Der amerikanische Militärschlag gegen Syrien ist erst einmal aufgeschoben und das nur, weil Außenminister John Kerry voller Ironie sagte, Assad könne ja alle Chemiewaffen abgeben. Wie wichtig ist die Sprache bei einem politischen oder militärischen Konflikt?
Thomas Jäger: Eine unbedachte Bemerkung kann große Folgen haben. Denken Sie an ein deutsches Beispiel, die Pressekonferenz mit Günter Schabowski zur Reiseregelung der DDR 1989. Schabowski antwortete auf eine harmlose Nachfrage, die Regelung würde ab sofort gelten. Wenige Stunden später war die Mauer offen.
Unterscheiden sich die Reden zum Syrienkonflikt von denen vorheriger Einsätze?
Jäger: Die Sprache, die die amerikanische Regierung im Konflikt mit Syrien bisher gewählt hat, ist überhaupt nicht das, was man von Kriegspropaganda erwarten würde. Sie ist zum großen Teil sehr zurückhaltend gewesen, sehr bedacht und überhaupt nicht darauf gerichtet, in der Bevölkerung Aggression zu schüren.
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Woran machen Sie das fest?
Jäger: Obama hat zum Beispiel häufig über die Einhaltung internationaler Normen gesprochen. Internationale Normen sind für die derzeitige amerikanische Regierung wichtig, aber sie sind selten geeignet, um eine Bevölkerung von einem militärischen Einsatz zu überzeugen.
Vielleicht musste er nicht deutlicher werden - die syrischen Bilder von toten Kindern waren schlimm genug.
Jäger: Sprache und Bilder sind zwei Mittel, über die Kommunikation erfolgen kann, aber diese Bilder sind ja nicht durch die amerikanische Regierung gemacht und verbreitet worden. Sie sind auf allerlei Weise in die Öffentlichkeit gelangt.
Woran liegt es dann, dass Obama so zurückhaltend spricht?
Jäger: Er durfte und er wollte in der öffentlichen Argumentation nicht so klingen wie George W. Bush nach dem 11. September. Damals wurde richtig Stimmung gemacht mit Sätzen wie: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ oder "Wir werden die Terroristen jagen, wo immer sie sind.“ Aber Obama ist auch ins Amt gekommen, weil er gegen den Irak-Krieg war.
"Obama steht einer skeptischen Bevölkerung und einer skeptischen Presse gegenüber"
Zumindest hat diese Rhetorik die Bevölkerung damals überzeugt, würde das jetzt nicht wieder so sein?
Jäger: Es ist nicht die gleiche Situation. Nach dem 11. September lag die Zustimmungsrate von George W. Bush in den USA bei 90 Prozent, Obama hat derzeit eine Zustimmungsrate von 43 Prozent. Die Zustimmung für den Afghanistankrieg in der amerikanischen Bevölkerung lag bei über 80 Prozent, für einen Einsatz in Syrien ist sie derzeit etwas über 30 Prozent. Das heißt, Obama steht einer ganz skeptischen Bevölkerung gegenüber und außerdem einer skeptischen Presse. Die Kommentatoren der großen Zeitungen, die ihn seit fünf Jahren in allen Fragen unterstützt haben, schreiben gegen einen Militärschlag. Auch das war beim Einsatz im Irak und in Afghanistan anders.
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Hat also jeder militärische Einsatz seine eigene Sprache?
Jäger: Nein, große Ähnlichkeiten gibt es schon. Einige sprachlichen Muster tauchen immer wieder auf, wenn amerikanische Politiker die Gesellschaft von einem Militärschlag überzeugen wollen.
Welche sind das?
Jäger: "Wir gegen die anderen", "Wir, die moralisch Überlegenen, gegen die Bösen.", "Wir, die Siegreichen gegen die, die verlieren werden.", "Wir, die Starken, Hochgerüsteten gegen die, die uns nichts anhaben können.", "Es wird nur ein kurzer Einsatz sein." oder "Wir werden unser Ziel ohne große Verluste erreichen."
Alle diese Sätze sind auch beim Syrienkonflikt gefallen. Was gefehlt hat, war nur das Aufstacheln der Bevölkerung. Aber das liegt eben daran, dass sie sich nicht aufstacheln lassen wollte. Umfragen haben ergeben, dass der größte Teil der amerikanischen Bevölkerung trotz aller moralischen Entrüstung findet, die Amerikaner sollten sich in Syrien nicht einmischen.
George W. Bush hat in seinen Reden oft biblische Ausdrücke oder Anspielungen bemüht, Obama nie. Wie kommt das?
Jäger: Georg W. Bush ist durch die Unterstützung evangelikaler Christen ins Amt gekommen, ihre Mobilisierung war ein zentrales Element seiner Wahlkampfstrategie.
Bei Obama war das nicht der Fall, er benutzt seine Religion nicht zur Charakterisierung seiner Politik und die evangelikalen Christen wählen ohnehin nicht die Demokraten.
"Ob Soldaten eingesetzt werden, ist die entscheidende Frage"
Obama hat wiederholt gesagt: "No boots on the ground", was so viel heißt, wie "keine Soldaten im Land". Ist es sprachlich klug, ein Bild heraufzubeschwören, das man eigentlich vermeiden will?
Jäger: Nun ja, was soll er sonst sagen? Es ist ein Militäreinsatz, Waffen werden in Stellung gebracht, aber ob Soldaten eingesetzt werden, ist die entscheidende Frage und da muss Obama diesen Einsatz sehr deutlich von allen früheren abgrenzen. Für die Kommunikation der Regierung war allerdings ein anderer Begriff viel wichtiger, nämlich dass von einem Militärschlag gesprochen wird und nicht von einem Krieg. Bei dem Wort "Krieg" denkt die Bevölkerung, dass sie selbst Opfer bringen muss und das lässt die Zustimmung rapide sinken.
###mehr-links###Obama bezeichnete den Einsatz von Chemiewaffen als "rote Linie" Hätte er diesen Ausdruck im Nachhinein lieber vermeiden sollen?
Jäger: Es war ursprünglich keine Drohung, sondern eine Rechtfertigung, warum sich die USA nicht in den syrischen Bürgerkrieg einmischen wollte. Obama hatte nicht damit gerechnet, dass tatsächlich chemische Kampfstoffe eingesetzt werden würden. Man sieht also, dass Ausdrücke eine andere Bedeutung bekommen können, wenn sich die Umstände ändern.
Für amerikanische Verhältnisse wirkt Obamas Sachlichkeit ungewöhnlich. In Deutschland sind politische Reden immer recht nüchtern. Woran liegt das?
Jäger: Ganz allgemein betrachtet liegt es sicher auch am politischen System. In den USA ist jeder Politiker eine Art politischer Unternehmer. Er muss möglichst viele Menschen begeistern, damit sie seine Kampagne unterstützen und finanzieren. Wenn dagegen in Deutschland jemand eine politische Karriere machen will, muss er erst einmal nur den Ortsverein überzeugen, dann den Kreisverband. Auf diese Weise kommt in Deutschland ein ganz anderer Typus ins Amt, als in den USA.
"Man denkt vom Empfänger aus - was muss man sagen, damit es dort ankommt?"
Hat sich die Sprache der Politiker verändert, seit man dank Internet ihre Reden überall auf der Welt mit- oder nachhören kann?
Jäger: Es gibt nicht viele Politiker, deren Reden auf Youtube angeschaut werden, aber der Präsident von Amerika weiß natürlich, dass seine Worte nicht nur im eigenen Land gehört werden. Trotzdem sind seine Reden immer noch auf ein ganz spezielles Publikum zugeschnitten. Obamas Rede von Dienstagnacht richtete sich zuerst an das amerikanische Volk, dann an den Kongress. Natürlich hört der Rest der Welt mit. Aber bei jeder Kommunikation denkt man vom Empfänger aus - was muss man wie sagen, damit es dort ankommt? Die Menschen auf der ganzen Welt sind viel zu unterschiedlich, als das man mit einer Rede alle erreichen könnte.
Jäger: Ja, amerikanische Politiker beginnen zum Beispiel mit moralischer Entrüstung, dann erzählen sie von einem Einzelfall. Diese beiden Elemente werden so häufig gebraucht, dass sie sich in die Hörgewohnheiten der amerikanischen Bürger eingenistet haben. Wenn ein Politiker diesem Muster folgt, weiß er, dass seine Rede verstanden wird.