Foto: epd-bild/Friedrich Stark
Die 20-Jährige Jacqueline Strühning genießt das Leben im Jugendhospiz, in dem sie dreimal im Jahr ein paar Tage gepflegt wird.
Im Jugendhospiz gehen die Uhren anders
Jugendliche wollen ihren eigenen Weg gehen - auch, wenn sie todkrank sind. In ganz Deutschland entstehen darum Hospize speziell für junge Leute - ohne bunte Papierschmetterlinge und einfach etwas cooler. Das größte öffnet am heutigen Weltkindertag (20. September) in Syke bei Bremen.

Jacqueline Strüning ist ganz in ihrem Element. Eigentlich hätte die 22-Jährige sich für die Fotos gerne noch ein wenig mehr gestylt. Jetzt muss es eben so gehen: Sie manövriert ihren E-Rolli in die richtige Position, reckt das Kinn und lächelt direkt in die Kamera. Dann malt sie Bögen und Wellen in ein abgegriffenes Schulheft. "Das ist mein Tagebuch", erklärt sie und ergänzt: "Geheimschrift." Für Jacqueline Strüning ist das Jugendhospiz "Balthasar" in Olpe im Sauerland fast schon zu einem zweiten Zuhause geworden.

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"Balthasar" war 2009 das erste Hospiz speziell für Jugendliche - und es ist nach wie vor eines der wenigen in Deutschland. Es bietet vier Pflegeplätze in einem Bau direkt neben dem gleichnamigen Kinderhospiz. Unheilbar kranke junge Menschen werden vom Zeitpunkt ihrer Krankheitsdiagnose an aufgenommen. Sie können sich dort zusammen mit Eltern oder Freunden bis zu 28 Tage im Jahr vom anstrengenden Pflegealltag erholen. An diesem Freitag (20. September) eröffnet in Syke bei Bremen das mit acht Plätzen bislang größte deutsche Jugendhospiz, in Nachbarschaft zum Kinderhospiz "Löwenherz".

Jugendliche brauchen mehr Freiraum als Kinder

In Hamburg, Berlin und Bethel bei Bielefeld haben Kinderhospiz-Betreiber ebenfalls Abteilungen oder einzelne Zimmer für Jugendliche eingerichtet. Weitere sind nach Angaben des Bundesverbands Kinderhospiz in Planung: "Aufgrund des medizinischen Fortschritts leben immer mehr Kinder länger, als die Ärzte ursprünglich prognostiziert haben", sagt Löwenherz-Leiterin Gaby Letzing. Sie entwachsen der Kinderzeit: "Jugendliche brauchen aber - auch wenn sie todkrank sind - mal Abstand von elterlicher Fürsorge." Die Atmosphäre in einem Kinderhospiz - kuschelig, bunt und mit viel körperlicher Nähe - werde ihnen nicht mehr gerecht, meint Letzing: "Sie haben die gleichen Bedürfnisse wie gesunde Jugendliche auch."

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Jacqueline Strüning ist dreimal pro Jahr jeweils für ein paar Tage zu Gast im "Balthasar". "Wir genießen die Zeit hier und hangeln uns von Aufenthalt zu Aufenthalt", sagt ihre Mutter Andrea (52). Sie begleitet ihre Tochter und schätzt vor allem den Austausch mit anderen Eltern. Ausgebildete Schwestern und Pfleger kümmern sich rund um die Uhr um Jacqueline. Sie leidet unter den Folgen ihrer zu frühen Geburt, hat starke epileptische Anfälle, ist in ihrer Bewegung und in ihrer geistigen Entwicklung eingeschränkt. Und weiß, dass ihre Krankheit nicht heilbar ist.

"Als das Jugendhospiz damals eröffnet wurde, wollte sie sofort vom Kinderhospiz hierher wechseln", erzählt ihre Mutter. "Hier kann ich abends noch lange laute Musik hören", sagt die junge Frau. Dafür schläft sie morgens gern aus. Sie schminkt und frisiert sich. Nachmittags macht sie mit den Betreuern und anderen Jugendlichen Ausflüge zum Shoppen oder ins Kino: "Oder ich chille einfach."

Morgens ist absolute Ruhe

Rüdiger Barth, Leiter im Kinder- und Jugendhospiz "Balthasar", musste sich an die völlig andere Tagesstruktur selbst erst gewöhnen: "Früh morgens, wenn im Kinderhospiz Hochbetrieb herrscht, weil alle Kinder wach sind und versorgt werden müssen, ist hier absolute Ruhe. Da brauche ich kaum Pflegepersonal." Dafür muss dann schon mal jemand um 23 oder 24 Uhr ins Bett gebracht werden.

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Oberste Maxime ist außerdem: Niemand betritt ein Pflegezimmer, ohne vorher anzuklopfen. Auch tagsüber wollen die Jugendlichen nicht ständig Programm. Kreativangebote wie Basteln seien nicht unbedingt beliebt, meint der Leiter: "Die wollen ihre Ruhe, am Computer spielen oder sich untereinander austauschen."

Viel intensiver als im Kinderhospiz setzten sich die Jugendlichen mit ihrer Krankheit und dem Tod auseinander. Vor allem die Patienten mit fortschreitenden Muskelerkrankungen, die geistig unbeeinträchtigt sind, wollen mit Betreuern oder anderen Betroffenen darüber reden. "Manche verabreden sich regelrecht zu gemeinsamen Aufenthalten bei uns", sagt Barth.

"Wenn der da oben meint, meine Zeit ist gekommen, bin ich bereit"

Wenn Dennis Schoolmann die Schilderungen vom Jugendhospiz in Olpe hört, bekommt er leuchtende Augen. Bereits seit drei Jahren fährt der 19-Jährige ohne seine Mutter ins Kinderhospiz "Löwenherz": "Das ist einfach cooler." Natürlich liebt er seine Mutter. Schließlich sind sie zu Hause in Ostfriesland ein eingespieltes Team. Dennis hat einen sehr seltenen Gendefekt: Sein Kleinhirn löst sich auf. Das nimmt ihm nach und nach die Bewegungsfähigkeit. Er ist auf den Rollstuhl und Hilfe bei vielen alltäglichen Dingen angewiesen.

Aber der junge Mann liebt auch seine Freiheit und will so gut es geht selbstständig sein. Er freut sich, wenn er in wenigen Wochen einer der ersten Gäste im neuen Jugendhospiz in Syke sein darf: "Dann hab ich endlich nicht mehr die kleinen Kinder um mich rum." Auch auf neue Freunde hofft er. Vielleicht welche, mit denen er mal über das sprechen kann, was unweigerlich kommt: "Ich weiß ja, dass ich nicht wieder gesund werde. Wenn der da oben meint, meine Zeit ist gekommen, dann bin ich bereit."