Marie und Alfred Sunder-Plassmann
Foto: Tobias Stoltmann
"Wenn man an so etwas Unglaubliches glaubt wie die Auferstehung, dann kann man sich doch um Kleinkram eigentlich nicht streiten." Marie Sunder-Plassmann ist evangelisch, ihr Mann Alfred katholisch.
Beim Hausbau darf die Kapelle nicht fehlen
Das ungewöhnliche Wohnprojekt der Sunder-Plassmanns am Ammersee
Die private Kapelle von Marie und Alfred Sunder-Plassmann stieß zunächst auf Skepsis. Wohnt jetzt hier eine Sekte? Nein, ein bikonfessionelles Bauherrenpaar mit einer Vision: Die Sunder-Plassmanns haben in Greifenberg am Ammersee ein modernes Hausensemble im Stile eines alten Dreiseithofes gebaut, das Bewohnern und Passanten Begegnungen ermöglichen soll. Auch eine kleine Kapelle gehört dazu. Zur Einweihung einer Figurengruppe mit Maria und Elisabeth kamen Ende September rund 50 Gäste beider Konfessionen.
26.09.2013
Florian Naumann

Das Grundstück von Marie und Alfred Sunder-Plassmann liegt ganz am Rande der kleinen oberbayerischen Gemeinde Greifenberg. An der Südseite der angrenzenden Anliegerstraße trennt nur noch der flache Bau eines Kindergartens die Siedlung von Äckern und Weiden. Dahinter öffnet sich die hügelige Landschaft des Voralpenlandes.

Es wird eng vor den Holzhäusern

Trotzdem wird es an diesem Freitagabend im September eng auf dem Gehweg vor den Holzhäusern, die die Sunder-Plassmanns vor gut zwei Jahren hier haben errichten lassen: Menschen strömen herbei, vor allem Ältere – in Mäntel und Schals gepackt, denn der Herbstabend zieht schon kalt herauf – aber auch einige Jüngere. Um 18 Uhr stehen etwa 50 Gäste vor einem kleinen, vorgelagerten Bauwerk, das von weitem aussieht wie ein etwas zu groß geratener Carport. Das kleine Gebäude ist eine Kapelle, die ungewöhnliche Versammlung eine Gottesdienstgemeinde. Heute wird eine neue Figurengruppe eingeweiht. Sie zeigt die Begegnung der schwangeren Maria mit ihrer Cousine Elisabeth.

Die neuen Figuren in der Greifenberger Kapelle: Maria und Elisabeth

Eine Stunde zuvor herrscht entspannte Geschäftigkeit auf dem Grundstück. Marie Sunder-Plassmann, eine groß gewachsene, dunkelhaarige Frau mit klarer, norddeutscher Aussprache, und ihr Mann Alfred decken im Innenhof eine lange Tafel. Zwei Familien sowie eine evangelische Pfarrerin und ein junges Pärchen wohnen außer den beiden hier. Die Türen der Holzhäuser führen auf den Hof, sie stehen offen. "Eigentlich wollte ich nur Brot und Getränke", sagt Alfred Sunder-Plassmann, während er aufdeckt. "Sonst lenkt das Essen von der Begegnung ab. Aber dann wollten alle etwas beitragen." Nun wird es nach dem Gottesdienst auch Suppe, Trauben und Wein geben. Der lange Tisch steht immer hier.

"Begegnung" ist das Stichwort, das Marie Sunder-Plassmann wichtig ist. Der Begegnungen wegen gibt es diesen Ort. Die Sozialpädagogin hat die Gebäude vor gut zwei Jahren als Bauherrin mit errichten lassen – auch die kleine Kapelle. Architekt war der Sohn ihres Mannes, Benedikt Sunder-Plassmann. Sowohl die Anordnung der Neubauten um den Innenhof als auch der zur Straße offene Andachtsraum sollen menschliche Zusammentreffen ermöglichen.

Eigentlich sollte es ein Kloster werden

Die Idee zu dem Wohnprojekt sei ihrem Mann und ihr bei einem Urlaub vor zehn Jahren in Osttirol gekommen, berichtet Marie Sunder-Plassmann. "Da stehen auf dem Berg weiter oben Häuser zusammen ohne Zaun. Bei dem Anblick wundert man sich – aber trotzdem ist das Gefühl, das man dabei hat, ein unglaublich vertrauensvolles." Eigentlich wollte sie nach diesem Erlebnis ein Kloster gründen. Aber die Planung mit gleichgesinnten Interessierten gestaltete sich schwierig. Irgendetwas störte immer. Schließlich wurden es "nur" die drei Häuser um den Innenhof. Die anderen Bewohner der Gemeinschaft fanden sich über Zeitungsanzeigen. "Viele haben sich nicht gemeldet – aber genau die Richtigen", sagt Marie Sunder-Plassmann fröhlich. "Manche Leute, die gekommen sind, sagen: Sie bemerken, dass manches was sie tun, wie 'geführt' ist. Ich glaube, dass der liebe Gott in den kleinsten Kleinigkeiten mitspielt."

###mehr-artikel###Auch wenn sich die Idee mit Kloster zerschlug – eine Kapelle sollte unbedingt zu dem kleineren Projekt in Greifenberg dazugehören. "Das war von Anfang an geplant", sagt Alfred Sunder-Plassmann – und erzählt fasziniert von der bayerischen Kapellenkultur. Aber: Eine neue, ökumenische Kapelle im tief katholischen Bayern – hat das nicht Ressentiments gegeben? Doch, hat es, sagt Marie Sunder-Plassmann.

So habe der Katholische Frauenbund irritiert angefragt, warum sich denn "eine Evangelische eine Marienfigur aufstelle". Auch Außenstehende, etwa der Postbote, erkundigten sich mit Blick auf Kapelle und Gemeinschaftsinnenhof schon einmal, "um was für eine Sekte es sich denn hier handelt – als ob die Form, wie man zusammenlebt etwas darüber aussagt, wie man glaubt", sagt sie und ein wenig ist ihr anzusehen, dass ein solches Vorurteil schmerzen kann.

Das Magnifikat in der Abenddämmerung

Auch der Gemeinderat war zunächst skeptisch – und die Aussagen der Beteiligten darüber, ob die Kapelle schon im Bebauungsplan auftauchte oder die Figurengruppe erst später ein geparktes Auto ersetzte, weichen voneinander ab. Doch mittlerweile wird das Projekt positiv aufgenommen. Der Frauenbund werde bei seiner kommenden Fronleichnamsprozession auch vorbeikommen, erzählt Marie Sunder-Plassmann. Und Gemeindepfarrer Pater Winfried komme regelmäßig zum Nikolausgottesdienst an den Ortsrand. "Das zeigt ja schon, dass er das ganze als Kapelle ernst nimmt", meint Sunder-Plassmann. Der katholische Geistliche habe zunächst befürchtet, dass die Gemeinschaft "ihr eigenes Ding machen" werde.

Einweihungsgottesdienst im "Carport" Ende September

Diese Befürchtungen haben sich zerstreut. Pater Winfried, ein älterer Geistlicher, der bedächtig in bayerischer Klangfarbe spricht, mag auf Nachfrage zwar lieber von einem "Andachtsort" als einer Kapelle reden. Die Bemühungen der Sunder-Plassmanns weiß er aber durchaus zu würdigen. Einen "Raum der Begegnung" sieht auch er entstanden. "Und Ökumene ist uns wichtig", betont er. Marie Sunder-Plassmann ist evangelisch, ihr Mann Alfred katholisch.

Dass sich die Konfessionen bisweilen abwehrend gegenüber stehen, will ihr nicht einleuchten: "Wenn man an so etwas Unglaubliches glaubt wie die Auferstehung, dann kann man sich doch um Kleinkram eigentlich nicht streiten", sagt Marie Sunder-Plassmann, die mit ihrem Mann regelmäßig auch katholische Gottesdienste besucht.

An diesem Abend singt die Gruppe der Gottesdienstbesucher feierlich in die Abenddämmerung hinein. Pater Winfried leitet die Zusammenkunft zusammen mit Hausherrin Marie Sunder-Plassmann, die auch Theologin und evangelische Prädikantin ist. Gesungen wird – passend zu den beiden Figuren der Maria und der Elisabeth, die eingeweiht werden – das Magnificat. Die Melodie zum Text hatten die Sunder-Plassmanns zuvor im Hof noch gemeinsam gewissenhaft geprobt.

###mehr-info###Im Hof spielen oft Kinder, deutlich vernehmbar auch während des Gottesdienstes: Sie stauen den kleinen Wasserlauf, der durch das Grundstück und die Kapelle fließt, mit Steinchen – und lassen das Wasser pünktlich zum Vaterunser wieder laufen. Marie und Alfred Sunder-Plassmann haben 13 Enkel. Das Haus habe sich auch dadurch zum Anziehungspunkt für die Kinder der Nachbarschaft entwickelt, berichtet Nikolaus Wolf, einer der Schwiegersöhne von Alfred Sunder-Plassmann. "Die Kinder wissen, dass hier immer jemand zum Spielen ist."

"Auf dem Hof trifft man immer jemanden"

Wolf ist anfänglicher Skepsis mittlerweile von dem Projekt überzeugt. "Es ist viel besser gelungen, als ich dachte", sagt er. "Man muss wohl der richtige Mensch sein, um hier zu leben - aber es funktioniert ganz eindeutig." Auch die Bewohner sind zufrieden. "Wir finden es paradiesisch", sagen zum Beispiel Katrin Härtel und Christoph Pontzen. Die beiden sind 30 Jahre alt und aus Stuttgart hier hergezogen. "Auf dem Hof trifft man immer jemanden. Wir kannten die Nachbarn sofort." Diese Nähe sei vermutlich nicht jedermanns Sache. "Aber für uns ist es großartig".

Für Marie Sunder-Plassmann hat sich das Projekt trotz – oder wegen – der Widerstände gelohnt. "Öfter kommen Spaziergänger und bleiben einen Moment stehen", sagt sie. Auch sie und ihr Mann hielten regelmäßig an dem kleinen Andachtsort inne. Nicht zuletzt glaubt Marie Sunder-Plassmann, dass Ökumene auch "eine Frage des Brauchtums und der Gewohnheit" ist: Und dazu könnten auch kleine Projekte, zum Beispiel hier am Rande von Greifenberg, etwas beitragen, davon ist sie überzeugt.