Jürgen Ohlsen (r) als "Hitlerjunge Quex"
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Jürgen Ohlsen (r) als "Hitlerjunge Quex"
Geliebt und beneidet: Der "Hitlerjunge Quex"
Vor genau 80 Jahren, am 11. September 1933, wurde der Nazifilm "Hitlerjunge Quex" uraufgeführt. Propaganda, die so gut wie alle Mädchen und Jungen in der Hitlerjugend erreichte. Der Film thematisiert Gemeinschaft, Stärke und die "Einübung in das Opfers", so der Germanist und Filmwissenschaftler Jörg Döring. Die Nazis arbeiteten mit bewährten Manipulationstechniken, um die Jugend zu begeistern.
11.09.2013
Raimund Hellwig

Nein: Das Dritte Reich verlieh keine Mutterkreuze, weil Mütter sieben Kinder geboren haben. Das Dritte Reich verlieh Müttern Mutterkreuze, weil sie dem Führer sieben Kinder geboren hatten. Die Jugend sollte heraus aus der Familie, in den BDM, in die Hitlerjugend, weil der Nationalsozialismus in seiner letzten Konsequenz der Familie misstrauisch gegenüberstand.

Der Film "Hitlerjunge Quex" spiegelt den Anspruch der Nazis wider, Ersatz für Familie zu sein. Vor achtzig Jahren wurde der neben dem antisemitischen Hetzfilm "Jud Süß" bekannteste NS-Propagandafilm im Eiltempo abgedreht und am 11. September in München vor der Spitze des Dritten Reiches uraufgeführt. Das NS-Regime befand sich in einer Konsolidierungsphase: Die "Kampfzeit" mit ihren Straßen- und Saalschlachten war gerade erst beendet. Die braune Herrschaft musste nicht mehr erobert, sondern gesichert werden. Kommunisten und Sozialdemokraten saßen oft noch in Schutzhaft.

Der "Hitlerjunge Quex" wurde zu einem der wirkungsmächtigsten Filme des Dritten Reiches. Der Film sprengte Rekorde. Hitlerjungen und Deutsche Mädchen wurden verpflichtet, den Film zu sehen. Es gab kaum ein HJ-Fähnlein, das um diesen Film herumkam.

Einfache Botschaft: "Wir sind die deutsche Jugend und sonst niemand"

Der "Quex" war aber auch eine Reaktion auf kommunistisches Filmschaffen. 1929 entstand "Kuhle Wampe", ein Film aus dem Imperium des Reinhold Münzenbergs, der mit ganz ähnlichen Aufnahmetechniken und auch mit ähnlichen Manipulationstechniken arbeitet. "Kuhle Wampe" funktioniert so stark mit Naturerlebnis, Sport und Begrifflichkeiten der bündischen Jugend, dass er den Nazis als Vorbild dienen konnte. Das war ein Erfolgsrezept der Nazibewegung: Man besetzte Themen mit eigener Ideologie, die andere früher als Markenkern für sich reklamiert hatten. Und so verschwand das Bewusstsein, dass es auch eine demokratische und liberale Wanderbewegung gegeben hatte, und dass die bündische Jugend nur zu einem geringen Teil völkisch und national eingestellt war. Die Hitlerjugend wanderte mit einer einfachen Botschaft: "Wir sind die deutsche Jugend und sonst niemand". Und: Wer sich bekennen wollte, der war den Nazis auch mit einer katholischen oder kommunistischen Vergangenheit willkommen.

"Doch die stärkste Prägung in der Hitlerjugend ist ja die die Einübung in das Opfer. Und das ist ja das, was der Film auf der Handlungsebene vorführt", sagt der Siegener Germanist und Filmwissenschaftler Professor Jörg Döring. Opfer beziehungsweise Märtyrer für die Bewegung wurden für propagandistische Zwecke dringend benötigt. Herbert Norkus zum Beispiel, ein 1932 bei Straßenschlachten in Berlin ums Leben gekommener 16-jähriger Hitlerjunge diente als Vorbild für den Hitlerjungen Quex, der ganz zum Schluß in seinem eigenen Kiez von Kommunisten angegriffen wird und in den Armen seines Bannführers stirbt. "Hans Westmar" sollte die NS-Ikone Horst Wessel verherrlichen, der bei einer Auseinandersetzung im Zuhältermilieu ums Leben gekommen war. Der "SA-Mann Brand" schließlich fiel dem Diktum des Propagandaministers Joseph Goebbels zum Opfer, der die "SA lieber auf den Straßen und nicht auf den Leinwänden" marschieren lassen wollte.  

"Wie andere Jungen auch habe ich Quex zugleich geliebt und beneidet", schreibt der 1925 geborene Reformpädagoge Hartmut von Hentig in der Retrospektive. "Auch ich wäre gerne für eine große Sache in den Kampf gegangen und gestorben; auch ich wollte mich bewähren; auch ich sehnte mich nach den Starken und der Gemeinschaft, die sie zu bilden schienen". Prof. Döring weiß einen entscheidenden Grund für die Anziehungskraft des Films auf Jugendliche: Das Lied "Unsre Fahne flattert uns voran", getextet vom HJ-Reichsjugendführer Baldur von Schirach und vertont von Hans-Otto Borgmann ist unstrittig eines der stärksten Manipulationsinstrumente. Döring berichtet von Vorführungen des "Hitlerjungen Quex" vor Schülern, in denen zwischen den begleitenden Wissenschaftlern und den Jugendlichen völliges Einvernehmen über die Wirkung des Films bestand. "… und auf dem Schulhof hörte man dann, wie die Schüler das Lied sangen."

Heinrich George als Vater Völker

Die UFA hatte sich sofort nach der Machtübergabe an die neuen Mächtigen angedient und sogar ehemalige Leistungsträger wie den Komponisten Werner Richard Heymann wegen dessen jüdischer Abstammung entlassen. Heymanns bekanntestes Stück "Das ist die Liebe der Matrosen" wird dennoch auch im "Hitlerjungen Quex" gesungen – am Lagerfeuer der Kommunisten. Die UFA gab sich alle Mühe, das Propagandastück zu einem Erfolg zu machen. Entsprechend aufmerksam und hochkarätig besetzte der Filmkonzern die Rollen: Wie in vielen anderen NS-Propagandafilmen spielte Heinrich George die Hauptrolle, hier als grobschlächtiger Vater Völker, der einen Gesinnungswandel weg vom Kommunismus erlebt. In die Rolle von Mutter Völker schlüpft Berta Drews, auch im richtigen Leben die Frau von Heinrich George. Und auch der nach dem Krieg sehr populäre Rudolf Platte ist im Film aktiv.

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Heini Völker selber wird gespielt von Jürgen Ohlsen, der später in den Verdacht geriet, eine homosexuelle Beziehung zu Reichsjugendführer Baldur von Schirach gepflegt zu haben. In der Hitlerjugend und in anderen Gliederungen entstand so der Begriff "quexen" als Synonym für gleichgeschlechtlichen Sex. Ohlsen selber trat erst 1935 in "Wunder des Fliegens" schauspielerisch hervor, um dann 1940 aus der Öffentlichkeit zu verschwinden. Er ist 1994 in Düsseldorf gestorben.

Schon das Buch von Alois Schenzinger hatte sich im 3. Reich in einer Auflage von einer halben Million verkauft, wenn auch die Zahl nicht allzu aussagekräftig ist. Das Buch war Pflichtbestandteil der Leihbüchereien und wurde in die  Aufnahme in die elitäre Dietrich-Eckart-Bücherei aufgenommen, ein brauner Olymp, auf dem sich sonst Bücher wie "Mein Kampf" und der "Mythus des 20. Jahrhunderts" von Rosenberg tummelten. Der Film lief zu Beginn des Dritten Reiches in jeder HJ-Filmstunde. Doch die Zahl der Aufführungen sank über die folgenden Jahre kontinuierlich: Die "Kampfzeit" war vorbei, es musste auch keine Konkurrenz mehr ideologisch weggedrückt werden. Joseph Goebbels setzte jetzt auf andere Propagandaziele.

Aufführung nur mit wissenschaftlicher Begleitung

Doch der Opfermythos, verkörpert in dem Hitlerjungen Heini Völker, blieb ein Kernthema. Die inzwischen erwachsenen und fronttauglich geworden Hitlerjungen von 1933 wussten genau, wofür sie zu sterben und ihr Opfer zu bringen hatten: Für die Funktionäre des NS-Reiches, die im "Hitlerjungen Quex" vorsichtshalber keine Rolle spielen durften – ranghöchster Funktionär im Drehbuch war der schneidige HJ-Bannführer. Viktor Klemperer hat einmal gesagt: "Worte können sein wie winzige Arsendosen. Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu habe, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da". Mit dem "Quex" sollte der Beweis für diese These erbracht sein.

Heute ist der "Hitlerjunge Quex" ein so genannter Vorbehaltsfilm. Der Rechteinhaber, die Murnaustiftung, gestattet Aufführungen nur mit wissenschaftlicher Begleitung.