Clara Dyck stirbt am 20. März 2011. Ihr kurzes Leben endet mit zehn Jahren - jäh gestoppt von der "Neuronalen Ceroid Lipofuszinose" (NCL), einer kaum bekannten Form vererbter Demenz. Als Clara in Berlin der tückischen Krankheit erliegt, kann sie nicht mehr laufen, nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen. Mehr als 50 kindliche Demenzerkrankungen sind inzwischen bekannt, doch Heilung ist nicht in Sicht. Die Forschung steht erst am Anfang.
###mehr-info### Clara ist das Nesthäkchen der Familie, hat vier ältere, gesunde, inzwischen volljährige Geschwister. Das Mädchen entwickelt sich zunächst prächtig. "Sie war so gut wie nie erkältet, lief bereits mit elf Monaten und mit 18 Monaten kletterte sie die Leiter zum Dachboden hinauf", erinnert sich ihre Mutter Iris Dyck. Sie ist zweite Vorsitzende der NCL-Gruppe Deutschland, die fünf Regionalgruppen vernetzt, Seminare organisiert und über die Krankheit und ihre Folgen aufklärt. Die Eltern von 60 erkrankten Kindern finden hier momentan Beistand.
Mit Clara scheint alles in bester Ordnung zu sein. Doch dann mehren sich die Anzeichen, dass etwas nicht stimmen könnte. Sie lernt kaum neue Worte und vergisst bereits gelernte Begriffe wieder. Dann machen sich bei dem Mädchen erste Probleme mit dem Sehen bemerkbar. "Mit ihrem zweiten Geburtstag blieb ihre Entwicklung buchstäblich stehen, dann gab es erste Rückschritte", erzählt die Mutter. Clara fiel oft hin, schrie ohne erkennbaren Grund, hatte epileptische Anfälle.
Kompetente Unterstützung durch andere Eltern
Die Ärzte sind ratlos, die Eltern verzweifelt. Ein zermürbender Weg durch die medizinischen Instanzen beginnt. Unkenntnis und Fehldiagnosen wechseln sich ab, auf Hoffnung folgt Enttäuschung. Im September 2003 hören Iris und Eberhard Dyck schließlich im Berliner Virchow-Klinikum, dass ihre Tochter an NCL leidet - einer unheilbaren Krankheit, die zum Tod des Kindes führen wird. Eine vererbte Stoffwechselstörung zerstört das Gehirn: Typisch sind zunächst Sehstörungen und motorische Ausfälle.
###mehr-artikel### Das Ehepaar will nicht verzweifeln, überwindet den ersten Schock und ergreift dann selbst die Initiative. Die Polizistin und der Ingenieur suchen zum ersten Mal die NCL-Selbsthilfegruppe auf. Der Besuch ist zunächst niederschmetternd: "Wir konnten es kaum aushalten", blickt Iris Dyck zurück. Erstmals sieht das Ehepaar mit eigenen Augen, welchen geistigen und körperlichen Verfall die Krankheit bei den Kindern auslöst. Zugleich spüren sie die warmherzige Aufnahme und kompetente Unterstützung durch andere Eltern - ganz im Gegensatz zu vielen Ärzten, Beratungsstellen oder Krankenkassen.
Ein Problem, vor dem betroffene Eltern noch immer stehen, berichtet Frank Stehr. Der Molekularbiologe ist geschäftsführender Vorstand der 2002 errichteten gemeinnützigen NCL-Stiftung mit Sitz in Hamburg. Sie klärt über die sehr seltene Kinderdemenz auf, von der es nach ihren Angaben bundesweit aktuell rund 400 Fälle gibt. Außerdem sensibilisiert sie Ärzte, bringt Wissenschaftler zusammen und sammelt Spenden, um Projekte zur Grundlagenforschung zu finanzieren.
"NCL kommt für die Eltern völlig überraschend"
Stiftungsgründer ist Frank Husemann, dessen Sohn Tim im Alter von sechs Jahren an NCL erkrankte. Tim ist heute auf Rund-um-Versorgung angewiesen und wird zu Hause gepflegt. "Ich wollte nicht tatenlos zusehen, wie von Tag zu Tag das Leben ein wenig mehr von meinem Kind genommen wird", sagt der Unternehmensberater über sein Engagement: Noch sei kein Durchbruch auf der Suche nach einem Medikament in Sicht.
###mehr-links### "NCL kommt für die Eltern völlig überraschend. Die Kinder wirken wie immer, dann verlernen sie alles", berichtet Stehr. Pflege und Betreuung belasten Eltern und Geschwister über Jahre: "Viele Ehen gehen daran zugrunde."
All das hat auch das Ehepaar Dyck leidvoll erlebt. Deshalb sei der Kontakt zu anderen Eltern und die Hilfe untereinander so wichtig. Damals wie heute: "Es gibt immer mehr verwaiste Eltern, die Halt suchen." Iris Dyck berichtet von Freundschaften in den Selbsthilfegruppen, die über den Tod der Kinder hinaus fortbestehen: "Wir stützen uns gegenseitig, auch ohne viele Worte."