Der Streit um die Familienleistungen in Deutschland geht weiter. Drei Wirtschaftsforschungsinstitute stellten am Mittwoch in Berlin Empfehlungen zur Familienpolitik vor, mit denen sie auf Distanz gehen zur scheidenden Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU). Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, wertete die Ergebnisse der Experten als Beweis für eine "fehlgesteuerte" Familienpolitik. Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Dorothee Bär (CSU), warf den Forschern hingegen vor, sie beurteilten Familienleistungen allein nach dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit.
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Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und das Münchner Ifo-Institut kommen zu dem Ergebnis, dass die staatliche Förderung der Kinderbetreuung und das Elterngeld die wirksamsten Familienleistungen sind. Dagegen empfehlen sie, das Ehegattensplitting praktisch abzuschaffen und das Kindergeld nicht weiter zu erhöhen.
Katharina Spieß vom DIW erklärte, die Bundesregierung habe bei der Auftragsvergabe die Ziele eindeutig benannt, an denen sich die Familienleistungen messen lassen müssen. Dazu zählten die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern, die wirtschaftliche Stabilisierung von Familien, eine frühe Förderung der Kinder, die Erhöhung der Geburtenrate sowie das Ziel, dass staatliche Hilfen allen Familientypen zugutekommen sollen. "Wahlfreiheit" habe nicht zu den Zielen gehört, sagte Spieß.
Kinderbetreuung ist die beste Familienförderung
Schröder hatte hingegen bei ihrer Vorstellung der Studien im Juni erklärt, das wichtigste politische Ziel sei die Wahlfreiheit für Eltern. Eine Sprecherin des Bundesfamilienministeriums bekräftigte, die familienpolitischen Leistungen auch am Ziel der Wahlfreiheit zu messen, "war die ausdrückliche Vorgabe der Politik". Familienleistungen dürften nicht nur danach beurteilt werden, inwieweit sie Arbeitsanreize schaffen, "wie dies die Wirtschaftswissenschaftler tun".
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Im Einzelnen empfehlen die Wirtschaftsforscher, die Kinderbetreuung weiter zu verbessern: "Da muss nachgeholt werden", sagte Spieß. Deutschland liege bei der Qualität nur im Mittelfeld. Die Gebühren sollten vorläufig beibehalten werden und in den weiteren Ausbau fließen. Eine hochwertige Kinderbetreuung sei die wirksamste Familienleistung, da sie alle politischen Vorgaben erfülle.
Die Forscher empfehlen, das Elterngeld weiterzuentwickeln, damit Frauen und Männer sich Berufs- und Familienarbeit stärker teilen. Dafür müssten vor allem die Partnermonate erhöht werden. Beim Kindergeld empfehlen die Experten, anstelle der von der Union angekündigten Erhöhung, das Geld ebenfalls in die qualitative Verbesserung der Kinderbetreuung zu investieren.
Ehegattensplitting führt zu niedrigerem Familieneinkommen
Das schlechteste Zeugnis stellen sie dem Ehegattensplitting aus. Holger Bonin von ZEW sagte, ohne die Steuer-Vergünstigung wären mehr Mütter berufstätig. Langfristig führe das Splitting zu einem niedrigeren Familieneinkommen. Besser wäre es, beide Ehepartner zu besteuern, dem jeweils mehr Verdienenden aber einen Unterhaltsfreibetrag zu gewähren. Je nach dessen Höhe müssten Ehe- und Lebenspartner fünf bis zehn Milliarden Euro mehr Steuern pro Jahr zahlen, sagte Bonin - also mindestens die Hälfte mehr als heute. Dieses Geld müsse den Familien in anderer Weise wieder zugutekommen.
Der Staat gibt im Jahr rund 200 Milliarden Euro für die Familienförderung aus, davon rund 40 Milliarden für das Kindergeld, 16 Milliarden für die staatliche Förderung der Kinderbetreuung und rund 4,6 Milliarden Euro für das Elterngeld. Das Ehegattensplitting schlägt mit rund 20 Milliarden Euro an entgangenen Steuereinnahmen zu Buche.
Das DIW, das ZEW und das Ifo-Institut hatten gemeinsam mit weiteren Forschergruppen 2009 vom Bundesfamilienministerium und dem Finanzministerium den Auftrag erhalten, alle Familienleistungen auszuwerten. Das Betreuungsgeld war nicht Bestandteil der Studien, da es erst in diesem Jahr eingeführt worden ist.