Foto: Annegret Hoffmann/Jusur
Syrische Schülerinnen malen, was sie zuhause erlebt haben. Die Kinder in Deutschland sollen verstehen, wie sich Krieg anfühlt.
"Wenn man versuchen würde, Unterricht zu organisieren..."
Wie eine Berliner Lehrerin zwei Schulen für syrische Kinder gründete
Nichts tun ist keine Option für Annegret Hoffmann. Über ihren syrischstämmigen Mann Samir Matar bekam sie mit, dass im türkischen Grenzgebiet viele syrische Flüchtlingskinder die Zeit totschlagen. Das tat der Lehrerin in der Seele weh. Annegret Hoffmann gründete mit ihrem Mann den Verein "Jusur" (Brücken) und baute mit Unterstützung ihres Berliner Gymnasiums zwei syrische Schulen in der Türkei auf - eine in Hacipasa und eine in Iskenderun.

Eine Schule für Flüchtlingskinder – wie sind Sie darauf gekommen, sich von Berlin aus dafür einzusetzen?

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Annegret Hoffmann: Mein Mann ist in Syrien aufgewachsen. Wir haben relativ viele Freunde, Bekannte und Familienangehörige, die selbst geflüchtet oder ausgereist sind. Er hat eine Hilfslieferung begleitet und mitbekommen, dass wahnsinnig viele Kinder unter den Flüchtlingen sind. Die sitzen dort tagein tagaus, tun nichts und verloddern so ein bisschen. Das tat uns in der Seele weh, weil Syrien eigentlich ein Land war, wo ein relativ hohes Bildungsniveau herrschte. Es gab Schulpflicht und die Schule war vom Niveau her relativ gut, so dass es durchaus auch Kindern aus ärmeren Verhältnissen möglich war zu studieren. Mein Mann sah, dass diese ganze Entwicklung den Bach runter geht. Als dann seitens meiner Schule die Frage kam, was man denn tun kann, um den Menschen zu helfen, haben wir gesagt: Es wäre eine tolle Idee, wenn man versuchen würde, für die Kinder Unterricht zu organisieren.

Wie macht man das denn: eine Schule im Ausland aufbauen? Hat Ihnen dabei jemand geholfen?

Hoffmann: Wir haben natürlich Kontakte vor Ort und mein Mann kennt auch Lehrer. Eine Frau erschien uns adäquat, das Ganze zu managen. Wir haben zwei größere Räume gefunden und angemietet, das ging relativ schnell. Mit der Lehrerin haben wir einige Eckpunkte abgesprochen und geschaut, dass sie Unterrichtsmaterialien hat – sie hatte selber noch aus ihrer Zeit als Sekundarschullehrerin welche dabei.

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In den beiden Schulen werden erst drei Stunden lang die Kinder von der ersten bis zur dritten Klasse unterrichtet und dann die von der vierten bis zur sechsten Klasse. Die Klassen sind also jahrgangsübergreifend, das ist schon eine relativ hohe Anforderung an die Lehrerin. Wir konnten über andere Bekannte Lehrmaterialien im PDF-Format besorgen und haben eine der beiden Schulen mit einem Drucker ausgestattet, so dass Arbeitsblätter ausgedruckt werden können. Das vereinfacht die ganze Sache sehr, gerade wenn man altersdifferenziert unterrichtet. Nachdem das organisiert war, haben wir uns im Ort umgehört, bei welchen Eltern Interesse besteht, und innerhalb kürzester Zeit waren 45 Schüler beisammen. Dann ging der Unterricht los.

Sie haben ja syrische Kinder kennengelernt, als Sie dort waren. Wie geht es den Kindern nach Ihrem Eindruck?

Hoffmann: Auf den ersten Blick merkt man ihnen nicht direkt etwas an. Das erste Mal, als wir runterfuhren, da waren sie gespannt haben uns gleich zu Anfang gesagt, was sie am meisten gefreut hat: dass jemand zu ihnen hinkommt. Scheinbar sind sie nicht von der ganzen Welt verlassen und vergessen. Das ist die Stimmung, die man insgesamt spürt: Die Menschen fühlen sich verkauft und verraten. Seit Beginn der Revolution hoffen sie, dass Unterstützung von außen kommt. Das ist jetzt über Jahre nicht erfolgt, seien es Hilfsgüter oder was auch immer - es passiert ja so gut wie nichts innerhalb Syriens. Täglich sterben Menschen, Kinder, Flüchtlinge sitzen vor den Grenzen, warten auf Hilfe – da fühlt man sich ziemlich vergessen. Insofern war das für sie die größte Freude, als sie gehört haben: Da ist in Berlin eine Schule mit anderen Kindern, die wissen von der ganzen Sache, die denken an uns. Dieses Gefühl war für sie das Wichtigste.

Die Kinder haben Bilder gemalt von dem, was sie in Syrien erlebt haben. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Bilder sahen?

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Hoffmann: Ich war schon erschüttert. Wir hatten vor, diese Bilder mit nach Berlin zurück zu nehmen und sie auszustellen. Deshalb war die Aufgabe: Zeichnet mal, was ihr den deutschen Schülern mitteilen möchtet. Sprachlich ist das schwer, deswegen über das Bild. Sie haben - ich würde sagen zu 90 Prozent - Bombardierungen gezeichnet. Wir haben die Kinder gefragt: Hast du das wirklich erlebt oder vielleicht nur im Fernsehen gesehen? Dann haben sie ausführlich berichtet, dass sie alle Bombardements erlebt und auch alle mitbekommen haben, wie in ihrem nächsten Umfeld Menschen sterben.

Sie haben mir von "Tonnenbomben" erzählt, und ich dachte erst, ich hab ein Übersetzungsproblem, was soll denn eine "Tonnenbombe" sein? Bis sie mir erklärten, dass das ganz einfach gebastelte Bomben sind, irgendwelche alten Fässer mit Glassplittern oder Metallsplittern gefüllt, und die werden dann von oben abgeworfen. Das erläuterten sie mir in jeglichen Details. Es ist merkwürdig, weil man denkt, sie würden vielleicht weinen oder irgendwie erschüttert sein, aber das sind sie erstmal nicht. Sie berichten das recht… wie soll ich sagen, sie "berichten" eben. Und dann fragt man sich schon: Was hat das jetzt mit dem Kind gemacht? Das Kind hat diese Erlebnisse und diese Bilder im Kopf, einfach auch diese ständige Konfrontation mit dem Tod. Wie wird sich das später mal auswirken? Werden sie das verkraften oder werden sie ihr Leben lang dran zu knabbern haben? Ich weiß es nicht.

Denken Sie, dass auch psychologische Hilfe für die Kinder notwendig wäre?

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Hoffmann: Auf jeden Fall! Auch seitens der Eltern. Ich weiß nicht, inwieweit die Eltern mit ihren Kindern über diese ganzen Sachen überhaupt sprechen. Die sind ja selber - das ist uns bei unserem zweiten Aufenthalt aufgefallen - in so eine Art Lethargie verfallen. Man fährt da runter mit einem gewissen Aktionismus -  jetzt machen wir hier groß Aktion und Theaterprojekt und so weiter - und man merkt, da kommt gerade seitens der Erwachsenen überhaupt nichts von diesem Aktivismus zurück. Ich denke, die bräuchten Hilfe zur Selbsthilfe. Sie sitzen da inzwischen schon seit zwei Jahren, es ändert sich nichts, und sie werden auch nicht aktiv und sagen: Wir lernen jetzt Türkisch oder wie ziehen weiter ins Landesinnere, oder… das passiert nicht. Jeder versucht mehr schlecht als recht, sich da durchzuboxen und nimmt mal hier und mal da irgendeinen schlecht bezahlten Job an. Sie wissen wahrscheinlich auch nicht, was sie machen sollen. Sie haben immer noch die große Hoffnung, dass sie zurück können, am besten in der nächsten Woche. Und dann verschieben sie das Monat um Monat, weil es nicht geht. So erkläre ich mir diese Passivität und Frustration, die sich breit macht.

Was planen Sie als nächstes mit dem Verein Jusur?

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Hoffmann: Momentan sind wir dabei, in größerem Maßstab bei Organisationen und auf Regierungsebene [in Deutschland, Anm. d. Red.] Gelder zu beantragen, weil wir gesagt haben: Die zwei kleinen Schulen laufen jetzt sehr gut, und der Bedarf ist so riesig. In Iskenderun schauen wir jetzt, ob man eine ganze Schule eröffnen könnte, wo für 300 Kinder in Klassenstufen geordnet Unterricht erteilt wird, so dass sie noch besser gefördert werden können. Das Problem ist: Wir haben kaum Erfahrung in solchen Sachen. Deswegen sind wir momentan dabei uns durchzukämpfen: Wie stellt man Anträge, an wen wendet man sich am besten? Wir haben Kontakte aufgenommen zu einer anderen Stiftung und zur syrischen Koalition.

Mal schauen, ob es uns gelingt, wirklich in großem Maßstab eine Schule zu eröffnen, vielleicht sogar auf der syrischen Seite, wo die Situation ja nochmal weitaus drastischer ist. Bisher haben wir uns das noch nicht so richtig zugetraut. Das hieße ja, dass in gewissen Abständen jemand von uns rein muss ins Land. Der Bedarf  ist da. Ich sehe – gerade dadurch, dass ich Lehrerin bin – da sind kluge aufgeweckte Kinder, die haben noch ein relativ gutes Bildungsniveau. Jammerschade, dass es für sie nicht weitergeht. Am liebsten würde man so einem Kind sagen: Pass mal auf, ich nehm' dich mit und dann machst du hier deinen Weg. Das tut schon weh.

Wie schaffen Sie das alles – emotional und mit der vielen Arbeit – neben Beruf und Familie?

Syrische Schulklasse in Hacipasa/Türkei

Hoffmann: Es ist schwierig. Wir haben das letzte Mal dort mit Leuten gesprochen, die haben gesagt: Macht doch gleich ein großes Projekt - wenn schon, dann richtig… Und wir kamen zurück und ich muss ganz ehrlich gestehen: Wir haben die ersten drei Wochen erstmal gar nichts gemacht. Weil wir die Erlebnisse einfach verarbeiten mussten. Dieser Pessimismus überträgt sich. Man sitzt irgendwie da und denkt: Jetzt mach ich das hier, das ist eh nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und jetzt was Größeres… Wie machst du das alles? Dann tut man erstmal gar nichts. Inzwischen haben wir uns wieder gefangen und sind dran. Aber natürlich ist es schwierig. Wir sind beide berufstätig und machen die Arbeit für Jusur so nebenher… Es sind ein paar Leute im Verein, die uns unterstützen, der eine macht was an der Website, der nächste erkundigt sich, mit wem man zusammenarbeiten kann, aber denen geht es ja ähnlich wie uns: Die Leute arbeiten, haben ihren normalen Alltagsstress. Wir versuchen es irgendwie nebenher auf die Reihe zu kriegen, aber einfach ist es nicht.