Soll es nach Dringlichkeit gehen oder nach Aussicht auf Erfolg? Juristen, Mediziner und Ethiker haben gefordert, die Kriterien bei der Verteilung von Spenderorganen in Deutschland zu überdenken. Bei einer öffentlichen Diskussion des Deutschen Ethikrats am Donnerstag zum Thema sagte der Kölner Transplantationsmediziner Dirk Ludger Stippel, momentan werde die Dringlichkeit einer Organspende stärker gewertet. Je dringlicher die Spende für einen Schwerstkranken sei, desto geringer sei wiederum die Erfolgsaussicht. Er forderte eine gesellschaftliche Diskussion über dieses ethische Dilemma.
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Auch die Medizinethikerin Gertrud Greif-Higer verlangte, das System zu überdenken. Momentan liege die Wahrscheinlichkeit für eine Leberspende höher, wenn man bereits so krank sei, dass auch das Risiko einer Transplantation hoch sei. Das System zwinge geradezu dazu, zu warten, bis ein Patient schwerstkrank ist, sagte sie.
Greif-Higer verwies außerdem auf ihre Erfahrungen in der Psychosomatik. Es habe psychologische Folgen, wenn Patienten jahrelang auf ein Organ warten. "Die Nierentransplantation hängt oft wie eine Utopie im Raum", sagte sie. Kranke, die seit Jahren gut mit der Dialyse lebten, fragten sich, ob sie das Risiko einer Transplantation überhaupt eingehen sollen. "Es gibt Patienten, für die ist die Nichttransplantation die bessere Entscheidung", sagte sie. Diese Entscheidung werde derzeit aber nicht getroffen. Stattdessen "warten wir unsere Patienten zu Tode".
Schwierige Auswahl der Patienten
In Deutschland herrscht ein Mangel an Organen. Seit den bekannt gewordenen Manipulationen an einzelnen Kliniken, um Patienten auf der Warteliste nach vorn rücken zu lassen, sinken das Vertrauen und damit die Zahl der Spender weiter. Die Entscheidung, wer eines der wenigen lebensrettenden Organe bekommt, ist angesichts des Mangels umso schwieriger.
Bei der Diskussion im Ethikrat wurde auch Kritik an der derzeitigen Festlegung der Kriterien laut. Zuständig dafür ist die Ständige Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer. Der Bundestag ist zwar eingebunden, vertraut wegen der medizinischen Kenntnis aber im Wesentlichen der Selbstverwaltung.
Der Regensburger Verfassungsrechtler Thorsten Kingreen sagte, es gehe dabei aber nicht nur um medizinische Fachfragen. In seinen Augen müsse das Parlament die Grundsatzentscheidung darüber treffen, wie Kriterien wie Gesundheitszustand, Alter, Erfolgsaussicht und Wartezeit gewichtet werden.
"Gesellschaftliche Diskussion ist der einzige Weg"
Auch der Transplantationsmediziner Stippel verlangt eine breitere Diskussion darüber und sieht darin eine Chance, das Vertrauen in die Organspende wieder zu steigern. Die Frage der Verteilung sei eine gesellschaftliche Entscheidung, bei der Ärzte nur Vorschläge machen könnten, sagte er. "Die gesellschaftliche Diskussion ist der einzige Weg, um die Akzeptanz der Organspende wieder zu erhöhen", ergänzte er.
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Die Vorsitzende des Ethikrats, Christiane Woopen, resümierte, die Frage der Vergabe von Organen sei sogar in erster Linie eine ethische Entscheidung. Erst danach stelle sich die Frage der Handhabung und beispielsweise der Einbindung von Fachgremien. "Wir brauchen da noch einmal eine öffentliche Debatte und den Gesetzgeber", sagte sie.
Der Vorsitzende der zuständigen Kommission der Bundesärztekammer, Hans Lilie, wies dies zurück. Solche Regeln würden die Gefahr bergen, medizinische Erkenntnisse und Fortschritte nicht dynamisch berücksichtigen zu können, sagte er. Er verwies zudem darauf, dass bei der Erarbeitung der Kriterien nicht nur Ärzte, sondern auch Juristen und Ethiker eingebunden seien.