Es ist ziemlich genau 100 Tage her, da haben die Informationen von Edward Snowden zu einer Überwachungs- und Spionageaffäre bislang immer noch ungeahnten Ausmaßes geführt. Seine Enthüllungen über die Überwachungs- und Spionagemethoden des US-Auslandsgeheimdienstes NSA haben neue Diskussionen zur Privatsphäre und deren Schutz losgetreten – zumindest in den Feuilletons. Viele Menschen scheint das Thema wenig zu berühren, die Politik zeigt sich indifferent. Selbst Angela Merkel kam ins Straucheln, als sie in der ARD-Wahlarena zu dem Thema befragt wurde.
###mehr-links### Reinhold Beckmann hatte sich dieses Thema für seinen spätabendlichen Talk vorgenommen. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum, die Daten-Analystin Yvonne Hofstetter sowie Stefan Wrobel, der Computerwissenschaftler und Direktor des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS kamen deshalb zusammen. Eine Runde mit einem durchaus höheren Altersdurchschnitt, wie manch ein Twitterer bemerkte. "Ich bin hier die Fehlbesetzung", sagte Enzensberger dann auch gleich zu Beginn.
Enzensberger: Postdemokratische Zustände
Das hinderte den 83-Jährigen jedoch nicht daran, gewohnt meinungsfreudig aufzutreten. Durch die digitale Überwachung sei die Demokratie nicht nur gefährdet, wir lebten inzwischen in postdemokratischen Zuständen, glaubt er. Edward Snowden ist für ihn deshalb auch ein moderner Held. Und auch, wenn Enzensberger immer wieder ein kluger Gedanke kam, so merkte man doch – das Thema Big Data ist eigentlich sehr weit weg von ihm. Spätestens als er erklärte, dass seine Tochter eine echte Expertin beim Schutz der Privatsphäre sei – sie kenne alle Facebook-Häkchen, mit denen man sich schützen könne – wurde das offensichtlich.
###mehr-artikel### Ähnlich wie Enzensberger zeigte sich auch der ehemalige Bundesinnenminister besorgt. Besonders bestürzt ist er darüber, dass sich die Bevölkerung so wenig über die Snowden-Enthüllungen empört. Er wünscht sich ähnliche Proteste wie einst bei der Umweltbewegung. Wrobel nannte für die Zurückhaltung der Menschen einen einfachen Grund. Noch sähen sie den Nutzen des Internets, hätten aber die langfristigen Folgen der Überwachung nicht im Blick: "In einer Demokratie gehört anders zu denken unbedingt dazu", sagte der Wissenschaftler. Er sieht es deshalb als dringliche Aufgabe der Politik, Regeln für das Sammeln von Daten zu erstellen. Wrobel warnte jedoch vor zu viel Pessimismus: "Wandel heißt erst einmal, dass es eine andere Gesellschaft gibt. Ob sie besser oder schlechter wird, liegt auch in unserer Hand."
Am Ende fehlt es an Struktur
Eine gelungene Gesprächsrunde? Nein. Dafür fehlte ihr die Struktur. Von welchen Daten war überhaupt die Rede? Mal ging es um die Überwachung durch NSA, dann wieder um Kundendaten bei Amazon. Mehrfach sprach Beckmann mit Enzensberger sogar über Reklameschilder an Häuserwänden. Als dann auch noch Florian Schumacher im Laufe der Sendung als fünfter die Gesprächsrunde ergänzte, schien alles völlig beliebig – Hauptsache es ging irgendwie um digitale Daten. Schumacher ist ein "Selbstoptimierer" – mit allerlei Apps und Kontrollgeräten wie einem Schrittzähler versucht er, seinen Alltag zu optimieren und berichtete von seinen Erfahrungen.
Das machte das eh schon komplizierte Thema konfus und schwer verständlich. Außerdem machte Beckmann seinem Ruf alle Ehre, einen Gast immer dann zu unterbrechen, wenn der etwas besonders Interessantes sagte. Schade, scheint ein Diskurs über den Umgang mit Daten auch in der breiteren Gesellschaft doch dringend notwendig. Denn es ist wie bei jeder Technologie, betonte Wrobel, man kann sie positiv und negativ nutzen. Doch dafür bräuchte es auch eine ethische Debatte. Die fand an diesem Abend leider höchstens ansatzweise statt.