Ein Militärschlag der USA gegen das Assad-Regime in Syrien scheint erst einmal vom Tisch. Doch neue Fragen entstehen: Was passiert mit den Verantwortlichen für den Giftgas-Einsatz, wer ahndet Massaker, Folter und Vertreibungen? Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag darf bisher nicht in Syrien ermitteln - doch Namen von mutmaßlichen Kriegsverbrechern wurden schon gesammelt.
Drei Listen gibt es bereits. Sie liegen eingeschlossen in einem Tresor der Vereinten Nationen in Genf. In den Dokumenten stehen die Namen von Personen, denen Gräueltaten in Syrien zur Last gelegt werden. Wer oder wie viele Verdächtige darauf stehen, wird allerdings streng geheim gehalten.
"Es ist eine lange Liste", sagte die Schweizer UN-Expertin Carla del Ponte in der vergangenen Woche in Genf. Die frühere Chefanklägerin des Jugoslawien-Tribunals gehört einer Kommission des UN-Menschenrechtsrats an, die Namen und Beweismittel sammelt, um die Menschenrechtsverletzungen in Syrien irgendwann vor den Internationalen Strafgerichtshof in zu bringen. Es geht um Folter und Vergewaltigung, Angriffe auf die Zivilbevölkerung, Exekutionen, Plünderungen und Morde.
Russland blockiert bisher eine Anklage
Das Weltstrafgericht in Den Haag ist zuständig bei Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, kann aber in Syrien nicht tätig werden. Chefanklägerin Fatou Bensouda kann nur in den 122 Mitgliedsstaaten des Gerichts auf eigene Faust Ermittlungen beginnen. Weil Syrien dem Gericht nicht beigetreten ist, sind der Anklägerin die Hände gebunden.
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Die zweite Möglichkeit wäre ein Auftrag des UN-Sicherheitsrats. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) forderte das UN-Gremium am Montagabend erneut auf, das Gericht in Den Haag einzuschalten. Die Verantwortlichen "müssen zur Rechenschaft gezogen werden", betonte Westerwelle. Bisher hat Russland eine Einigung in der Syrien-Frage blockiert und Resolutionen abgelehnt, mit denen die Ermittler in Den Haag ein Mandat erhalten würden.
Menschenrechtler setzen auf die internationale Justiz. "Ein Auftrag an den Strafgerichtshof wäre eine klare Botschaft an alle Seiten, dass Kriegsverbrechen nicht zu politischer Macht, sondern zu Strafverfolgung führen", sagt Lotte Leicht von "Human Rights Watch" in Brüssel. Eine Einigung im Sicherheitsrat könnte so möglicherweise die Gewalt eindämmen und Menschen schützen, weil sich die Verantwortlichen vor einem Prozess in Den Haag fürchten müssten: "Dieselbe Botschaft ginge außerdem an die Verantwortlichen in allen Konflikten dieser Welt."
Machtlos ist der Strafgerichtshof nicht
In anderen Fällen hat der Sicherheitsrat den Strafgerichtshof schon beauftragt: 2005 wurde das Gericht wegen Verbrechen in der Krisenregion Darfur im Sudan eingeschaltet, 2011 in Libyen. Es erging ein Haftbefehl gegen Sudans Präsident Omar Hassan al-Baschir, der aber immer noch in Amt und Würden ist. Auch der Sohn des früheren libyschen Machthabers, Saif al-Islam Gaddafi, sitzt noch nicht in Den Haag auf der Anklagebank, sondern in einem Gefängnis in Libyen. Wenn die neue libysche Regierung aber zustimmt, könnte er jederzeit nach Den Haag überstellt werden.
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Experten glauben, dass bereits Ermittlungen und Haftbefehle des Strafgerichtshofs die verdächtigten Machthaber schwächen und international isolieren können. In Afrika reagieren Politiker denn auch mit wachsender Kritik und Polemik gegen das Weltstrafgericht. Mancher fürchtet, an den Pranger gestellt zu werden, andere spüren es bereits: Sudans Präsident kann kaum noch ins Ausland reisen, es bleiben ihm nur ein paar afrikanische Länder.
US-Präsident Barack Obama besucht Kenia nicht mehr, weil Staatschef Uhuru Kenyatta und sein Vize William Ruto in Den Haag angeklagt sind. "Manche sagen, eine Überweisung an den Strafgerichtshof mache keinen Unterschied", sagt Leicht. Man sollte aber im Fall Syrien nichts unversucht lassen, Gerechtigkeit zu schaffen.
Sorge um die Lage der Christen
Aber auch der Strafgerichtshof muss zunächst in alle Richtungen ermitten. Der Internationale Versöhnungsbund warnte vor vorschnellen Schuldzuweisungen: Das UN-Dokument lasse keinen Rückschluss darauf zu, dass die Truppen Assads die Urheber für den Angriff gewesen seien, erklärte Referent Clemens Ronnefeldt vom deutschen Zweig der christlichen Friedensorganisation in Freising.
Amnesty International betonte, Ermittlungen des Strafgerichtshofs dürften sich nicht auf Chemiewaffen beschränken. Die meisten Kriegsverbrechen in Syrien würden mit konventionellen Waffen verübt.
Kirchenvertreter äußerten sich außerdem besorgt über die Lage der Christen in Syrien. Sollten die Rebellen an die Macht kommen, würde sich die Situation für die Christen nochmals verschärfen, denn die radikalen Islamisten würden ihre Rechte weiter einschränken, sagte der der Nahost-Beauftragte des Rates der EKD und frühere bayerische Landesbischof Johannes Friedrich: "Die Christen in Syrien sind in einer furchtbaren Lage. Ich weiß nicht, wie sie da rauskommen sollen. Ich sehe keine Lösung."
Die EKD widmet den bundesweiten Eröffnungsgottesdienst der Friedensdekade am 10. November in Münster den Menschen in Syrien. Die Dekade steht unter der Schirmherrschaft von Luther-Botschafterin Margot Käßmann und dauert bis zum Buß- und Bettag am 20. November.