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Gemüse aus eigenem Anbau und nicht aus dem Treibhaus: Dafür stehen Gruppen wie die "Solidarische Landwirtschaft Bonn".
Solidarische Landwirtschaft: Traum mit Bodenhaftung
Saisonales Obst und Gemüse ohne Plastikverpackung aus der Region: Das wünschen sich immer mehr Menschen. Vor allem Städter wollen sich ökologisch und umweltfreundlich ernähren. In Bonn haben sich jetzt einige zur Gruppe "Solidarische Landwirtschaft" zusammengeschlossen. Auf einem Demeterhof jäten sie gemeinsam Unkraut, lesen Kartoffelkäfer und helfen bei der Ernte. So bekommen sie auch einen neuen Blick auf die Erntedankzeit.

Zum Erntedankfest hat Gabriele Danne in dem jetzt zu Ende gehenden Erntejahr einen ganz neuen Zugang gewonnen. Denn seit sie im April die "SoLawi – die Solidarische Landwirtschaft Bonn" mitbegründet hat, sieht sie zum ersten Mal, wie und wo das Gemüse wächst, das sie jeden Freitag in ihrem Korb nach Hause trägt. Alles "öko", alles jahreszeitlich und aus der Region – und alles ohne Plastikverpackung. Auf dem Demeterhof Gut Ostler am Stadtrand von Bonn-Lessenich hat sie miterlebt, wie der nicht enden wollende Winter erst die Frühjahrsaussaat verzögerte und anschließend Regenfälle die Jungpflanzen wegspülten und ertränkten. "Ich habe ein neues Verständnis dafür, wie abhängig die Landwirte vom Wetter sind, und dass nicht immer alles gelingt", sagt die Werbefachfrau, die als Städterin in Sachen Landwirtschaft bislang unerfahren war.

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Wenn jetzt im September auf Gut Ostler dennoch Zucchini und Salat, Petersilie und Basilikum, Tomaten, Gurken und Bohnen geerntet werden, dann ist sie "einfach dankbar für die wunderbaren Lebensmittel". Das Erntedankfest hält sie für einen guten Anlass, sich Gedanken darüber zu machen, wo die Lebensmittel, die wir tagtäglich konsumieren, eigentlich herkommen, aber auch, was für eine Erde denn die Generation der Kinder und Enkel vorfinden soll.

Diese Fragen haben sich auch etwa 100 jungen und älteren Menschen gestellt und die Initiative "Bonn im Wandel" gegründet. Sie sind überzeugt, dass es nicht damit weitergehen kann, dass wir jederzeit alles auf den Tisch bringen. Erdbeeren zu Weihnachten, Äpfel vom anderen Ende der Welt, Bohnen aus Mali und rund ums Jahr Gurken, Paprika und Tomaten aus Treibhäusern. Denn möglich ist all das nur durch den Einsatz von Kunstdünger, von Pestiziden, von womöglich genverändertem Saatgut und durch den Verbrauch enormer Mengen an Energie für Produktion und Transport. Gar nicht zu reden von den Lebensmittelskandalen, die in regelmäßigen Abständen ans Licht kommen.

Umweltverträglich und "enkelfreundlich"

Weitermachen wie bisher, das hieße, die bäuerliche Landwirtschaft, die Fruchtbarkeit des Bodens und die Nutzpflanzenvielfalt aufs Spiel zu setzen. Was aber tun mit der Erkenntnis, dass es angesichts der schwindenden Ressource Erdöl und des fortschreitenden Klimawandels dringend nötig ist, gerechtere, umweltverträglichere und "enkelfreundliche" Formen des Wirtschaftens und Verbrauchens zu finden? Wie einen Wandel gestalten?

Für Gabriele Danne und ihre Mitstreiter hieß die Konsequenz, einen Ableger der "Solidarischen Landwirtschaft" in Bonn zu gründen. Die Bewegung kommt aus Japan, ist aber auch sehr erfolgreich in den Vereinigten Staaten und macht gerade als "Community supported agriculure", als sogenannte gemeinschaftsgestüzte Landwirtschaft, in vielen Ländern Schule. In Japan wird mindestens ein Viertel der landwirtschaftlichen Produkte so erzeugt. In Deutschland gibt es mittlerweile 29 Gruppen. Tendenz steigend.

Gemeinsam ernten: Drei Mitglieder der "Solidarischen Landwirtschaft" in Bonn.

Teilen, ernten und genießen

Die Solidarische Landwirtschaft ist eine Wirtschaftsgemeinschaft zwischen Privathaushalten und einem landwirtschaftlichen Betrieb. Die Mitglieder bringen gemeinsam die anfallenden Betriebskosten auf, tragen auch das Risiko von Ernteausfällen mit und erhalten dafür saisonale, ökologisch produzierte Lebensmittel aus der Region. Darüber hinaus übernehmen die Mitglieder etwa die Verteilung der Ernte und helfen auf dem Hof aus.

In Martin Baumgart, der als Agraringenieur das 22 Hektar kleine Gut Ostler gepachtet hat und es als zertifizierten Demeter-Hof führt, fand die Bonner SoLawi-Gruppe einen Partner, der das Ziel einer nachhaltigen Landwirtschaft und sozial orientiertem fairen Wirtschaften teilt. Schon lange ist ihm klar: Als stadtnaher Kleinerzeuger von Obst, Gemüse und Getreide wäre er den Bedingungen des globalen Marktes, der Lebensmittelkonzerne und Großhandelsketten auf Dauer wohl kaum gewachsen. Nicht zuletzt deswegen hat er Gut Ostler zu einem Erlebnisbauernhof mit vielfältigen Angeboten umgestaltet. Die Zusammenarbeit mit SoLawi Bonn bietet ihm Planungs- und Finanzierungssicherheit, ermöglicht einen fairen Preis und sorgt für begeisterte Abnehmer seiner Ernte.

Landwirtschaft als Neuland

Dafür profitiert die SoLawi-Gruppe von Baumgarts Fachkompetenz in Sachen nachhaltiger Lebensmittelerzeugung. Denn wann was gepflanzt und wie gepflegt wird, ist für die meisten SoLawi-Mitglieder noch Neuland. "Doch die meisten bringen die Bereitschaft mit, dazuzulernen", hat Baumgart in den zurückliegenden Monaten erlebt. Wer bei den verabredeten jährlichen acht Arbeitseinsätzen nicht auf dem Feld stehen und Unkraut jäten, Kartoffelkäfer ablesen und bei der Ernte helfen kann oder will, für den gibt es genügend anderes zu tun.

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Der 73 Jahre alte Richard Süverkrüp etwa, emeritierter Professor für pharmazeutische Technologie, steht in dem kleinen Kühlhaus, in dem das Erntegut bis zur Verteilung auf die vier Abholdepots im Bonner Stadtgebiet frisch gehalten wird. Er wiegt das Gemüse, das die SoLawi-Mitglieder am Morgen geerntet haben. Es gibt Tomaten, Zucchini, Mais, Kohl, Petersilie und Salat. Dazu auch Eier und ausnahmsweise für Nichtvegetarier auch eine überschaubare Portion Schweinefleisch. Gerade wurde eines der gutseigenen Schweine aus artgerechter Haltung geschlachtet. Nächste Woche wird die Honigernte aus dem Ertrag der sechs SoLawi-eigenen Bienenvölker verteilt. Süverkrüp rechnet penibel aus, wie viel wovon jedes Mitglied bekommt und verteilt die Portionen dann auf die vier Abholdepots. Die sind so im Bonner Stadtgebiet verteilt, dass die SoLawi-Mitglieder sie per Fahrrad gut erreichen können.

Einlegen und Einkochen gegen Zucchini-Schwemme

Saisonales Gemüse zu essen, bedeutet auch seine Essgewohnheiten zu ändern. Richard Süverkrüp sei diese Umstellung nicht schwergefallen, sagt er. "Wir essen wieder das, was gerade vorhanden ist. Wenn es zur Zeit reichlich Salat gibt, gibt es eben auch zuhause reichlich Salat." Auch die Grundeinlage von 200 Euro und die monatlichen Kosten für die SoLawi-Beteiligung von rund 110 Euro aufzubringen, dürfte ihm kaum schwergefallen sein. Bei der Finanzierung der SoLawi gilt das Solidaritätsprinzip: "Manche bezahlen deutlich mehr als den Richtsatz, und andere eben weniger. Jeder gibt das, was er kann", sagt Gabriele Danne.

Andere Probleme werden mit Fantasie und Fachwissen gelöst: Wohin etwa mit der Zucchini-Schwemme? Dank der Fertigkeiten von Regine Kleiner, Christiane Süverkrüp und anderen Kochbegeisterten wurde die fast vergessene Kunst des Einlegens und Einkochens wiederbelebt. Für den Biologen Paul Krusche gehört das zu seinen schönsten Erfahrungen: "Zu erleben, wie aus dem Schwarm guter Ideen etwas Neues erwächst. Ob es nun darum geht, gemeinsam einen Folientunnel zu bauen, einzukochen oder gemeinsam zu feiern."

Auch Monika Mehnert ist glücklich, bei der Aufbauphase von SoLawi Bonn dabei zu sein. Denn hier, wenn sie in Gummistiefeln auf dem Feld steht, kann sie ihren Traum von einem anderen Lebensstil "erden". Nach den ersten sechs Monaten der SoLawi ist die 69 Jahre alte Rentnerin zuversichtlich: Das Konzept von "weniger ist mehr" kann funktionieren. Lebensmittel ohne Pestizide, ohne Verpackungsmüll und ohne endlose Transportwege zu produzieren, sei möglich ohne auf ein gutes Leben verzichten zu müssen. "Ich finde, SoLawi ist eine Insel von richtigem Leben im falschen Leben", sagt sie. Ob denn die SoLawi Bonn nicht nur der berühmte "Tropfen auf den heißen Stein" sei? "Natürlich dominieren die Lebensmittelketten vorläufig den Markt. Vor dreißig Jahren hat der erste Hof dieser Art angefangen - und jetzt sind es schon viele. Das macht mir Hoffnung, dass die Bewegung weitergeht. Auf die Dauer kann nur diese Art von Landwirtschaft die Weltbevölkerung ernähren."