Bischof Martin Hein ist gegen die Regelung. Eine Gruppe von Kirchenvorsteher/-innen der Johanneskirchengemeinde aus Vellmar verklagt die Landeskirche deshalb sogar. Sie will notfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Und auch die Landessynode wollte die Altersgrenze nach oben schon zweimal kippen: 2009 und 2012. Allein: dazu ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig – und die kam beide Male knapp nicht zustande. Es gibt offensichtlich kontroverse Meinungen zur Altersgrenze von 70 Jahren. Ein Pro und Contra von Burkhard Weitz (leitender Redakteur von chrismon plus) und Claudius Grigat (freier Redakteur bei evangelisch.de):
PRO: Einspruch gegen die Generationenfalle - Zukunft für die Kirche! Von Burkhard Weitz
Man kann die Empörung verstehen. Dass über 70-Jährige in der EKKW nicht als Kirchenvorstände kandidieren dürfen, ist besonders für diejenigen ärgerlich, die sich schon seit über 60 Jahren für ihre Kirche engagieren, die körperlich und geistig in bester Verfassung sind, die als Ruheständler ausreichend Zeit haben, ein solches Amt mit großem Einsatz auszufüllen, und die auch wegen ihrer Berufserfahrung hoch qualifiziert sind. Die Argumente, die für eine Gesetzesänderung sprechen, scheinen überwältigend stark.
Es gibt aber auch ein schlagendes Argument dagegen: die Generationenfalle.
Wird die geltende Altersgrenze von 70 Jahren gekippt, könnten die Kirchenvorstände künftig die gesamtkirchlichen Generationenverhältnisse widerspiegeln. Eine schöne Vision für alle, die Gerechtigkeit fordern. Weniger schön für alle, die sich für ihre Kirche eine Zukunft erhoffen. Heute machen die über 60-Jährigen ungefähr 37 Prozent aller Kirchenmitglieder aus. Bei den unter 30-Jährigen halten sich nur knapp 15 Prozent überhaupt zur Kirche. Die überwiegende Mehrheit von ihnen wird ihr voraussichtlich dauerhaft fernbleiben, nur die wenigsten wenden sich der Kirche im Alter wieder zu. So alt wie heute war die Kirche noch nie in ihrer ganzen Geschichte. Genau das könnte der Kirche von morgen zum Verhängnis werden.
Überalterte Kirchenvorstände erreichen die Jugend nicht
In der Kirchengemeinde entscheidet sich die Zukunft der Kirche. Hier wird die künftige Generation der Kirchenmitglieder gewonnen. Kirchenvorstände setzen Prioritäten in der gemeindlichen Arbeit, stellen Gemeindemitarbeiter ein, entscheiden über das Maß an Multikulti oder eben nicht Multikulti in Kindergärten und bei Gemeindefesten. Sie bestimmen, ob die Kirche an der Basis eine Volkskirche ist, und in welcher Weise sie sich auch für ein gelingendes Zusammenleben in der politischen Gemeinde einsetzt. Oder ob sie eine Bekenntnisgemeinde ist, und ob es ihr gelingt, über den Klüngel der Kerngemeinde hinaus Ausstrahlung zu entfalten. Wie diese Entscheidungen künftig ausfallen, daran entscheidet sich, ob Jugendliche ihre Kirchengemeinde als relevante Institution oder als Traditionsverein wahrnehmen.
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Die Welt ist multikultureller und internationaler geworden. Kinder gehen nicht mehr mit Susanne, Stefan und Peter zur Schule sondern mit Xindi, Gogool und Yunus. Ihre Väter und Mütter kennen nicht nur die Sommerreiseroute nach Italien und Spanien, sondern sie jetten ständig überall in der Welt herum: nach Singapur, Dubai und San Francisco. Und schon die 11-Jährigen tauschen sich nicht mehr bloß über Telefon aus oder an der Bushaltestelle, sondern sie betreiben eine Dauer-Low-Intensity-Kommunikation über Skype, WhatsApp und Facebook. Jugendliche erleben die Welt und richten sich in ihr auf einer Weise ein, die schon für ihre Elterngeneration kaum noch nachzuvollziehen ist. Haben die über 70-Jährigen da irgendeine Chance mitzuhalten? Ich fürchte, nein. Überalterte Kirchenvorstände werden mit ihren Bemühungen, die Jugend zu erreichen, weitgehend ins Leere stoßen. Nicht, weil die heutige Jugend irgendetwas falsch macht. Sondern weil eine Jugend in den für die Kirche goldenen 1950er Jahren unvergleichbar ist mit einer Jugend heute.
Je älter die Kirche, desto schwächer ihr Einspruch gegen die Generationenfalle
Die Regelung, dass über 70-Jährige nicht mehr für Kirchenvorstände kandidieren dürfen, stammt aus einer Zeit, als Männer zwei, drei Rentenjahre genossen, bevor sie tot umfielen, als die Menschen schon mit Mitte 60 eingefallen und grau aussahen und meistens schwarz gekleidet vor die Tür traten. Diese Zeit ist gottlob lange vorbei. Aber diese veraltete Regelung könnte sich jetzt als unverhoffter Glücksfall für die Kirche erweisen. Natürlich löst sie nicht das Problem der Generationenfalle. Aber sie federt es ab. Das scheint eine Sperrminorität innerhalb der EKKW zu spüren. Es sind nur noch einige wenige, nicht mehr viele. Und je älter die Kirche wird, desto schwächer wird ihr Einspruch gegen die Generationenfalle ausfallen.
CONTRA: Zu alt, um zu gestalten? Alter ist kein Handicap! Von Claudius Grigat
Ganz klar und deutlich: Eine solche Regelung ist für mich eine Form von Altersdiskriminierung! Auch wenn es vielleicht einmal vermeintlich gute Gründe gab, eine Altersgrenze einzuführen: Letztendlich schließt sie Menschen von Teilhabe und Mitgestaltung aus. Und das einzig aufgrund ihres kalendarischen Alters. Die Anzahl ihrer Lebensjahre aber sagt noch nichts über ihre Kreativität und Kompetenz, ihre geistige Wendigkeit und körperliche Verfassung, ja noch nicht einmal etwas über ihre generelle Belastbarkeit aus. Und tatsächlich auch nichts über das Innovationspotenzial der Menschen, die so per Dekret zum "Alten Eisen" erklärt werden. Das sieht nicht zuletzt auch der Rat der EKD so, wenn er in seiner 2009 erschienenen Orientierungshilfe "Im Alter neu werden können" schreibt: "Nimmt man ernst, dass Menschen in jedem Lebensalter neu werden und Neues schaffen können, so ist der Ausschluss von Menschen allein aufgrund ihres Lebensalters hochproblematisch."
Erschwerend kommt häufig hinzu, dass andere ehrenamtliche Tätigkeiten, vom Gemeindebrief austragen bis zum Basar organisieren gerne auch von Über-70-jährigen angenommen, ja teilweise sogar erwartet werden. Mitbestimmung aber soll in diesem Alter dann Tabu sein? In vielen politischen Ämtern gibt es genau deshalb keine Höchstgrenze, um diesen Widerspruch zu vermeiden: Selbst als Bundespräsident dürfte man steinalt sein.
Altersgrenzen garantieren keinen Wechsel
Altersgrenzen verhindern auch keineswegs, dass immer dieselben Personen in den Kirchenvorständen sitzen: Schließlich steigen viele Menschen bereits in mittlerem Alter in die Gremienarbeit ein und lassen sich häufig über Jahrzehnte hinweg wieder wählen. Wollte man dies verhindern, müsste man wohl eher über eine Begrenzung der Amtsperioden nachdenken.
###mehr-links### Natürlich gilt heute: Der demografische Wandel führt generell zu einer älteren Gesellschaft. Und: Schon jetzt prägen ältere Menschen das Bild der Kirche. Sie sind unter den Kirchenmitgliedern besonders häufig vertreten. Sie sind die regelmäßigsten Gottesdienstbesucher, sie engagieren sich stark ehrenamtlich und beteiligen sich generell eher am kirchlichen Leben.
Wer die Kirchengemeinde trägt, soll sie auch leiten
Mit einer Altersgrenze nun will man genau diese Dominanz der Älteren verhindern. Dabei wäre das Gegenteil eigentlich die richtige Schlussfolgerung: Die Kirchengemeinde sollte von denen geleitet werden, von denen sie auch getragen wird! Die Sorge vor "Überalterung" impliziert doch vor allem Eines: Dass das Alter immer noch als Gegenteil von Zukunftsfähigkeit und Fortschrittlichkeit empfunden wird. Damit wird das Alter auf subtile Art und Weise abgewertet. Dabei müssten uns doch gerade der demografische Wandel und wissenschaftliche Erkenntnisse dazu zwingen, neue, realistische Altersbilder zu entwickeln und die Chancen des Alters in den Blick zu nehmen. Und dann müsste die Frage sogar lauten: Wie bewegen wir mehr, ja, auch ältere Menschen dazu, sich in der Kirche zu engagieren? Mit einer Altersgrenze sicher nicht!