, hier wird ein Parteigrenzen übergreifender Dialog gepflegt.
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Als Militärbischof haben Sie erlebt, wie Verteidigungsminister unter Druck gerieten. Franz Josef Jung (CDU) nach der Beschießung von Tankwagen in Afghanistan, Thomas de Maizière (CDU) in der Drohnenaffäre. Ist es richtig, wenn Menschen politisch Verantwortung übernehmen müssen für Vorgänge, bei denen sie als Mensch nur mittelbar beteiligt sind?
Dutzmann: In der öffentlichen Meinung wird die Übernahme politischer Verantwortung oft mit der schnellen Bereitschaft zum Rücktritt gleichgesetzt. Ich finde, das ist ein Kurzschluss. Wenn es grundlegende Probleme in einem Ministerium gibt, kann sich Verantwortungsbewusstsein auch darin äußern, im Amt zu bleiben und die Strukturen zu ändern, die für ein Problem verantwortlich sind. In diesem Sinne ist die Intention von Minister de Maizière nachvollziehbar, der verhindern will, dass ein Debakel wie beim Euro Hawk wieder passiert. Wäre er zurückgetreten, wäre ein Nachfolger am Ende vielleicht ebenfalls durch dieselben problematischen Strukturen an einer guten Amtsführung gehindert worden.
Sie haben mehr Menschlichkeit und Barmherzigkeit in der Politik gefordert. Was wird Ihr Beitrag dazu sein?
Dutzmann: Als Bürger, der Nachrichten hört und Zeitung liest, mache ich die Erfahrung, dass politisch Verantwortliche manchmal in einer Art und Weise miteinander umgehen, bei der man sich fragt, ob das so sein muss. Eine Streitkultur ist etwas Wunderbares, doch eine gute Idee des politischen Gegners aufzunehmen und zu realisieren, würde mehr Ansehen schaffen, als sie reflexhaft abzulehnen. Meinen Beitrag sehe ich in der Seelsorge, die ich als Bevollmächtigter den politischen Akteuren anbiete. Ich kann mir aber auch vorstellen, mich dann und wann öffentlich zu äußern.
Politiker haben bei Beliebtheitsumfragen häufig ein schlechtes Ansehen, Pastoren dagegen ein sehr gutes. Haben Sie als Theologe vielleicht Tipps für Politiker?
Dutzmann: Ich glaube nicht, dass nur Politiker selbst etwas tun müssen. Die ganze Gesellschaft muss lernen, dass es nicht selbstverständlich ist, Lebenszeit und Lebenskraft hinzugeben, um Verantwortung für unser Gemeinwesen zu übernehmen. Politiker haben Anerkennung verdient. Vielleicht kommt die schlechtere Reputation von politisch Verantwortlichen daher, dass das politische Geschäft immer komplexer, immer undurchschaubarer wird. Wenn nicht klar ist, wer warum wie handelt, ist man eher geneigt, Sachverhalte und Personen zu verurteilen.
"Es muss einen Anreiz geben, seine Berufstätigkeit zu unterbrechen, um Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen"
Spielen Aspekte wie Macht und Privilegien eine Rolle?
Dutzmann: Macht spielt immer eine Rolle. Privilegien sehe ich nicht so viele. Die Honorierung der Abgeordneten finde ich nicht exorbitant. Es muss ja auch einen Anreiz geben, seine Berufstätigkeit zu unterbrechen, um Verantwortung für das Gemeinwesen zu übernehmen.
Welche großen Themen stehen für die EKD in der kommenden Legislaturperiode an?
Dutzmann: Das Thema Flüchtlinge ist sicher eins davon. Es wurde uns erst vor wenigen Tagen wieder in Lampedusa vor Augen geführt. Ein neuer Ansatz in der europäischen Flüchtlingspolitik ist absolut erforderlich: Die Grenzsicherung darf nicht dazu führen, dass Menschen ihr Leben lassen müssen. Und es muss sichergestellt sein, dass Schutzsuchende Zugang zu einem Asylverfahren erhalten. Ein weiteres großes Thema ist der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Dazu gehört die Frage, wie es gelingen kann, dass Menschen, die einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, nicht zusätzlich auf staatliche Unterstützung angewiesen sind.
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Und welche Konsequenzen ziehen?
Dutzmann: Davon ist in der EKD-Orientierungshilfe zu Ehe und Familie die Rede. Sie fragt: Was ist eigentlich Arbeit? Wir sind es gewohnt, Arbeit ausschließlich als Erwerbsarbeit zu definieren. Das geht soweit, dass Menschen sagen "Ich arbeite nicht", selbst wenn sie Kinder großziehen, Angehörige pflegen oder einem Ehrenamt nachgehen. An dieser Stelle müssen wir lernen.
Bringen Sie auch Themen aus Ihrer Zeit als Militärbischof mit?
Dutzmann: Die Frage nach dem internationalen Engagement Deutschlands bleibt mir wichtig. Wir haben kein kohärentes sicherheitspolitisches Gesamtkonzept. Es wird immer akut entschieden, auch über den Einsatz von Bundeswehrsoldaten.
Lange diskutiert wurde zum Ende des Afghanistan-Einsatzes die Aufnahme einheimischer Mitarbeiter der Bundeswehr nach Deutschland. Andere Länder, die in Afghanistan im Einsatz waren, scheinen großzügiger zu sein als Deutschland. Finden Sie das richtig?
Dutzmann: Wir waren die ganze Zeit auf diese Ortskräfte angewiesen, zum Teil sind sie hochqualifiziert. Wir können sie nicht einfach zurücklassen. Kürzlich habe ich mich von dem zuständigen General informieren lassen: Er hat mir glaubhaft deutlich gemacht, dass jeder Fall angenommen, geprüft und im Falle einer Bedrohung vor Ort eine Aufnahme empfohlen wird.
"Das Themenjahr der Lutherdekade zu 'Reformation und Politik' ist ein sehr guter Einstieg, Grundsatzfragen zu stellen"
Welche Rolle spielt auf der Berliner Bühne die ökumenische Zusammenarbeit des EKD-Bevollmächtigten mit dem Katholischen Büro? Wo gibt es Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede?
Dutzmann: Die gute ökumenische Zusammenarbeit ist unabdingbar. Wo wir gemeinsame Ziele haben - und das ist im Blick auf politische Belange sehr oft der Fall - können wir gemeinsam mehr erreichen. Und selbst bei Fragen, in denen wir uns nicht einig sind, wie es manchmal im Bereich der Bioethik vorkommt oder jetzt in der Diskussion um Ehe und Familie, rate ich zur Gelassenheit. Ich glaube nicht, dass die bekannten Differenzen die ökumenische Zusammenarbeit auf dem politischen Parkett infrage stellen können.
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Das nächste Themenjahr in der Lutherdekade trägt das Motto "Reformation und Politik". Ein guter Aufschlag für Sie im neuen Amt?
Dutzmann: Das ist ein sehr guter Einstieg, auch weil mich das Motto nötigt, Grundsatzfragen zu stellen. Ich werde im Berliner Gottesdienst zum Themenjahr im Januar die Predigt halten. Zudem werden sich unsere Veranstaltungsformate, wie der "Treffpunkt Gendarmenmarkt", bei dem Politiker mit Vertretern aus Kirche und Gesellschaft diskutieren, auf das Themenjahr beziehen. Geplant sind auch zusätzliche Veranstaltungen wie ein Symposium, das meine Dienststelle gemeinsam mit der Evangelischen Polizeiseelsorge im März 2014 organisiert.
Mitten in das Themenjahr fällt 2014 die Europawahl. Die Wahlbeteiligung war bislang gering. Muss auch die Kirche versuchen, mehr Interesse für Europa zu wecken?
Dutzmann: Aber ja! Ich bin der Auffassung, dass trotz aller Kritik im Einzelnen die Europäische Union den Friedensnobelpreis zu Recht bekommen hat. Sie ist ein einzigartiges Friedensprojekt. Wir machen uns als Nachgeborene einfach nicht mehr klar, dass es nicht selbstverständlich ist, vom Tag unserer Geburt an bis heute in Frieden zu leben. Wir müssen uns auch vergegenwärtigen, dass unsere Gesetzgebung zu einem großen Teil von den Entscheidungen in Brüssel abhängt. Weil das EU-Parlament diese wichtige Rolle als Gesetzgeber hat, müssen wir unserer Pflicht nachkommen, dafür zu sorgen, dass die demokratischen Kräfte dort erhalten bleiben, und dass europafeindliche oder gar rechtsextremistische Parteien kein Gewicht erhalten. Dieses Projekt darf nicht scheitern. Wir rufen deshalb zur Teilnahme an der Europawahl auf.