Baracke im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen
Foto: epd-bild/Per Schröter
Baracke im Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen
Lager Friedland: Crashkurs für das Leben in Deutschland
Der Boden in Baracke Nummer 42 ist frisch gewischt, die Betten sind bezogen, vor der Tür steht noch ein blauer Müllsack. Hier und in ein Nachbargebäude sollen an diesem Mittwoch die ersten gut hundert von 5000 Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien einziehen. Das Grenzdurchgangslager Friedland bei Göttingen wird eine Übergangsstation für sie sein.
11.09.2013
dpa/epd/evangelisch.de

Die Zimmer in Friedland sind schlicht. Etagenbetten mit dünnen Matratzen stehen darin, Tisch und Stühle, ein Schrank. Toilette und Bad sind auf dem Gang. "Im Vergleich zu anderen Asylbewerberunterkünften ist das hier trotzdem Luxus", sagt ein Dolmetscher. Die ersten UN-Flüchtlinge werden an diesem Mittwoch in Deutschland eintreffen - 109 Menschen, davon rund 40 Kinder und Jugendliche.

###mehr-links### Die Bundesregierung nimmt 5000 Menschen aus dem Bürgerkriegsland auf. Sie erhalten in Deutschland ohne Asylverfahren ein Aufenthaltsrecht. Alle haben ihr Heimatland bereits vor Monaten verlassen und zuletzt in Auffanglagern im Libanon, in Jordanien oder der Türkei gelebt. Dort wurden sie vom UN-Flüchtlingskommissariat und Vertretern der Bundesregierung für die Reise in die Bundesrepublik ausgewählt. Dabei zählte, wer besonders schutzbedürftig ist oder auch, wer eine gute Ausbildung hat. Außerdem sollen Familien möglichst nicht auseinandergerissen werden.

"Syrische Flüchtlinge sind für unsere Mitarbeiter nichts Besonderes", sagt der Leiter der des Grenzdurchgangslagers Friedland, Heinrich Hörnschemeyer. Denn schon jetzt stellen sie in dem Lager die größte Gruppe der Asylbewerber. Seit Beginn des Bürgerkrieges im März 2011 sind 15.500 Syrien-Flüchtlinge auf eigene Faust nach Deutschland gekommen, viele davon zuerst nach Friedland.

Taschengeld und Dolmetscher

Einer von ihnen ist Wael Hindi aus Damaskus. Er sitzt mit seiner Ehefrau, einer Literaturwissenschaftlerin, und den beiden Kindern beim Nachtisch in der Lagerkantine. Es gibt Nektarinen. Nachdem eine Granate in sein Haus eingeschlagen sei und die Schießereien auf offener Straße immer heftiger wurden, sei die Familie geflüchtet, sagt Hindi. Zumindest für die Töchter erhoffe er sich eine gute Zukunft in Deutschland.

###mehr-galerien### Ein Arzt, der aus Angst um in Syrien zurückgebliebene Angehörige seinen Namen nicht in den Medien lesen möchten, berichtet von massiven Gewaltandrohungen syrischer Soldaten. Er habe auch verletzte Rebellen behandelt, fügt er hinzu. Er habe sich nicht erpressen lassen und gegen den ärztlichen Eid handeln wollen. Deswegen verließ er Syrien zusammen mit Ehefrau und zwei Söhnen.

"Die Bürgerkriegsflüchtlinge haben zumeist nur das Nötigste bei sich", berichtet Bettina Briesemeister vom Deutschen Roten Kreuz, das ebenso wie andere Hilfsorganisationen im Lager vertreten ist. Die Menschen brauchen Kleidung und Hygieneartikel, die Kinder Spielzeug. Nach der Begrüßung, einer ersten Mahlzeit und der Verteilung auf die Zimmer am Mittwochabend bekommen die Syrer in den folgenden Tagen ein Taschengeld in Höhe von jeweils 20 Euro. Mehrere Dolmetscher für Arabisch stehen für die Neuankömmlinge bereit.

Seelsorge und Sprachlabor

Auch ein Pastor ist da: Martin Steinberg von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Johannis in Rosdorf. Er ist seit acht Jahren mit einer halben Stelle Lagerpfarrer in Friedland und weiß, was Flüchtlinge beschäftigt: "Einige werden sich unglaublich glücklich und in Freiheit fühlen", vermutet er. Viele verfielen aber auch in Depressionen, weil sie alles hinter sich gelassen hätten.

###mehr-info### Steinberg bietet neben Gottesdiensten und Andachten auch Seelsorgegespräche an. Unter den Syrern seien viele Christen, berichtet der Pastor, doch sein Angebot sei selbstverständlich überkonfessionell und richte sich an alle. "Das Thema ist ganz oft Familienzusammenführung, denn viele kommen alleinstehend an. Zerrissene Familien ist ein wichtiges großes Thema", berichtet Steinberg von seinen bisherigen Gesprächen. Oft kämen die Flüchtlinge auch mit Ängsten auf ihn zu: "Wie wird es mit mir weitergehen? Werde ich zurückgeschickt?" Oft fragten Syrer auch nach ihren Möglichkeiten in Deutschland: "Welche Lern- und Ausbildungsmöglichkeiten habe ich für mich, meine Kinder und speziell für meine Töchter?" Über solche Fragen freut sich der Pastor. Die Syrer, die jetzt über die UN nach Deutschland kommen, richten sich darauf ein, hier zu leben. "Die werden nicht zurückgeschickt. Das Angebot ist auf Dauer", sagt Martin Steinberg.

Deswegen ist es wichtig, dass sie von Anfang an gut auf das Leben in der Fremde vorbereitet werden. In Friedland erhalten die Syrer vormittags Deutschunterricht im Sprachlabor, nachmittags gibt es Infoveranstaltungen. Behörden und Ämter stellen sich vor, die Neuankömmlinge erhalten Informationen über Sozialleistungen und Einzelberatung. Auch Landeskunde und Alltagstipps werden vermittelt, "zum Beispiel, wie das hier mit den öffentlichen Verkehrsmitteln läuft und dass man bei Rot möglichst nicht über die Straße geht", erläutert Einrichtungsleiter Hörnschemeyer. Erzieherinnen und Erzieher bereiten die Kinder auf ihren Schulalltag in Deutschland vor, die Diakonie bietet Kinderbetreuung und eine Kleiderkammer an. 

Eigene Wohnung und Arbeit

Nach den zwei Wochen in Friedland werden die Bürgerkriegsflüchtlinge auf die verschiedenen Bundesländer verteilt. Lagerpfarrer Steinberg erkundigt sich, welche Familien wohin geschickt werden und kontaktiert schon vorab die örtlichen Diakonien, damit die Menschen auch an ihrer zweiten Station in Deutschland Unterstützung bekommen.

###mehr-artikel### Sie Syrer sollen nicht in Sammelunterkünften oder Asylbewerberheimen wohnen, sondern möglichst in eigenen Wohnungen oder eigens bereitgestellten Unterkünften. Sie dürfen eine Arbeit aufnehmen und Integrationskurse besuchen. Bei Bedürftigkeit erhalten sie Hartz IV.

Im Durchgangslager Friedland wird das Empfangsprogramm mit Deutschkursen, Landeskunde und Seelsorge in den kommenden Monaten immer wieder von vorn losgehen - die Flüchtlinge kommen nach und nach hier an. Wie viele Bürgerkriegsflüchtlinge insgesamt in Friedland eintreffen werden, ist noch nicht abzusehen. Es gibt bereits Forderungen, deutlich mehr als die zusagten 5000 Menschen in Deutschland aufzunehmen.