Foto: epd-bild/Bernd Bohm
"Wir wollen kein Ghetto": Sind Demenzdörfer sinnvoll?
Menschen mit Demenz altern in speziell auf sie zugeschnittenen Wohnviertel würdevoller als in Pflegeheimen, sagen Befürworter. In Deutschland entstehen derzeit zwei solcher Demenzdörfer. Doch das aus den Niederlanden stammende Konzept ist umstritten.
19.10.2013
epd
Dominik Speck

Im Supermarkt dürfen sie mit Knöpfen zahlen. Sie dürfen morgens aufstehen, wann sie wollen. Feste Essenszeiten gibt es nicht. Die Senioren im niederländischen Demenzdorf De Hogeweyk leben anders als in herkömmlichen Pflegeheimen. Die Modellsiedlung wird regelmüßig von Pflegeexperten und Gesundheitspolitikern aus ganz Europa besichtigt. Auch in Deutschland finden sich Nachahmer: Im rheinland-pfälzischen Alzey und in Hilden bei Düsseldorf sollen ähnliche Siedlungen entstehen. Doch an Demenzdörfern gibt es auch Kritik.

"Demenzdörfer werden im medialen und fachlichen Diskurs sehr positiv dargestellt. Dabei fehlen kontrollierte Studien, die die Vor- und Nachteile dieser Siedlungen erforscht haben", sagt Hermann Brandenburg, Professor für Pflege an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. "Demenzquartiere stehen - ob sie es wollen oder nicht - in einer Tradition der Ausgrenzung von armen, kranken und behinderten Menschen", findet Brandenburg.

Ein neues Viertel mit WGs und Geschäften

Jan Bennewitz ist anderer Meinung. "Diese Diskussion ist mir fremd", sagt der für die Sozialbranche tätige Unternehmensberater, der zusammen mit seiner Partnerin Yvonne Georgi in Alzey das erste deutsche Demenzquartier bauen will. Am Stadtrand soll ein Viertel für 120 Bewohner entstehen, mit Wohngemeinschaften und Geschäften. Den Vorwurf, ein Demenzdorf sei wie ein Ghetto, versteht er nicht. "Mit diesem Argument kann man auch Pflegeheime kritisieren. Ein Ghetto ist ein Ort, an dem kein soziales Leben stattfindet. Also das genaue Gegenteil von dem, was wir wollen", sagt Bennewitz.

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Der Alzeyer Stadtrat hat sein Projekt genehmigt, letzte Verhandlungen stehen noch an. Bennewitz rechnet damit, dass Anfang 2015 die ersten Bewohner einziehen werden. Ein Café und ein Friseur sollen die Alzeyer Bevölkerung in das neue Wohnviertel locken.

Im Vorbild-Quartier De Hogeweyk südlich von Amsterdam leben etwa 150 Patienten in 23 Wohnungen. Ein Dorf mit Klinkerhäusern, Straßen, Geschäften und einem Park. Die Ausgänge des Dorfes sind bewacht. Bennewitz hat das niederländische Dorf fasziniert, ebenso wie den Erlanger Psychologen Elmar Gräßel. "In Demenzdörfern können Alltagsaktivitäten besser trainiert werden als in einem herkömmlichen Altenheim", sagt der Professor für medizinische Psychologie. Die Bewohner hätten mehr Möglichkeiten, alltägliche Dinge zu erledigen, zum Beispiel das Kochen in Kleingruppen oder den Supermarktbesuch in geschützter Umgebung.

Insellösungen vermeiden

Auch die Düsseldorfer Graf-Recke-Stiftung, eine diakonische Einrichtung, plant in Hilden eine Siedlung nach dem Vorbild De Hogeweyk. Genehmigungsverfahren und Gespräche mit möglichen Investoren laufen noch. Dort sollen Menschen eine neue Heimat finden, die geronto-psychiatrisch behandelt und auf richterlichen Beschluss in einer geschlossenen Einrichtung wohnen müssen. "Auf dem Gelände sollen auch Angehörige, Pflegepersonal und junge Familien wohnen, es wird Mehrgenerationenhäuser geben", sagt Roelf Bleeker-Dohmen, Sprecher der Stiftung. "Unsere Patienten sollen ihren Anspruch auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben durch die Dorfstruktur verwirklichen können. Das wäre eine Verbesserung im Vergleich zu unserem bisherigen Betrieb."

Wie offen muss ein Demenzdorf sein? Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) fordert: "Demenzquartiere müssen zumindest in einem Stadtviertel entstehen und in das ganze Quartier ausstrahlen, anstatt ein eigener geschlossener Bereich zu sein." Menschen mit Demenz gehörten in die Mitte der Gesellschaft. "Das bedeutet, dass wir langfristig anstreben müssen, Insellösungen für Einzelne zu vermeiden."

Kritiker wie der Pflegeexperte Brandenburg befürchten, dass Demenzdörfer eine Scheinwelt schaffen. Bennewitz hält dem entgegen: "Wir lassen unsere Bewohner nicht unter einem künstlichen Himmel leben. Die Häuser, die Läden, das Café - all das sind echte Einrichtungen." Elmar Gräßel sagt: "Wenn ein Demenzdorf so gestaltet ist, dass es den Bedürfnissen seiner Bewohner entspricht, ist es gelungen."