Giacomo Blume, Moritz Glück, Daniel Plath
"Culinary Misfits": Zweite Chance für sonderbare Früchtchen
Sie sind schief, krumm, knubbelig, irgendwie anders und haben kaum eine Chance. „Culinary Misfits“ bringt Obst- und Gemüse-Außenseiter, das sonst untergepflügt, an die Tiere vom Bauern verfüttert oder aussortiert würde, auf unsere Teller.

Angefangen hat alles im Frühjahr 2012, als die beiden Designerinnen Tanja Krakowski und Lea Brumsack der Verschwendung von qualitativ einwandfreier, schmackhafter und wertvoller Lebensmittel den Kampf anzusagen. Sie hoben "Culinary Misfits" aus dem Kochtopf.

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Was nicht perfekt ist, schafft es nicht in deutsche Supermarktregale. Zwar hat die EU mittlerweile ihre "Gurkenverodnung" aufgehoben und schreibt damit nicht mehr den maximal erlaubten Krümmungsgrad von Gurken vor, doch halten sich viele Großhändler noch immer an diese Norm.

"Esst die ganze Ernte"

Bananen, die in der EU produziert werden, müssen mindestens 14 Zentimeter lang und dicker als 27 Millimeter sein. Und auch wir als Verbraucher haben – bewusst oder unbewusst – ein ästhetisches Norm-Empfinden für Gemüse, auch für das, was wir sowieso nicht in seiner ursprünglichen Form belassen, sondern schälen, würfeln, raspeln oder stampfen. "Esst die ganze Ernte" ist die Botschaft von "Culinary Misfits".

Während Kartoffeln, die im Erdreich natürlich gewachsen sind, vom deutschen Bauern entsorgt werden, führt Deutschalnd aus aller Herren Länder normierte Lebensmittel ein. Eine Studie der UN-Ernährungsorganisation FAO besagt, dass in Europa etwa 40 Millionen Tonnen essbares Obst und Gemüse verschwendet wird. Jede fünfte Frucht, bereit zur Ernte, kommt nicht in den Handel, bei Kartoffeln sind sogar fast die Hälfte Ausschuss.

Gegen eine Welt, in der sogar das Gemüse perfekt sein muss

Krakowski und Brumsack nehmen sich den schiefen Schätzen an. Anfangs verkauften sie ihre Kreationen lediglich auf einem mobilen Essenstand in Berlin-Kreuzberg. Die Idee ist mittlerweile zu einem Cateringservice gewachsen. Außerdem geben die beiden Frauen Workshops, um möglichst viele mit ihrer Begeisterung und Wertschätzung für die vernachlässigten Außenseiter aus deutschem Boden anzustecken.

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Ihr großes Ziel ist, ein Umdenken in der Bevölkerung anzustoßen, damit Gemüse nicht mehr perfekt sein muss, um gegessen zu werden. Jeder Deutsche wirft im Schnitt 81,6 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg – ein Großteil davon wäre durchaus genießbar.

Brumsack dazu auf ihrer Internetseite: "Was bisher einsam auf dem Acker zurückgeblieben ist, gibt unseren Gerichten die besondere Note. Dabei kommt fast jedes Geschmackstalent zum Zug, denn je nach Saison reagieren wir auf die regional verfügbare Auswahl." Vom Regen aufgeplatzte Radieschen, Zucchini, die der Hagel zugesetzt hat.

Sie zelebrieren die natürliche Vielfalt

Sie kaufen bei zwei Bio-Bauern aus dem Umland, was sonst kaum einer will. Herauskommen Eingemachtes, Chutneys und Marmeladen. Und kulinarischen Leckereien, die auch noch gut aussehen. Doch die Namen verschweigen nichts: "krumme Wurzelhappen", "versüßte Kürbisquader", "Pummeliger Kohlrabitopf mit Grünkern und Pilz-Gremolata", "Verhagelter Zucchini-Gurken-Suppe mit Minzjoghurt", "Underground Curry mit Kürbiskern-Koriander-Pistou" und "Schräge Pastinakensuppe", dazu gibt es schon mal Brot vom Vortag.

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So zelebrieren Krakowski und Brumsack die natürliche Vielfalt deutscher Äcker, Wiesen und Bäume. Alle Gerichte sind vegetarisch, viele gar vegan. Für ein eigenes Ladenlokal wurde bereits Geld gesammelt.  Dort wollen sie Snacks und Eingemachtes verkaufen, aber auch die Gemüse-Sonderlinge unverarbeitet anbieten. Die Damen entwerfen außerdem Kochbücher mit Sonderlingen-Rezepten, Misfits-Taschen und Kühlschrankbuttons – alles vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit.

Bei ihnen bekommt alles eine Chance: Omas geheimnisvolle Lieblingsrezepte, alte, fast vergessene Gemüsesorten wie Topinambur-Knollen. Raus aus dem Schattendasein, rauf auf unsere Teller: "Es geht uns darum, die vermeintlich hässlichen Entlein auf die Bühne zu holen und ihre verborgene Schönheit hervorzuheben", meint Krakowski.

Verwachsene Äpfel, dreibeinige Karotten, verquere Gurken: Krumm ist nicht gleich krank. Sie brauchen nur etwas mehr Zeit und Zuwendung. Aber Gemüse soll ja auch keinen Schönheitspreis gewinnen. Sondern schmecken.